Kampf gegen Verkehrschaos
Zubringer zum Brenner-Basistunnel: So weit sind Italien und Österreich – und Deutschland?
Kommt der Brenner-Basistunnel rechtzeitig, um den Verkehrskollaps für weite Teile Bayerns, Tirols und Südtirols abzuwenden? Italien und Österreich schreiten im Eiltempo voran. Und schütteln über eine Diskussion in der Region Rosenheim den Kopf.
Rosenheim – „Wenn Deutschland nicht fertig wird, ist alles, was wir machen, umsonst.“ Aus den Worten von Martin Ausserdorfer, Direktor der „Beobachtungsstelle zum Bau des BBT samt Südzulauf“, ist Verzweiflung zu hören.
Denn während Österreich und Italien bei Brenner-Basistunnel (BBT) und BBT-Zubringern auf der Überholspur fahren, befindet sich Deutschland scheinbar auf dem Standstreifen. Brennerbasistunnel sowie die neuen Bahnstrecken auf Tiroler und Südtiroler Seite werden in den nächsten Jahren fertig gebaut sein. Möglich, dass beim Brenner-Nordzulauf in der Region Rosenheim die Bauarbeiten dann noch noch nicht mal angefangen haben. „Deutschland ist ein Problem“, sagt Ausserdorfer.
Eines ist sicher: Die Tiroler setzen weiter auf Blockabfertigung
Die Eile der Nachbarn hat einen Grund. Denn die Tour über den Brenner ist an immer mehr Tagen eine Fahrt in den Wahnsinn. Urlauber ohne Ende, dazu stetig zunehmender Güterverkehr – die wichtigste Nord-Süd-Achse Europas droht vor Überlastung zu bersten.
Dabei liegt das Schlimmste noch vor den Menschen in Inntal und Wipptal: Ab 2025 wird mit der Lueggbrücke ein zentraler Punkt der Brenner-Autobahn saniert. Zu erwarten ist, dass Tirol dann die Zahl der Blockabfertigungstermine kräftig nach oben schrauben wird – sehr zum Ärger vieler Menschen auch aus der Region Rosenheim, die auf die Inntalautobahn oder die A8 angewiesen sind. Aber, so sagt Ausserdorfer, da müsse man Realist sein: „In Österreich wird niemand nachgeben.“
Der Brenner-Basistunnel: Er soll Rettung vor dem Kollaps bringen
Deswegen richten sich auf den Basistunnel so viele Hoffnungen. Mit ihm soll die wichtigste Passstraße Europas von einem Großteil des Güterverkehrs entlastet werden. Italien und Österreich bauen die Bahnzubringer dazu vierspurig aus.
Dagegen ziehen viele Menschen in der Region Rosenheim eine Ertüchtigung der Bestandsstrecke vor. Lediglich Engstellen sollen umfahren werden. Und damit Rosenheim nicht zum Flaschenhals für den Güterverkehr wird, fordert unter anderem der frühere Bundesbahn-Direktor Gerhard Müller einen Tunnel unter dem Bahnhof Rosenheim.
Fertig im Jahre 2040? Bahn bleibt bei Zeitplan
Allerdings pochen die Verantwortlichen bei der Deutschen Bahn bei allen Diskussionen weiterhin auf ihren Zeitplan. 2025 sollen die Planungsunterlagen für den Brennern-Nordzulauf dem Bundestag vorgelegt werden. 2040 sollen die neuen Gleise fertig sein. Schon acht Jahre zuvor wird der längste Eisenbahntunnel der Welt den Betrieb aufgenommen haben. Die schrittweise Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene wollen die Bahn-Verantwortlichen durch Ausnutzung letzter Ressourcen auf der Bestandsverbindung bewältigen. Viel Spielraum über 2040 hinaus ist nicht da.
Brenner-Basistunnel zu drei Vierteln ausgebohrt
Wie weit die Nachbarn beim Jahrhundert-Verkehrsprojekt sind, sieht man am besten beim Herzstück des Ganzen, dem Brenner-Basistunnel selbst. Von 230 Tunnelkilometern insgesamt sind rund 180 mittlerweile ausgebrochen. Innerhalb der nächsten drei Jahre dürften die reinen Bohrarbeiten abgeschlossen sein. Derzeit wird an fünf Baustellen gearbeitet, drei auf österreichischem und zwei auf italienischem Staatsgebiet.
Italien meldet: „Wir haben extrem viel erreicht“
„Wir haben extrem viel erreicht“, sagt Martin Ausserdorfer über die italienischen Bemühungen, „es geht viel schneller voran, als wir zu träumen gewagt hätten.“ Die Planungen für die überwiegend unterirdischen Stadtumfahrungen sind weit gediehen, in Brixen soll im Herbst die Tunnelbohrmaschine anrücken. Auch an der Anschlussstelle Franzensfeste sind die Vorarbeiten weit vorangeschritten, „wir werden dort vor der Inbetriebnahme des Brenner-Basistunnels fertig sein“, sagt Ausserdorfer. Nicht selten ist die Behauptung zu hören, die Italiener setzten überwiegend lediglich auf die Ertüchtigung der Bestandsgleise. „Das höre ich auch öfter, aber das ist Blödsinn“, sagt Ausserdorfer.
Österreich hat seine Hausaufgaben bald abgeschlossen
Die Österreicher biegen demnächst auf die Schlussgerade ein. Mittlerweile haben sie die Arbeiten zum Rohbaustollen Angath in Angriff genommen. Es handelt sich um die erste große Maßnahme für den zweiten Ausbauschritt des österreichischen Brenner-Nordzulaufs, die Verbindung zwischen Schaftenau und Radfeld.
Der Rohbaustellen dient einerseits der Erkundung des Gesteins. Andererseits soll über ihn später die Baustelle für den Haupttunnel erschlossen werden. Danach soll er als Rettungsstollen dienen. In zwei Jahren sollen die Arbeiten am Rohbaustellen abgeschlossen sein. Bereits 2024 soll die aufwändige Verbindung zwischen dem Brenner-Basistunnel und dem Hauptbahnhof Innsbruck durch die Sillschlucht fertiggestellt sein. Dazu haben die Österreicher eine ganze Bergflanke abgetragen, die nach dem Bau eines Tunnels wiederhergestellt wird.
Der erste Abschnitt des Tiroler Brenner-Nordzulaufs im Inntaltunnel war übrigens bereits 1994 fertig geworden, der zweite 2012. Im selben Jahr hatten Österreich, Italien und Deutschland den Rosenheimer Vertrag unterzeichnet – die eigentliche Gründungsurkunde der neuen Schienen-Achse.
Region Rosenheim: Bürgerinitiativen rüsten zum Widerstand
Offen ist, wann im Inntal der grenzunterschreitende Tunnel zwischen Kirnstein und Schaftenau gebaut wird. Denn da sind die Österreicher darauf angewiesen, dass ihre deutschen Partner mitziehen. Die haben derweil noch einige Überzeugungsarbeit zu leisten. Vor allem im Landkreis Rosenheim, aber auch im Landkreis Ebersberg hat der Brenner-Nordzulauf weiterhin viele Gegner.
Viele von ihnen haben sich unter dem Dach des Brenner-Dialogs gesammelt. Nun, da bekannt geworden ist, wo und wie die Bahn die Infrastruktur für das Milliarden-Projekt errichten wird, dürfte sich der Widerstand gegen die Pläne der Bahn nochmals verstärken.
Wie hältst du‘s mit dem Brenner-Nordzulauf? Gretchenfrage an die Politiker
Während der Sommermonate sei es schwierig, die Menschen zu Protest-Veranstaltungen zusammenzutrommeln, sagt Lothar Thaler, Vorsitzender des Brenner-Dialogs. Doch mit dem Ende der warmen Jahreszeit bringen sich die Trassen-Gegner auf Betriebstemperatur. Landtags-Kandidaten aus der Region Rosenheim sollen sich in zwei Podiumsdiskussionen zum Brenner-Nordzulauf äußern: am 13. September in Tattenhausen, am 15. September in Rohrdorf, rechtszeitig vor der Landtagswahl am 8. Oktober.
Außerdem denke man weiter über rechtliche Schritte nach, sagt Thaler. „Wir haben Signale erhalten, wonach unsere Chancen gar nicht schlecht stehen.“