Verschiedene Standpunkte in der Kommunalpolitik
„Overtourism-Scheiß“ oder „dringender Handlungsbedarf“? Meinungen zur Studie gehen auseinander
Die Ergebnisse der Studie zur Tourismusakzeptanz beschäftigen auch die Kommunalpolitik. Die Bürgermeister aus dem Talkessel sind nicht überrascht von den Ergebnissen. Im Gemeinderat Berchtesgaden gibt es durchaus relativierende Stimmen, nicht jeder Vorwurf der Einheimischen kann nachvollzogen werden. Kritik gibt es auch am Zeitpunkt der Umfrage. Und eine Familie aus dem baden-württembergischen Buchen meldet sich zu Wort und schildert von ihrer schwierig gewordenen Suche nach einer bezahlbaren Übernachtungsmöglichkeit. Ihre Botschaft ist eindeutig.
Berchtesgaden - Die Lösung von Verkehrsproblemen und mehr Wohnraum für die Einheimischen gehörten zu den größten Anregungen der Tourismusakzeptanzstudie, die Mitte März im Rahmen des Gastgebertages vom Bergerlebnis Berchtesgaden vorgestellt wurden. Über 1500 Personen, hauptsächlich aus dem Talkessel, beteiligten sich an der repräsentativen Studie und gaben damit ein subjektives Stimmungsbild ab. Ein Bild, zu dem es auch unterschiedliche Meinungen gibt, wie unter anderem am Dienstagabend in der Sitzung des Berchtesgadener Gemeinderates deutlich wurde.
Josef Wenig (Freie Wähler), der als Stellvertreter des verhinderten Bürgermeisters Franz Rasp durch die Sitzung führte, erklärte: „Manche Ergebnisse sind überraschend, viele davon aber eigentlich nicht. Wir alle wissen, dass wir mehr Wohnraum benötigen.“ Die Studie sei auch deshalb spannend, weil man sich fragen müsse, ob der Tourismus vor allem bei den jüngeren Einheimischen überhaupt noch gewollt sei.
„Bergerlebnis macht viel und informiert genügend“
Wenig: „Dass vielen Teilnehmern die eigenen Vorteile nicht bewusst sind, kann ich nicht nachvollziehen. Das Bergerlebnis macht viel und informiert genügend.“ Die Verkehrsproblematik könne man auch anders sehen: Lieber stehe er fünf Minuten im Stau, „als wenn bei uns in Berchtesgaden gar nichts los ist und Geschäfte schließen müssen“.
Lieber stehe ich fünf Minuten im Stau, als wenn bei uns in Berchtesgaden gar nichts los ist und Geschäfte schließen müssen.
Gemeinderat Bartl Wimmer (Grüne) kennt als Vorsitzender des Zweckverbands Bergerlebnis die Studienergebnisse bestens und lobte die hohe Beteiligung. „Der hohe Rücklauf an Antworten zeigt, wie groß und dringend der Handlungsbedarf ist“, meinte er. Man sei gut beraten, die Ergebnisse als repräsentativ zu betrachten und ernst zu nehmen. Der Tourismus sei sicherlich nicht der einzige Grund für den mangelnden Wohnraum, aber: Für ihn werde dieses Thema eher zu langsam als zu schnell angegangen. „Das kann nicht die Aufgabe vom Zweckverband sein, sondern da ist die gesamte Politik, über Gemeindegrenzen hinweg, gefordert. Sonst erleben wir vielleicht Zustände wie auf Mallorca“, meinte er mit Blick auf die Proteste im Urlaubsparadies.
„Wehre mich gegen diese Overtourism-Scheiß“
Eine andere Meinung vertrat Hans Kortenacker (Berchtesgadener Bürgergruppe). Für ihn stellte sich die Beteiligung alles andere als berauschend dar. Zudem sei bei manchen Antworten auch häufig „Weiß nicht“ ausgewählt worden. „Ich wehre mich gegen diesen Overtourism-Scheiß und die ,Kitzbüheliesierung‘ unserer Region. 97 Prozent der Befragten leben schließlich gerne hier“, betonte Kortenacker.
Man werde es aushalten müssen, wenn man für wenige Minuten im Stau stehe, wenn zeitweise mehr Touristen vor Ort unterwegs sind. „Uns geht es im Vergleich zu anderen Regionen sehr gut. Ich sehe keine Gefahren und wir wollen Tourismusstandort bleiben. Und für die Erkenntnisse, dass der Wohnraum und ÖPNV Problemfelder sind, hätte es keine Studie gebraucht.“ Das sei schon seit Jahrzehnten bekannt.
Verlust der positiven Außendarstellung befürchtet
Michael Koller (Freie Wähler) nannte die Studie „aufschlussreich“, denn er hatte eigenen Angaben zufolge erwartet, „dass die positiven Auswirkungen des Tourismus den mehr Einheimischen bewusst sind“. Die Ergebnisse müssten ernst genommen werden, doch gleichzeitig warnte er davor, dass der Standort Berchtesgaden sein positives Bild für Touristen nicht verliere. „Wir müssen bei der Außendarstellung aufpassen, damit sich Touristen nicht abgewiesen und nicht mehr willkommen fühlen.“ Er fügte hinzu, dass das Abstimmungsverhalten eventuell anders ausgefallen wäre, wenn die Umfrage nicht im Oktober durchgeführt worden wäre, sondern zu einem anderen Zeitpunkt.
Das merkte auch Katharina Mittner (SPD) an, denn: „Nach dem Sommer sind wahrscheinlich einige ausgelaugt und genervt von den viele Touristen. Oder diejenigen, die in der Branche arbeiten, sehen nur die persönlichen Einschränkungen, weil sie vielleicht wegen Personalmangels häufiger arbeiten mussten oder sogar aus dem Urlaub geholt wurden.“ Sie betonte, dass es dank Social Media mittlerweile auch keine „Insider“-Standorte mehr für die Einheimischen gebe, um sich zurückzuziehen.
„Lebensabschnitte beeinflussen das Stimmungsbild“
Genauso wie Mittner bemängelte auch Iris Edenhofer (Grüne) die Alterseinteilung der Befragten (bis 29 Jahre, 30 bis 64 Jahre und ab 65 Jahren). „Ich halte das für extrem schwierig, denn zwischen 30 und 64 gibt es zu viele unterschiedliche Lebensabschnitte, welche das Stimmungsbild beeinflussen“, meinte Edenhofer.
Das meinen die Bürgermeister aus Bischofswiesen und Schönau am Königsee
Sowohl für Thomas Weber (Bischofswiesen) als auch für Hannes Rasp (Schönau am Königsee) waren die Ergebnisse der Studie nicht überraschend, wie die beiden Bürgermeister mitteilen. „Wir haben Herausforderungen, die gelöst werden müssen. Dazu zählt vor allem der fehlende bezahlbare Wohnraum und die Verkehrssituation. Wobei der Verkehr nur subjektiv ein Problem darstellt, wenn man die Verkehrsprobleme mit anderen Regionen vergleicht“, findet Weber. „Die Stimmung in der Region ist spürbar.“ Der Bedarf werde „sehr ernst genommen“. Weber erklärt: „Einzig die Umsetzung dieser großen Herausforderungen lässt sich nicht kurzfristig lösen. Wir arbeiten aber an diesen Lösungen.“
Beim Thema Verkehr sei vor mehreren Jahren einen Rufbus eingeführt worden, um die Attraktivität des ÖPNV zu stärken. Gäste könnten kostenfrei mit dem ÖPNV fahren und im besten Fall ihr Auto bereits zu Hause stehenlassen. „Gemeinsam mit dem Bergerlebnis und dem Landratsamt erarbeiten wir weitere Lösungen zur Steigerung der Attraktivität des ÖPNV. Mit der Watzmann Natur Energie haben wir das E-Carsharing eingeführt, mit dem Ziel, auf das Zweitauto zu verzichten“. Weber glaubt nicht, dass im Berchtesgadener die Stimmung gegenüber dem Tourismus so kippt wie in anderen Regionen. „Allerdings müssen wir die Kommunikation dahingehend optimieren, um gerade den Jüngeren das tatsächlich vorhandene Angebot bekannter zu machen. Auch die Bedeutung des Tourismus für unsere Region muss deutlicher herausgestellt werden. Zahlreiche Angebote wären ohne ihn nicht da – werden aber als selbstverständlich angesehen.“
Auch in Schönau war die Verwaltung in der Vergangenheit nicht untätig, wie Rasp aufzeigt. „Im Dezember 2019 hat die Gemeinde das Konzept ,Aufbruch in die neuen 20er‘ beschlossen, das sich mit den nachhaltigen Themen wie Energie (Reduzierung der Treibhausgase), Verkehr und Wohnraum befasst.“ Beim Thema öffentlichen Verkehr verweist der Bürgermeister auf die deutliche Ausweitung der Ringlinie Schönau, welche seit dem 10. Dezember gilt. Der Fahrpreis für Erwachsene betrage zwei Euro für alle Fahrten im Gemeindegebiet bis zum AlpenCongress in Berchtesgaden. Den Differenzbetrag finanziere die Gemeinde, genauso wie die Taktverdichtung.
Rasp: „Wir sind die Themen bereits im Vorfeld angegangen und haben einen Beitrag zur Schaffung von Wohnraum geleistet. Nachdem die Gäste mit Gästekarte die Busse kostenlos nutzen dürfen, wird sich dies bei dem erheblich erweiterten Angebot zusätzlich positiv auf den Verkehr auswirken.“
Teresa Hallinger (Leiterin Destinationsmanagement) und Maria Angerer (Leiterin Tourist-Information), welche dem Gremium eine verkürzte Zusammenfassung der Studienergebnisse präsentiert hatten, nahmen die Anregungen gerne auf. „Wir wollen eine solche Befragung alle zwei oder drei Jahre durchführen, um die Entwicklung der Akzeptanz zu beobachten. Natürlich ist uns auch bewusst, dass die subjektive Wahrnehmung der Bevölkerung eine andere ist, als es die realen Zahlen tatsächlich hergeben.“ Daher sollen künftig in der öffentlichen Kommunikation unter anderem die allgemeinen, aber vor allem die persönlichen Vorteile des Tourismus stärker hervorgehoben werden.
„Fahren seit über 18 Jahren drei bis vier Mal im Jahr ins schöne Berchtesgaden“
Zur Studie gab es auf den Social-Media-Kanälen von BGLand24 auch zahlreiche Kommentare, die ähnlich wie in der Kommunalpolitik die unterschiedlichen Meinungen zum Thema verdeutlichten: Von „Ausverkauf unserer Heimat“ und „Bleiben dem BGL erstmal fern“ bis hin zu „Die Geister, die ich rief“ und „Jetzt jammert man“ waren viele Standpunkte zu lesen. Auch die Familie Langer aus Buchen (Baden-Württemberg) meldete sich zu Wort. „Seit über 18 Jahren fahren wir drei bis vier Mal im Jahr in das schöne Berchtesgaden. Wir sind immer sehr dankbar, dass es den Bus gibt, mit dem man fahren und das Auto dafür stehen bleiben kann“, erklärt Viktoria Langer.
„Die letzten Jahre mussten wir aber leider feststellen, dass es für ,normale‘ Urlauber wie uns schwierig wird“, schildert sie. „Die Preise in den Hotels und Pensionen steigen mega an. Wenn man in der Ramsau oder in der Oberau übernachten will, hat man immer ein Busproblem.“ Also schaue man sich nach einer Übernachtungsmöglichkeit in Berchtesgaden um. „Dort sind Preise für eine vierköpfige Familie nicht bezahlbar. Eine billige gute Pension kostet circa 200 Euro die Nacht für vier Personen. Das sind in einer Woche 1400 Euro ohne Essen“, berichtet sie von ihren Erfahrungen. Und wenn man im Urlaub sei, wolle man doch auch nicht jeden Abend selbst kochen.
„Da überlegt man sich, ob man nicht doch in den Flieger steigt und einen All-inclusive-Urlaub für 2000 Euro für eine Woche Türkei bucht.“ Es gebe so schöne Plätze in und um Berchtesgaden. Es sei sehr schade, dass man „die normalen Touristen gegen die Reichen austauschen möchte, die dann mit Flip-Flops oder Stöckelschuhen den Berg rauf gehen und dann am Ende noch die Bergwacht kommen muss“. Die Botschaft der Familie ist eindeutig: „Denkt mal an die Normalverdiener, die gerne nach Berchtesgaden kommen und dort ihr Geld ausgeben wollen!“