Sozialforum in Sorge
200 weitere Flüchtlinge in Wasserburg erwartet: Warum Helfer bald am Ende ihrer Kraft sind
Der großen Mehrheit der Wasserburger geht es gut - selbst in schwierigen Zeiten. Doch es gibt auch in der Innstadt Menschen, die Hilfe benötigen. Diese koordiniert und vernetzt das Sozialforum. Wichtigstes Thema derzeit: die Betreuung der Flüchtlinge. Die Helfer haben die Belastungsgrenze erreicht.
Wasserburg - „Als Bürgermeister mit einem sozialen Gewissen kann man nicht nein sagen“, unterstreicht Michael Kölbl, dass die Stadt die Umwandlung der früheren Romed-Klinik in eine Flüchtlingsunterkunft unterstützt. Denn das Gebäude biete sich aufgrund der Infrastruktur - Zimmer mit Duschen, Küche, Gemeinschaftsräume, viel Platz, alle Versorgungsanlagen vorhanden - an. Trotzdem war im Sozialforum, das im Bürgerbahnhof tagte, auch dem Rathauschef anzumerken, dass er sich Sorgen macht.
200 weitere Flüchtlinge werden erwartet. Und nach wie vor ist wenig bekannt ist, so Kölbl: Wird es ein Ankerzentrum, in dem Geflüchtete nur wenige Tage verbringen, bevor sie weiterverteilt werden? Wird es eine Gemeinschaftsunterkunft der Regierung von Oberbayern? Oder eine „normale“ Unterkunft des Landkreises? Auch wann die Containeranlage, die bereits neben dem alten Romed-Gebäude aufgebaut worden ist und 48 Wohnplätze anbietet, belegt wird, ist laut Kölbl noch offen. Das Landratsamt Rosenheim teilt auf Anfrage der Wasserburger Zeitung mit, dass die Abnahme der Anlage Mitte April stattfinden wird. Was Kölbl definitiv sagen konnte im Sozialforum: „Das Ehrenamt ist ziemlich ausgereizt“, will heißen: Es bereitet Probleme, weitere Helferinnen und Helfer für die Betreuung der Flüchtlinge zu finden.
Patenkreis Asyl wird 10 Jahre alt
Monika Barthold-Rieger vom Patenkreis Asyl ist trotz der Überlastung bemüht, einen weiteren Helferkreis für die Containeranlage aufzubauen, berichtete sie. Im März sei ein erstes Treffen zur Koordination der weiteren Arbeit geplant. Der Patenkreis wird heuer zehn Jahre alt - ein Jubiläum, das ausnahmsweise nicht Freude auslöst, sondern Traurigkeit, sagt sie. Zu gerne hätte Barthold-Rieger vermeldet, dass die Helferinnen und Helfer nicht mehr notwendig seien. Doch nicht nur aus der Ukraine, auch aus vielen anderen Ecken der Welt kommen weiter Flüchtlinge nach Bayern und Wasserburg.
Drehschreibe für die Beratungen und Hilfsaktionen ist laut Jonas Glonnegger, Vorstand der Stiftung Attl und Mitglied im Sozialforum, der Bürgerbahnhof. Er hatte bereits bei der Ankunft der ersten Flüchtlinge aus der Ukraine vor einem Jahr die Arbeit koordiniert. Leiterin Ethel D. Kafka war sogar vor Ort in der zur Unterkunft umgewandelten Realschulturnhalle tätig gewesen.
Elena Lichtenwalder von der Caritas-Migrationsberatung in Wasserburg beklagt ebenfalls die Überlastung der Mitarbeitenden. Früher sei ein Berater für 150 Klienten zuständig gewesen, mittlerweile kümmere sich eine Fachkraft um bis zu 450 Ratsuchende. „Wir sind weit über unserer Kapazitätsgrenze angelangt“, sagt sie. Großes Problem: die Wohnungssuche. Viele Flüchtlinge auch aus der Ukraine haben übergangsweise zwar eine Bleibe gefunden, suchen jedoch verzweifelt nach Langzeitmietverträgen. Ebenfalls Bedarf bestehe in punkto Beratung bei psychosozialen Problemen als Folgen des Kriegs, berichtete Lichtenwalder.
Tafel kein Grundversorger
Der neue Leiter der Wasserburger Tafel, Andreas Geiger, stellte außerdem klar, dass diese keine Personalkapazitäten frei habe, um bis zu 200 weitere Menschen zu versorgen. Es gebe keinen Aufnahmestopp bei der Tafel, doch die Ehrenamtlichen kämen an ihre Grenzen - auch weil das Personal - das Durchschnitttsalter liege bei 66 Jahren, die älteste Aktive sei 84 - bereits jetzt bis an der Belastungsgrenze im Einsatz sei. Die Anzahl der Kunden hat sich im vergangenen Jahr nach Informationen von Geiger verdoppelt: auf 200. Zunehmend bereite der Tafel auch die Lebensmittelorganisation trotz großer Unterstützung durch die Wasserburger Molkereien und Supermärkte aus der Region Probleme. 2022 habe der Verein unter dem Dach der Diakonie für etwa 30.000 Euro Produkte zukaufen müssen, das könne er nur aufgrund der großen Spendenbereitschaft in Wasserburg. Fest stehe außerdem: „Wir sind keine Grund-, sondern ein Zusatzversorger.“
Gute Nachrichten gab es zum Thema Obdachlosigkeit in Wasserburg: Sie ist laut Bürgermeister Michael Kölbl gar nicht mehr vorhanden - auch dank des großen persönlichen Einsatzes des VdK-Vorsitzenden Joachim Boy, der im Bürgerbahnhof ehrenamtlich aushilft. Er habe sich für die Betreuung so eingesetzt, dass er die dafür geschaffene Stelle quasi selbst abgeschafft habe, so Kölbl. Präventiv tätig ist außerdem die Fachstelle zur Verhinderung der Obdachlosigkeit bei der Diakonie, die regelmäßig Sprechstunden im Bürgerbahnhof anbietet, und der Internationale Bund.
Lennox kein Einzelfall
Auf ein Problem wies im Sozialforum noch Jonas Glonnegger, Vorstand der Stiftung Attl, hin: Sie hat die Frühförderstelle in Wasserburg übernommen, diese kümmert sich um Kinder im Vorschulalter. Hier falle auf, dass es immer häufiger vorkomme, dass Eltern wie im Fall Lennox aus Edling der Kitaplatz gekündigt werde, so Glonnegger. Grund seien verstärkt auftretende Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern, bedauerter er.
Bürgerbahnhof
35 Organisationen hatte Ethel D. Kafka, Leiterin des Bürgerbahnhofs, zum Sozialforumstreffen geladen. Fast alle hatten Vertreter geschickt, die aus ihrer Arbeit berichteten. Die Fäden des Sozialforums laufen im Bürgerbahnhof zusammen. Dieser hatte gemeinsam mit dem Forum beispielsweise ein Regelwerk aufgestellt, nach dem die Stadt auf Antrag in Härtefällen einen Energiekostenzuschuss bereitstellt für Menschen, die die gestiegenen Preise in finanzielle Nöte bringen. Noch ist laut Kafka kein Antrag eingetroffen, sie geht jedoch davon aus, „dass die Welle noch kommt“.
Der Bürgerbahnhof ist in Wasserburg die Anlaufstelle für alle Menschen mit sozialen Problemen. Er berät und ermöglicht auch anderen sozialen Dienstleistern, vor Ort Sprechstunden anzubieten. Im Januar und Februar fanden im Bürgerbahnhof 190 Beratungen statt, 33 Prozent bei Sonderterminen außerhalb der üblichen Zeiten. 41 Prozent aller Klienten, die sich Hilfe holen, sind laut Leiterin Kafka Senioren.
Der Bürgerbahnhof berät jedoch auch Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen: Die Nachfrage in diesem Bereich steigt wieder, freut sich Kafka. Sogar junge Bürgerinnen und Bürger sind dabei: 30 nehmen heuer am Freiwilligen Sozialen Schuljahr teil - so viele wie noch nie zuvor. Die Mittel- und Realschüler helfen ehrenamtlich aus im Sport, in der Kinderbetreuung, im Tierheim oder im Mehrgenerationenhaus.
Sehr gut angenommen wird außerdem das Café Ratsch, ein alle zwei Wochen stattfindender neuer offener Seniorentreff im Bürgerbahnhof. Er ist ein Beispiel für die Zusammenarbeit mehrerer in der Seniorenarbeit tätiger Mitglieder im Sozialforum.
Das ist das Sozialforum
Das Wasserburger Sozialforum ist ein Zusammenschluss von 35 Trägern sozialer Dienste, Wohlfahrtseinrichtungen und Beratungsstellen. Es tagt zwei Mal im Jahr. Ziel ist die Vernetzung und der Erfahrungsaustausch. Mitglieder sind unter anderem die Awo, der Jugendtreff Innsekt, die Caritas, der Kinderschutzbund, die Diakonie, die Ehe-, Familien- und Lebensberatung, die evangelische und katholische Kirche, der Internationale Bund, der Integrationsfachdienst, Jugend in Arbeit, die Johanniter, das Mehrgenereationenhaus, das Patenprojekt Asyl, die Polizei Wasserburg, die Rosenheimer Aktion für das Leben, Donum Vitae, Startklar, die Stiftung Attl, das Kbo-Inn-Salzach-Klinikum, die Tafel, die VHS und der VdK. Das Sozialforum tagt im Bürgerbahnhof unter Leitung von Ethel D. Kafka. Bei den Treffen berichten Vertreter der Mitgliedsorganisationen und -verbände aus ihrer Arbeit.