Hochwasser überflutet 2013 Bad Aiblinger Wasserschutzgebiet
Gefahr für 120.000 Menschen: Wenn Hochwasser das Wasser abdreht – Martin Ranner erinnert sich
Es war eine Jahrhundertflut, die vor zehn Jahren in Stadt und Landkreis Rosenheim große Schäden anrichtete. Ein Brennpunkt: der Bad Aiblinger Ortsteil Willing, wo die Trinkwasserversorgung für rund 120.000 Menschen in den Einzugsgebieten der Städte Rosenheim, Kolbermoor und Bad Aibling in Gefahr geriet.
Bad Aibling - Von einer „einzigen Drecksbrühe“, die sich über die Flur des Willinger Wasserschutzgebietes ergoss, spricht der ehemalige Landtagsabgeordnete Sepp Ranner. Er hat noch heute die gewaltigen Wassermassen vor Augen, die sich mit rasender Geschwindigkeit vom Irschenberg aus unaufhaltsam ihren Weg ins Tal bahnten. „Der gesamte Bereich von Götting bis Pullach glich einer Seenlandschaft“, erinnert sich Ranner.
Ich habe zu Hause die Tiere versorgt, und nach der Stallarbeit habe ich meinen Kameraden wieder beim Kampf gegen die Flut geholfen
Auch sein Bauernhof, der in Mitterham bei Willing steht und auf dem der 83-Jährige als Austragler lebt, wurde in Mitleidenschaft gezogen. Sein Sohn Martin (50), der heute die Landwirtschaft betreibt und seit Jahren ehrenamtlich bei der Willinger Feuerwehr tätig ist, pendelte damals zwei Tage lang zwischen dem heimischen Stall und den Einsatzfahrzeugen der Wehr. „Ich habe zu Hause die Tiere versorgt, und nach der Stallarbeit habe ich meinen Kameraden wieder beim Kampf gegen die Flut geholfen“, berichtet er.
Gesamter Fahrsilo-Bereich war überschwemmt
Das Wasser, das auch vor seinem eigenen Hab und Gut nicht Halt gemacht hatte, bekämpfte Martin Ranner gleichsam im Alleingang. „Damit wollte ich meine Kameraden nicht auch noch belasten“, erzählt er. Der gesamte Fahrsilo-Bereich des Bauernhofes war damals überschwemmt, von da aus bahnte sich die Brühe ihren Weg über den Stall in Richtung Wohnhaus.
Einer der größten Einsätze in der knapp 150-jährigen Geschichte
„Das habe ich alles selber weggepumpt“, erinnert sich Ranner und ist froh, dass die Familie „mit einem blauen Auge davongekommen ist“. Ein Fazit, das Vater und Sohn im Grunde für ganz Willing ziehen - auch wenn die örtliche Feuerwehr wegen des Hochwassers einen der größten Einsätze in ihrer mittlerweile knapp 150-jährigen Geschichte absolvieren musste. Rund 50 ehrenamtliche Floriansjünger waren nach seiner Erinnerung tagelang praktisch rund um die Uhr gefordert, pumpten etliche Dutzend Keller und Garagen leer und beseitigten Flurschäden. Gegen die Verwüstung im Bereich des Wasserschutzgebietes war die Feuerwehr machtlos. Es dauerte Tage, ehe das Wasser im Erdreich versickerte.
Feldbach trat über die Ufer
Verantwortlich für die Schäden im Ort war der Feldbach, der über die Ufer getreten war. Neben dem Ortskern von Willing waren vor allem die Häuser am Mühlbachring in Mitleidenschaft gezogen worden. „Glücklicherweise wurde niemand verletzt“, ist sich Martin Ranner mit seinem Vater einig. „Wichtig für Willing und die gesamte Stadt war“, dass die Mangfall nicht dramatisch über die Ufer getreten ist. In Kolbermoor und Rosenheim war alles viel schlimmer“, weiß Bad Aiblings Altbürgermeister Felix Schwaller, der damals noch im Amt war und den Einsatz der zahlreichen Rettungskräfte vor Ort mitverfolgte.
Damit sich das Gewässer bei Starkregenereignissen gefahrlos besser ausbreiten könne und der Feldbach nicht mehr so schnell überlaufe, habe man schon bald nach dem Hochwasser eine „pragmatische Lösung“ mit einem Landwirt gefunden. Mit Ausbaggern sei dies getan gewesen, so Schwaller.
Feuerwehr hat zahlreiche Einsatzfotos
Zahlreiche Fotos vom dem Hochwasser-Einsatz, die sie in digitaler Form vorliegen hat, werden die Willinger Feuerwehr immer an dieses Kapital ihrer Geschichte erinnern. In Erinnerung bleibt den Aktiven von damals laut Martin Ranner auch die große Solidarität und Hilfsbereitschaft im Dorf - wenngleich er sich noch heute über die ein oder andere Ausnahme ärgert. „Da gab es schon auch Leute, die haben nur gescheit dahergeredet und keinen Finger gerührt.“
Für Verärgerung aus einem anderen Grund sorgte das Hochwasser später nicht nur bei seinem Vater, sondern auch bei etlichen Landwirten. Grund waren behördliche Anordnungen zur Verbesserung des Trinkwasserschutzes, die erfolgt sind, nachdem als Folge der Überflutung eine Verkeimung des Wassers mit Coli-Bakterien festgestellt worden war. Das wertvolle Nass musste als Folge davon einige Tage abgekocht werden.
Man hat die Schuld einfach den Bauern in die Schuhe geschoben
„Man hat die Schuld einfach den Bauern in die Schuhe geschoben“, sagt der CSU-Politiker, der Mitglied des Agrarausschusses im Landtag war und viele Jahre auch als Kreisobmann an der Spitze des Bayerischen Bauernverbandes im Landkreis Rosenheim stand. Nach dem Nachweis der Verkeimung wurden Bestimmungen verschärft und in gewissen Bereichen des Schutzgebietes zusätzliche Verbote erlassen. So wurde beispielsweise jenes Areal um mehrere hundert Hektar erweitert, in dem Bauern keine Gülle mehr ausbringen dürfen. Auch ein Spaziergang mit dem Hund ist seither nicht mehr in allen drei Zonen erlaubt, in die das Gebiet unterteilt ist.
„Dass bei dem Unwetter Tausende tote Mäuse angeschwemmt wurden und sich Tierkot auch im Schutzgebiet nie vermeiden lässt, wurde da gar nicht berücksichtigt“, erzürnt sich Ranner noch heute. Er ist überzeugt, dass nicht Belastungen seitens der Landwirtschaft, sondern ausschließlich verschmutztes Oberflächenwasser, das bei dem Unwetter in die Brunnen eindrang, der Grund für das Auftreten der Coli-Bakterien war.
Zahlenbeispiel dient als Beleg für These
Die Unschuld der Landwirte belegt er mit einem Zahlenbeispiel. Vor 30 Jahren lag der Nitratgehalt des Willinger Wassers seiner Kenntnis nach bei 19 Milligramm pro Liter, mittlerweile ist er auf neun Milligramm gesunken. Die gültige EU-Richtlinie zum Wasserschutz sieht einen Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter Wasser vor. „Das zeigt doch, die Bauern passen auf das Wasser auf.“ Schließlich bezögen rund 120.000 Menschen aus den Einzugsbereichen der Städte Rosenheim, Bad Aibling und Kolbermoor das wichtige Lebenselixier aus den Vorkommen in der Willinger Au, für die die Bauern Mitverantwortung trügen. Anerkennende Worte findet er allerdings für die Tatsache, dass die Landwirte eine angemessene Entschädigung für die Beeinträchtigung ihrer Arbeit aufgrund des Wasserschutzgebietes erhalten.
Parallelen zum Hochwasser im Jahr 1946
Der ehemalige Landtagsabgeordnete zieht Parallelen zu einem ähnlich dramatischen Hochwasser, von dem Willing im Jahr 1946 heimgesucht wurde. „Da haben die Leute auch den Bauern die Schuld für die Wasserverunreinigungen angelastet.“ Allzu lange sei kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach den Aufräumarbeiten, die er als Bub miterlebte, freilich nicht über diese Thema diskutiert worden. „Damals waren der Hunger, die Vielzahl der Flüchtlinge und das Schicksal der Kriegsinvaliden und deren Zukunft die vorherrschenden Probleme, die die Menschen bewegt haben.“
Nicht nur die Stadt Bad Aibling hat ihre Lehren gezogen
„Nicht nur die Stadt Bad Aibling hat ihre Lehren gezogen.“ So sieht das Fazit des heutigen Bürgermeisters Stephan Schlier aus, wenn er die Erkenntnisse aus den Ereignissen von 2013 mit dem Blick in die Zukunft verknüpft. An der Mangfall beispielsweise seien zwischenzeitlich zahlreiche neue Schutzmaßnahmen verwirklicht worden. „Die ist sicher nicht mehr unser größtes Problem“, sagt Schlier. Die Stadt habe ihr Augenmerk deshalb vor allem auf die kleineren Gewässer gerichtet, beispielsweise den ökologischen Ausbau der Glonn. Eine interaktive Gefahrenkarte oder zusätzliche Messstellen, an denen die aktuellen Pegelstände abgelesen werden können, gehörten ebenfalls zum Maßnahmenpaket.
Verwaltungsgericht hebt Verordnung auf
„Hochwasserschutz bleibt für uns eine Daueraufgabe“, so Schlier. Ein Grund, warum die Stadt Bad Aibling zusammen mit Rosenheim und Kolbermoor 2021 einen neuen Anlauf unternommen hat, für die Willinger Au eine rechtssichere Wasserschutzverordnung auf die Beine zu stellen. Die Fassung, die 2016 in Kraft trat und eine bis dahin gültige Allgemeinverfügung mit Schutzmaßnahmen ablöste, wurde laut Rathauschef im März 2020 nach einer Klage vom Verwaltungsgericht aufgehoben.
Erster Erörterungstermin im Herbst
Die Richter bemängelten damals einen Formfehler bei der Auslegung und eine unzureichende Abwägung von Alternativen beim Erlass von Maßnahmen. Die neue Satzung soll jetzt im übertragenen Sinne wasserdicht werden. Ihre Auslegung soll laut Schlier noch im Sommer erfolgen, ein erster Erörterungstermin könnte dann im Herbst stattfinden. Auch wenn er auf politischer Ebene längst ebenfalls ein Austragler ist, Sepp Ranner dürfte ihn sich wohl nicht entgehen lassen.

