Klinik-Chef erwartet Ende des Aufnahmestopps
Bruckmühl-ähnliche Missstände in vielen Kliniken? Netzer: „Da können Sie Gift drauf nehmen!“
Sind Mängel wie in der Fachklinik Bruckmühl mehr Regel denn Ausnahme? Davon ist jedenfalls der Chef der Bruckmühler Einrichtung überzeugt. Er geht davon aus, dass der vom Gesundheitsamt verhängte Aufnahmestopp bald aufgehoben wird. Indes ist die Mängelliste aufgetaucht.
Bruckmühl – Wird der Aufnahmestopp, den das Staatliche Gesundheitsamt Rosenheim gegenüber der Fachklinik Bruckmühl aufgrund von Missständen im Klinikalltag verhängt hatte, wieder aufgehoben? Das will die Aufsichtsbehörde am Freitag (25. August) entscheiden. Dem OVB liegen Dokumente vor, die das ganze Ausmaß der Missstände in der Reha-Einrichtung offenbaren. Wobei Klinik-Geschäftsführer Professor Dr. Nikolaus Netzer aber davon überzeugt ist, dass seine Klinik in puncto Missstände kein Einzelfall ist.
Es sind mitunter gravierende Mängel – vor allem in puncto Hygiene und Dokumentation, aber auch im Umgang mit den Patienten –, die das Staatliche Gesundheitsamt in zwei Schreiben an die Geschäftsführung der Fachklinik Bruckmühl anprangert. Das erste Schreiben, am 7. August im Zuge der unangekündigten Begehung am 4. August angefertigt, umfasst drei Seiten, das zweite Schreiben vom 11. August, das sich auf die unangekündigte Begehung vom 8. August bezieht, gar sieben Seiten.
Hygieneplan laut Gesundheitsamt „veraltet“
In beiden Schriftstücken, die dem OVB vorliegen und deren Echtheit weder das Gesundheitsamt noch der Geschäftsführer der Klinik dementieren, werden Punkt für Punkt die Mängel aufgelistet, die die Experten an den jeweiligen Tagen in der Einrichtung festgestellt hatten. So zeigten sich nach Einschätzung der Behörde „Mängel, zum Teil erheblichen Ausmaßes, in der Basishygiene“. Der Hygieneplan sei veraltet und erfülle nicht die Anforderungen, „die an eine Arbeitsgrundlage für eine wirksame Infektionsprophylaxe gestellt werden“.
Die Kritikpunkte werden in den Schreiben anhand von Beispielen belegt. So habe sich ein Reinigungs- und Desinfektionsgerät für Steckbecken, Nachtstuhleimer und Urinflaschen bei der Begehung „im Fehlermodus“ befunden, wobei ein „mangelhaftes Spülergebnis ersichtlich war“. Weshalb die Behörde eine ausreichende Desinfektion anzweifelte. Positiv vermerkte das Gesundheitsamt allerdings im zweiten Schreiben, dass die Einrichtung bereits Kontakt mit einem externen Hygieneinstitut in Freiburg aufgenommen habe.
Auch mit der Dokumentation durch das Personal ging die Aufsichtsbehörde in den Schreiben hart ins Gericht. So fänden sich ärztliche Anordnungen „vereinzelt an verschiedenen Stellen in den Krankenunterlagen“, diese seien aber „insgesamt nicht nachvollziehbar“. Allgemein sei zudem „kein aktivierend-pflegerischer Ansatz in der gesamten Pflegedokumentation zu erkennen“. Zudem erfolge die Erhebung von Vitalwerten wie Temperatur nahezu nie, „Blutdruck, Herzfrequenz und Körpergewicht lückenhaft, ohne erkennbaren Zusammenhang zu den bestehenden Diagnosen“.
Kompressionsverbände „teilweise nicht fachgerecht“ angelegt
In puncto Patientenversorgung wirft das Gesundheitsamt der Fachklinik „zum Teil deutliche Defizite in der Behandlungspflege“ vor. So sei bei der Begehung am 8. August durch Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes Bayern „in der Stichprobe der begutachteten Patienten“ festgestellt worden, dass Kompressionsverbände „teilweise nicht fachgerecht“ angelegt worden sind. „Bei einem Rehabilitanden musste die sofortige Abnahme des nicht korrekt angelegten Kompressionsverbandes veranlasst werden“, führte die Behörde als Beispiel an.
Gegenüber dem OVB betont das Landratsamt Rosenheim in Hinblick auf die beiden Schriftstücke, dass sich bei der zweiten Begehung am 8. August im Grunde die Mängel, die bereits bei der ersten Begehung festgestellt worden seien, bestätigt hätten: „Es zeigten sich weiterhin grundlegende und teils erhebliche Mängel in der Basishygiene, Mängel in der Patientendokumentation und in der Patientenversorgung“, führt ein Sprecher des Landratsamtes Rosenheim – bezugnehmend auf die Begehung am 8. August – aus.
Die Behörde verweist jedoch auch darauf, dass die Klinikleitung „bereits ernsthafte Schritte“ unternommen habe, um die Mängel zu beseitigen und die Anordnung des Gesundheitsamtes umzusetzen. Vor einer Beendigung des Aufnahmestopps und der Wiederaufnahme von Patienten würde nun eine „erneute Begehung der Klinik“ erfolgen. „Hierbei wird genau geprüft, ob die Mängel in Hygiene, Patientenversorgung und Dokumentation abgestellt und die Anordnung umgesetzt wurden“, so die klare Ansage aus dem Landratsamt.
Nosokomiales Übertragungsgeschehen: Klinik und Behörde geben Entwarnung
Im Schreiben vom 7. August des Staatliches Gesundheitsamtes Rosenheim an die Gesundheitsbetriebe Dr. Nikolaus Netzer GmbH ist auch vom „dringenden Verdacht eines nosokomialen Übertragungsgeschehens“ in der Fachklinik Bruckmühl die Rede, also einer Übertragung eines Keims von Patient zu Patient. Dieser Verdacht sei allerdings vom Tisch, wie Professor Dr. Nikolaus Netzer, Geschäftsführer der Fachklinik Bruckmühl, gegenüber dem OVB betont. Eine Aussage, die das Landratsamt Rosenheim bestätigen kann. „Ein nosokomiales Übertragungsgeschehen in der Geriatrischen Fachklinik Bruckmühl, das heißt eine Übertragung von Bakterien von einem Patienten auf einen anderen während des Aufenthalts in der Klinik, konnte nicht nachgewiesen werden“, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit.
Wobei Klinik-Geschäftsführer Professor Dr. Netzer davon ausgeht, dass der Aufnahmestopp seitens der Aufsichtsbehörde aufgehoben wird, wie er gegenüber dem OVB betont. Angesprochen auf die lange Mängelliste räumt Netzer vor allem die Dokumentationsmängel ein. Mit einem erweiterten Personalstamm arbeite die Bruckmühler Klinik „mit Hochdruck daran, alle diese Fehler zu beheben“. Die Klinik Bruckmühl hat mittlerweile Mitarbeiter aus der Fachklinik Lenggries übernommen, die aufgrund „erheblicher Mängel“ zum 31. August schließen muss und bei der Professor Dr. Netzer ebenfalls als Geschäftsführer eingesetzt ist.
Sensibilisierung „nicht mehr so da, wie früher“
Gegenüber dem OVB gibt Netzer allerdings auch zu verstehen, dass einige der Mängel seiner Einschätzung nach auf gesundheitspolitische und gesellschaftliche Entwicklungen zurückzuführen sind. So sei heutzutage bei vielen Mitarbeitern eine Sensibilisierung, beispielsweise beim Thema Klinikhygiene, „nicht mehr so da, wie früher.“ Auch den Vorwurf, auf den Wasserschaden, den er immer wieder als Auslöser für einige der Mängel ins Feld führt, falsch reagiert zu haben, widerspricht er: „Da muss ich die Schuld völlig von uns weisen.“
Stattdessen führt er die rechtlichen Vorgaben und Auflagen ins Feld, die „schon ziemlich hoch sind“, wobei er aber auch anfügt: „Natürlich haben die auch einen wissenschaftlichen Hintergrund.“ Dennoch sei es seiner Meinung nach sinnvoll, auch einmal die Gesundheitssysteme anderer Länder in den Blick zu nehmen. So sei nach seinen Angaben in Kuba die Sterblichkeitsrate bei Geburten geringer als in Deutschland, und das, obwohl „es für die Genesung der Patienten dort keine Rolle spielt, wenn sich von einer Wand im Krankenhaus Putz löst.“ Dort würden eben andere Prioritäten gesetzt, beispielsweise durch ein Unterrichtsfach Gesundheit, das die Kinder schon früh für das Thema sensibilisiere.
Geschäftsführer sieht seine Klinik nicht als Ausnahme
Im Telefonat mit dem OVB macht Netzer zudem deutlich, dass die Mängelliste, die sich bei der Fachklinik in Bruckmühl ergeben habe, im Vergleich mit anderen Kliniken und Pflegeheimen keineswegs eine Ausnahme sei. So antwortet der Klinik-Geschäftsführer auf die Rückfrage, ob seiner Meinung nach die Qualität und Quantität der Mängel, die bei den Begehungen durch das Staatliche Gesundheitsamt festgestellt worden waren, in vielen Kliniken ähnlich sei, kurz und knapp: „Da können sie Gift drauf nehmen.“
Eine Einschätzung, die auch Aussagen von Stefan Sonntag, Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd, nahelegen. Auf Anfrage des OVB bestätigt der Polizeisprecher erneut, dass „einige Anzeigen von Angehörigen“ zur Fachklinik Bruckmühl vorlägen, denen nun „in klassischer Polizeiarbeit“ seitens der Ermittler nachgegangen werde. Derzeit seien die Beamten noch „voll in den Ermittlungen“, weshalb noch keine genaueren Angaben dazu gemacht werden könne.
Der Polizeisprecher betonte allerdings auch, dass die Menge der Anzeigen, die zur Fachklinik Bruckmühl vorlägen, „längst nicht mit Lenggries“ vergleichbar sei, also mit der Klinik, die in wenigen Tagen schließen muss. Sowohl in puncto Inhalt als auch in Hinblick auf die Menge der Anzeigen würde sich der Fall Bruckmühl nicht von vielen anderen Kliniken unterscheiden. Sonntag: „Für uns ist dieser Fall nicht außergewöhnlich.“