Verkehrsversuch lässt Emotionen hochkochen
Bushaltestellen vor dem Wasserburger Rathaus: Mit dieser Überraschung endet der Verkehrsversuch
Eigentlich geht es „nur“ um zwei Bushaltestellen am Rathaus: Trotzdem löste der Verkehrsversuch eine Unterschriftenaktion, Leserbriefe und Pro-und-Contra-Debatten aus. Warum dieses Thema für die Wasserburger so emotional ist und wie die finale Runde im Streit ausging.
Wasserburg – Nach einer Stunde Debatte im Stadtrat um das Für und Wider der Bushaltestellen am Marienplatz (Rathaus) warf Edith Stürmlinger (Bürgerforum) eine Frage auf, die sich viele Beobachter der Diskussionen in den vergangenen vier Wochen stellen: Warum das Thema so emotional diskutiert werde in Wasserburg, fragte sich die Dritte Bürgermeisterin verwundert. In der Tat: Es geht nicht um ein Großprojekt, es geht lediglich um zwei neue Bushaltestellen. Eigentlich um vier: Denn auch am Heisererplatz fand der Verkehrsversuch statt. Hier gibt es jedoch weniger Widerstand als am Marienplatz.
Die Fronten sind klar: Gegen die Haltestellen hat sich der Wirtschaftsförderungsverband (WFV) ausgesprochen („schmälern das Ambiente in der guten Stube der Stadt“), außerdem ein Teil der Stadtführer (sie argumentiert mit der Optik am Rathaus). Es gibt 500 Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern dagegen, gesammelt in den Geschäften (ihre Argumente: Lärm, Abgase, Staus an einer Engstelle in der Stadt). Die Befürworter sind erklärte Verfechter einer Förderung von Alternativen zum Auto, zudem viele ältere Bürger und Einwohner, die nicht mehr so gut zu Fuß sind, vertreten vom Behindertenbeirat und von Seniorenorganisationen, wie der AWO.
Stadtrat ist gespalten
Auch der Stadtrat ist gespalten. Das gemeinsam erarbeitete „Integrierte Städtebauliche Entwicklungskonzept“ (ISEK) hatte die Bushaltestellen vorgeschlagen, um die Altstadt besser fußläufig erreichbar zu machen, eine direkte Verkehrsführung in Fahrrichtung Reitmehring zu ermöglichen (Stadtbus muss keine zeitraubende Schleife über die Landwehrstraße mehr fahren) und die Barrierefreiheit zu erreichen. Eine Verkehrsklausur kam auch zum Ergebnis, die Haltestelle an der Max-Emanuel-Kapelle zu streichen und dafür Standorte am Marien- und Heisererplatz vorzusehen.
Deshalb setzten Grüne und SPD im vergangenen Jahr einen Verkehrsversuch durch. Jetzt entschied nach einem halben Jahr Probe der Stadtrat mit den Stimmen von SPD, Grünen sowie bunter Fraktion aus Bürgerforum/Freie Wähler Reithmehring-Wasserburg/ÖDP gegen die Stimmen der Fraktion von CSU/Wasserburger Block (15:6): Die Haltestellen am Marienplatz und am Heisererplatz werden dauerhaft eingerichtet.
Mehr Fahrgäste, weniger Rückstau
Basis für die Entscheidung sind Erhebungsdaten eines Fachbüros, die Sibel Aydogdu vom Planungsbüro Schlothauer & Wauer vorstellte. Die Zahl der Fahrgäste hat sich seit dem 10. Juli, als der Versuch startete, verdoppelt: von 363 Personen, die ein- und ausstiegen (vor dem Versuch, gezählt im März) auf 649 (beim Versuch, gezählt im September) und 678 (gezählt im Oktober). Erfasst wurden jeweils 24 Stunden an einem Donnerstag und Samstag.
Positive Ergebnisse präsentierte die Gutachterin auch zum Thema Rückstau: An den Knotenpunkten Bruckgasse, Schmidzeile und Marienplatz wurden Länge und Dauer gemessen. An einem Samstag im März beispielsweise kam es hier zu 43 Minuten Stau in der Spitzenstunde von 12.30 bis 13.30 Uhr, während des Busversuchs nur zu 19 Minuten Stau in dieser neuralgischen Stunde. Stadteinwärts wurden die schwierigen eineinhalb Stunden an einem Samstag zwischen 16 und 17.30 Uhr gemessen. Vor dem Versuch staute es sich 60 von 90 Minuten, während der Erprobung der Haltestellen am Marienplatz: nur 29 von 90 Minuten.
Wirtschaftsreferent kritisiert Messmethode
Christoph Klobeck, Wirtschaftsreferent der Stadt und WFV-Mitglied, kritisierte jedoch die Messmethode. Nur zwei Tage lang seien die Daten erfasst worden, vorher und nachher, dieser Zeitraum reiche für eine Beurteilung nicht aus, findet er. Klobeck wies außerdem darauf hin, dass am Zähltag des 23. Septembers der Bus umsonst gewesen sei. In seinen Augen ist die Auswahl der Tage „fragwürdig“. Aydogdu betonte jedoch, zwei Wochen seien obendrein per Video aufgenommen worden, um weitere Vergleichsmöglichkeiten zu haben.
Heike Maas, Fraktionsvorsitzende von CSU/Wasserburger Block, sieht einen Faktor, der die Daten stark beeinflusst haben könnte: Vor dem Versuch habe es noch kein 49-Euro-Ticket gegeben, das sehr viele Menschen zum Busfahren motiviert habe. Die Verkehrsexpertin sprach jedoch von einem Effekt, der nur marginal Einfluss gehabt haben könne. Sie bekräftigte auf Nachfrage von Maas, dass ihr Büro bei der Untersuchung eine Vorgehensweise angewandt habe, die den Regelwerken und Richtlinien entspreche. Der Zeitraum für die Datenerfassung sei ausreichend, um von einem repräsentativen Ergebnis sprechen zu können.
Bessere Erschließung der Altstadt
Christian Stadler, Fraktionsvorsitzender der Grünen, sah seine Erwartungen angesichts der Ergebnisse übertroffen: „Dass es so gut funktioniert, überrascht selbst uns“, so sein Fazit. Stadler wiederholte, worum es seiner Fraktion beim Antrag gegangen sei: um eine bessere Erschließung der Altstadt durch den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Vor dem Versuch hätten die Busgäste entweder an der Sparkasse oder am Gries aussteigen müssen. Der Fußweg zum inneren Altstadtkern sei bedeutend länger gewesen als jetzt. Dass sich für ältere und gehbehinderte Bürger die Strecke ab Busausstieg Richtung Kernstadt von etwa 450 auf 200 Meter reduziere, sei eine „riesengroße Erleichterung“, wie viele bestätigt hätten.
Debatte um Datenerhebung
Friederike Kayser-Büker, Fraktionsvorsitzende der SPD und Seniorenreferentin, erinnerte an die klare Empfehlung aus dem Integrierten Städtebaulichen Entwicklungskonzept (ISEK), die Haltestellen an den Marienplatz zu verlegen. Der Faktencheck habe nun bestätigt, dass dies der richtige Weg sei. Zur Frage, ob die Busse nicht das Stadtbild am Rathaus stören, betonte sie: „Wasserburg ist keine Puppenstube.“ Werner Gartner, SPD, brachte die Stadtbusfahrer in die Diskussion ein. Sie seien skeptisch gewesen, hätten aber festgestellt, dass es funktioniere.
Kayser-Büker fand, die wissenschaftlich basierten Daten („mehr als ein Feldversuch“) sollten anerkannt werden, trotz Interessenskonflikten, die sich etwa durch die Unterschriftenaktion gezeigt hätten. Maas bleibt jedoch dabei: Das Deutschland-Ticket habe die Resonanz beeinflusst. Und die Unterschriften gegen die Haltestellen dürften nicht einfach vom Tisch gewischt werden. „Eine breite Masse will das nicht, wir müssen das ernst nehmen.“ Auch die Stadtführer als „Kenner unserer Stadt“ hätten Bedenken, das „Wohnzimmer von Wasserburg“ werde durch die Haltestelle verschandelt. Der Umbau für die vier neuen Standorte werde 50.000 bis 100.000 Euro kosten. „Wollen wir das Geld einfach raus pfeffern?“ Anwohner und Bewohner seien ebenfalls dagegen, weil Parkplätze wegfallen müssten.
Zwei unterschiedliche Sicherheitsaspekte
Wolfgang Janeczka, SPD, brachte jedoch noch einen Aspekt in die Diskussion ein: Viele würden lieber am Marienplatz als am Gries auf den Bus warten. Vor dem Rathaus sei es belebter, besser beleuchtet. Das subjektive Sicherheitsgefühl sei hier viel besser. Dafür berichtete Armin Sinzinger (Wasserburger Block) von einem anderen Sicherheitsaspekt: Die Feuerwehr habe darauf hingewiesen, dass es an der Engstelle am Marienplatz, wo der Bus halte, zwar noch keine Probleme bei Alarmfahrten gegeben habe, doch eine Einsatzfahrt aufgrund des Rückstaus die Hilfsfrist von zwölf Minuten nicht habe einhalten können.
Appell: Emotionen raus
Mit einem Appell, die Emotionen aus der Angelegenheit herauszunehmen, wandte sich Edith Stürmlinger (Bürgerforum) noch an den Stadtrat und die vielen Besucher der Sitzung. Die Ergebnisse lägen auf dem Tisch und seien so klar, dass sich alle, die nicht für die neuen Haltestellen seien, den Vorwurf gefallen lassen müssten, beratungsresistent zu sein, findet sie. Maas verwehrte sich gegen den Eindruck, die Gegner der Bushaltestellen am Marienplatz seien stur und unbelehrbar. Andere Meinungen müssten akezptiert werden.
Der Bürgermeister versuchte, mit Beispielen aus Weltkulturerbe-Städten, wie Regensburg und Bamberg aufzuzeigen, dass Bushaltestellen vor historischen Gebäuden wie dem Wasserburger Rathaus kein Problem seien. Stadtbaumeisterin Mechtild Herrmann betonte, bei der Umsetzung der Haltestellen werde sich die Stadt mit dem Denkmalamt abstimmen, das „klassische Häusle“ komme nicht.
Ärger über Rückschritte durch MVV-Einführung
Georg Machl, CSU, legte im Stadtrat ebenso wie Wolfgang Schmid (CSU) und Lorenz Huber (Bürgerforum) den Finger in eine andere Wunde, die jedoch nichts mit dem Busversuch, sondern mit der Einführung des MVV zu tun hat: Seitdem müssten die Fahrer wieder im Bus kassieren und abstempeln, das sei inakzeptabel und gefährde den Halbstundentakt. Hier gelte es, Druck auf die MVV-Verantwortlichen aufzubauen. Huber wusste von ersten Kündigungen überlasteter Stadtbusfahrer, die Probleme hätten, seit der MVV-Einführung die Zeiten einzuhalten. Die Tatsache, dass die Kartenautomaten nicht mehr gelten würden, nannte Huber „steinzeitmäßig“.