Kabinett von Merz nun komplett
Jubel und Diskussionsbedarf: Wie die Genossen in der Region die SPD-Minister beurteilen
Das Geheimnis ist gelüftet: Nach CDU und CSU haben jetzt auch die Sozialdemokraten ihre Minister fürs Kabinett bekannt gegeben. Neben alten Bekannten gibt es Überraschungen. Was die heimischen SPD-Politiker dazu sagen - und welche Erwartungen sie an die neue Regierung haben.
Rosenheim/Mühldorf/Haag/Traunstein/Bad Aibling - Die SPD hat sechs Frauen und drei Männer für ihre neun Positionen im künftigen Regierungsteam nominiert. Lars Klingbeil wird - trotz verlorener Bundestagswahl - Finanzminister und Vizekanzler - und damit der wohl mächtigste Minister im Kabinett von Friedrich Merz.
„Er besitzt genügend Kompetenzen, das Boot ‚SPD‘ wieder ins Wasser zu bringen“, sagt Patrick Hüller, Kreisvorsitzender der SPD in Mühldorf, auf Anfrage. Klingbeil habe bei allen Lagern der SPD ein gutes Standing. „Er hat in den Koalitionsverhandlungen gezeigt, dass er anführen kann“, ergänzt Hüller. In seinen Augen ist es nur folgerichtig, auf ihn zu setzen. „So kann man Kontinuität wahren, anderseits aber auch einen Neuanfang unter ihm starten“, sagt er.
Generell scheint er mit der Wahl der Ministerinnen und Minister zufrieden. Mit Stefanie Hubig sei beispielsweise eine ehemalige Richterin und Staatsanwältin zur Justizministerin gemacht worden. „Wichtig und richtig“ sei, dass Boris Pistorius weiter als Verteidigungsminister diene. „Er ist der beliebteste Politiker in Deutschland und hat die letzten Jahre hervorragende Arbeit als Verteidigungsminister geleistet“, sagte Hüller. Mit drei Ministerinnen und Minister seien die neuen Bundesländer durchaus gut vertreten, wenngleich er die persönliche Kompetenz eines Ministers für wichtiger erachte.
Richard Fischer schwärmt über Regierungsteam
Förmlich ins Schwärmen gerät Richard Fischer, stellvertretender Landrat von Mühldorf. „Überraschend,
aber auch zukunftsweisend, kreativ, ausgewogen, kompetent, hoffnungsvoll“ sei das Team auf Seiten der SPD, „ein echter Neuanfang“. Insbesondere von Lars Klingbeil erwarte er sich viel, sagte Fischer. „Von ihm als Finanzminister erwarte ich, dass er darauf Einfluss nimmt, dass den Gemeinden und Kommunen verstärkt unter die Arme gegriffen wird.“
Dass die SPD unter der Führung auch von Lars Klingbeil bei der Bundestagswahl eine herbe Niederlage einstecken musste, ficht Fischer nicht an. Zum einen habe Klingbeil nicht allein die Wahl verloren, sondern die SPD insgesamt. Die Ampelkoalition habe aber auch keine leichte Aufgabe zu bewältigen, es sei schwierig gewesen, drei Parteien auf eine Linie zu bekommen. Nun aber warteten erneut Aufgaben: Die SPD könne auf rechts- und linksextreme Strömungen „dementsprechend demokratisch reagieren“.
Eva Rehbein ist stolz und dankbar
Eva Rehbein, SPD-Ortsvorsitzende in Haag, verteidigt ebenfalls Klingbeils Rolle: Er habe die Wahl nicht verloren. „Das war Olaf Scholz. Ich bin stolz und dankbar, dass Lars Klingbeil so gut verhandelt hat und den Regierungspartner CDU/CSU davon überzeugen konnte, die SPD paritätisch in Regierungsverantwortung zu nehmen“, sagt sie. Die älteste noch bestehende demokratische Partei, die sich immer für soziale Belange einsetze und den Rechtsextremismus unerschütterlich bekämpfe, gehöre in Regierungsverantwortung.
„Die Auswahl der Persönlichkeiten für die neue Regierung finde ich äußerst mutig und bestätigt für mich den erklärten Vorsatz: Wir wollen einen Neuanfang. Die neun Kabinettsposten der SPD werden von drei Männern und zu meiner großen Freude von sechs Frauen übernommen. Erfahrene Persönlichkeiten treffen auf neue Gesichter, die für einen Generationswechsel stehen und auch die Belange Ostdeutschlands sehr gut vertreten“, ist Rehbein überzeugt.
Maria Noichl pflegt ihre Neugier
Fernab von Berlin, in Straßburg, erhielt die Rosenheimer EU-Abgeordnete Maria Noichl Kunde von den SPD-Ministern im Kabinett des designierten Kanzlers Merz. Sie fand die Nachricht „spannend zu lesen“, nun sei sie neugierig auf den Aufbruch. Allerdings äußerte sie sich „sehr überrascht“, dass sich Svenja Schulze nicht ein weiteres Mal im Regierungsteam findet. „Ich kenne sie persönlich und schätze sie.“ Insgesamt aber mache die Mannschaft Laune, sagte Noichl, „jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. Was sie besonders lobt: Vier von sieben Ressort-Chefsesseln sind von Frauen besetzt. Zusammen mit dem Bundestagsvizeposten für eine SPD-Politikerin komme man auf fünf von acht wichtigen Ämtern - „das ist mehr, als wir erwartet hatten“.
Vor allem auf die „Etablierten“ hält sie offenbar große Stücke. Auf Lars Klingbeil etwa, der als Finanzminister die richtigen Prioritäten setzen und auch mit Mitteln versehen könne. „Da brauche ich keinen Christian Lindner, der die Daumen bei wichtigen Angelegenheiten draufhält.“ Klingbeil sei darüber hinaus ein Vollblutpolitiker, ein Menschenfänger, der bei Jung und Alt gut ankomme.
Auch Carsten Schneider, bislang Ostbeauftragter der Bundesregierung und nun Umweltminister, darf sich über Noichls besondere Aufmerksamkeit freuen – wegen ihres Fokus auf Bauern und Agrarwirtschaft. „Schließlich gehören Landwirtschaft und Umwelt zusammen“, sagt Noichl.
Kofler erneut im Regierungsteam vertreten
Neben Pistorius gibt es eine SPD-Politikerin, die einen Spitzenjob behalten hat: Bärbel Kofler aus Traunstein. Sie bleibt Parlamentarische Staatssekretärin im Entwicklungsministerium. Sie bedankte sich bei der scheidenden Ministerin Svenja Schulze, mit der sie die vergangenen dreieinhalb Jahre „sehr vertrauensvoll“ zusammengearbeitet habe. Nun freue sie sich, „mit meiner Expertise und meinem Engagement die neue Ministerin Alabali-Radovan unterstützen zu können“. In der aktuellen Weltlage brauche Deutschland mehr denn je eine starke und effektive internationale Zusammenarbeit.
Der Dreifach-Klingbeil: „Da kann man diskutieren“
Und wie kommt das neue SPD-Team von Kabinettsmitgliedern und Staatssekretären auf kommunaler Ebene an? Offenbar nicht schlecht. Heinz Oesterle aus Feldkirchen-Westerham gesteht allerdings, dass er einige Namen erst habe nachschlagen müssen. Es seien da „schon einige erstaunliche Dinge zu verzeichnen“, sagt der Gemeinderat.
Nicht erstaunlich, sondern seiner Meinung nach geschickt erarbeitet: Lars Klingbeils mächtige Position. „Lars Klingbeil hat sich am Wahlabend sehr clever verhalten und ließ sich vom Parteipräsidium gleich als Fraktionsvorsitzenden vorschlagen“, sagt er. „Kein anderer hätte so gut verhandeln können.“ Klingbeil habe einen guten Job gemacht. „Ob er aber wirklich Parteivorsitzender, Finanzminister und Vizekanzler zugleich sein muss, darüber kann man sicherlich diskutieren“, findet Oesterle.
Rosenheimer Fraktionschef „begeistert“ über SPD-Team
Geradezu euphorisch äußert sich Abuzar Erdogan, Fraktionschef der SPD im Rosenheimer Stadtrat. „Ich bin ziemlich begeistert“, sagte er dem OVB. Der Koalitionsvertrag sei gut, es sei zu begrüßen, dass Deutschland Schulden aufnehme, um seine zahlreichen Aufgaben in Angriff zu nehmen. „Wer hätte das gedacht, dass das mit der Union gelingt?“
Die SPD könne bei zahlreichen sozialpolitischen Themen punkten und habe sich auch bei der Zahl der Minister gut behaupten können, meint Erdogan. „Da verstehe ich die Kritik der Jusos nicht.“ Auch die Mischung passt für ihn. Es seien mit Bärbel Bas, Boris Pistorius und Lars Klingbeil erfahrene Kräfte im Team, aber auch junge und weibliche Gesichter.