Erschütterndes Bodycam-Video
Zweiter Tag im Gabersee-Prozess: Die wirre Wahnwelt des Beschuldigten – „Ich hab‘s für uns gemacht“
Tag zwei im Prozess um den Mord an Rainer Gerth, Oberarzt der Forensik am kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg. Am Dienstag (12. November) versuchte das Gericht, den Tattag und den Zeitraum davor zu rekonstruieren. Im Fokus: die Wahnwelt des Beschuldigten und ein erschütterndes Video.
Wasserburg – Eine verwackelte Kameraeinstellung, Dominik S. liegt mit dem Gesicht voraus am Boden, der Arm ist blutverschmiert, die Hände sind bereits durch den beistehenden Polizeibeamten gefesselt. „Ich hab´s für uns gemacht“, sagt S. „Für uns alle. Ich musste es tun.“ Immer wieder wiederholt S. diese Worte. „Sie vergiften die Leute. Der Gerth macht Gutachten da drinnen und sagt falsch aus. Die Leute werden verfolgt und misshandelt. Die machen was mit den Leuten in den Psychiatrien. Ich musste es tun.“
Kurz darauf beendet Volker Ziegler, Vorsitzender Richter der fünften Strafkammer am Landgericht Traunstein, die Bodycam-Aufnahme des Polizeibeamten. Es ist das erste Beweisstück, das an diesem zweiten Gerichtstag zum Prozess rund um den Mord von Rainer Gerth, Oberarzt an der forensischen Klinik am kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg, eingeführt wird.
Mord an Wasserburger Oberarzt im Wahnzustand
Beschuldigt, die Tat begangen zu haben, ist Dominik S., 41 Jahre alt. Er soll von 2010 bis 2013 Patient in Wasserburg gewesen und kurz vor dem 8. April mehrere hundert Kilometer aus Schleswig-Holstein angereist sein, um Rainer Gerth mit einem eigens gekauften Küchenmesser zu erstechen. S. gilt als schuldunfähig, er lebt mit paranoider Schizophrenie und hat zudem eine diagnostizierte Abhängigkeit von Opiaten. Die Tat soll er in einem Wahnzustand durchgeführt haben. Entsprechend geht es am Landgericht Traunstein nicht um eine Verurteilung, sondern um eine mögliche weitere Unterbringung von S. in einer forensischen Klinik.
Knapp ein Dutzend Zeugen sind an diesem Tag geladen. Über mehrere Stunden versucht Richter Ziegler mit ihrer Hilfe die Geschehnisse des 8. Aprils zu rekonstruieren. Es muss ein blutiges Bild gewesen sein, das sich an diesem Tag im Frühjahr auf dem Klinikgelände geboten hat. Mehrere Zeugen sprechen von einer Blutlache, in der das Opfer Rainer Gerth gelegen hat. Ein Patient des Klinikums, der als erster vor Ort war, redet von einer spritzenden Blutung.
Beschuldigter in Tagen vor der Tat öfter auf Klinikgelände gesehen
Die Polizeibeamten – an diesem Tag zufällig aufgrund einer freiwilligen Einweisung am Klinikum vor Ort – sprechen von einer Blutspur. „Wir sind ihr gefolgt und haben den Beschuldigten offenkundig blutverschmiert an der Kapelle angetroffen, etwa 200 bis 300 Meter vom Auffindeort des Herrn Gerth entfernt“, berichtet einer der Beamten. Widerstandslos habe sich der Dominik S. festnehmen lassen und sich anschließend immer wieder erkundigt, ob der Oberarzt „inzwischen verstorben“ sei. „Offensichtlich war es ihm sehr wichtig, dass Herr Gerth stirbt. Er hat immer wieder davon gesprochen, dass seine Blutwerte nicht stimmen, er vergiftet wird und für ihn war Herr Gerth wohl derjenige, der das alles verbrochen hat“, berichtet der Polizist.
Beschuldigter wurde mehrfach auf dem Klinikgelände gesehen
Wie überzeugt Dominik S. von dieser These war, zeigen auch die Aussagen von mehreren Zeugen, die berichten, dass sie den Beschuldigten mehrfach in den Tagen zuvor auf dem Klinikgelände angetroffen hätten. Das Ziel damals: Sein Opfer auszukundschaften, das ist zumindest die Überzeugung von Staatsanwaltschaft Wolfgang Fiedler. „Ich habe den Mann viermal gesehen. Wir dachten, er wartet darauf, sich einweisen zu lassen“, berichtet einer der Zeugen, der zu dieser Zeit selbst Patient am Klinikum war. S. sei ständig auf- und abgelaufen, habe sich oft an den Treppen zur Kegelbahn aufgehalten, also direkt auf dem Weg zwischen dem Büro von Rainer Gerth und dessen bevorzugtem Parkplatz – in unmittelbarer Nähe soll ihn Dominik S. auch angegriffen haben. „Jedes Mal, wenn wir rauchen gegangen sind, haben wir ihn gesehen“, berichtet der ehemalige Patient.
Ähnliches sagen weitere Zeugen aus, die Dominik S. laut eigenen Angaben mindestens zweimal im Bereich der Kegelbahn beobachtet haben. Einer der Zeugen berichtet, ihn sogar zwei bis drei Wochen davor gesehen zu haben. Für großes Aufsehen hat dies aber dennoch nicht gesorgt. Die meisten Zeugen berichten, dass sie glaubten, Dominik S. sei Patient auf einer der Stationen. „Dass er dort saß, war für mich nichts Ungewöhnliches. Diese Treppen sind ein beliebter Treffpunkt für Patienten, die auf offenen Stationen sind“, berichtet ein Mitarbeiter des Klinikums. Für die Mitarbeiter und Mitpatienten gab es also kaum Grund zur Sorge.
Bruder des Beschuldigten: Er wirkte am Tattag „ganz normal“
Auch der Bruder des Beschuldigten sah „null Komma null“ Grund zur Sorge. Am 7. April, also am Tag vor der mutmaßlichen Tat, habe Dominik S. noch bei ihm in Traunstein übernachtet. „Er schien an diesem Tag relativ klar. Wir haben uns ganz normal unterhalten“, erzählt der Bruder. Über die Jahre habe er gelernt, den Beschuldigten „gut zu lesen“. „Er ist sicherlich psychisch krank, das steht für mich außer Frage“, erzählt er. Mit 15 oder 16 Jahren sei Dominik S. mit Drogen und kriminellen Machenschaften in Kontakt gekommen, über die nächsten 20 bis 25 Jahre habe ein Prozess eingesetzt, bei dem seine Psyche in Mitleidenschaft gezogen worden sei. Von Verfolgungswahn und Briefen an Putin sowie einer inneren Unruhe, berichtet der Bruder. „Er hat sich immer mehr in den Wahn gesteigert, aber ich habe das Gespräch in den vergangenen Jahren nicht mehr geduldet. Es hat mich auf die Palme gebracht.“ An dem Vorabend des 8. Aprils sei dieses Thema aber gar nicht aufgekommen. „Wir haben uns über Gott und die Welt unterhalten. Das ist für mich das Kuriose, er war ganz normal“, berichtet er.
„Gedenkenfluten“ sollen Beschuldigten übermannt haben
Von psychischen Problemen erzählt auch ein weiterer Zeuge, mit dem Dominik S. zwischenzeitlich zusammen gewohnt hat. Eine hohe Einnahme von Betäubungsmittel bis zu dem Punkt, an dem er „Angst um das Leben von Dominik S.“ gehabt hätte, erzählt er. „Während dieser Zeit konnte ich immer wieder erleben, wie ihn Gedankenfluten übermannten, die offensichtlich sehr negativer Natur waren“, so der Zeuge. „Welcher Art diese Gedankenströme waren, darüber kann ich überhaupt nichts sagen. Ob es sich auf die Vergangenheit, auf die Gegenwart oder die Zukunft bezog, weiß ich nicht.“ Er habe auch Schriftstücke verfasst, adressiert an deutsche Spitzenpolitiker und ausländische Regierungschefs. Sonst habe er den Beschuldigten aber als Person mit einer „Engelsgeduld“ erlebt.
Am Montag, 18. November, wird der Prozess forgesetzt, eine Entscheidung wird am 19. November erwartet.