ABS 38 und München-Rosenheim-Salzburg
„Eine Katastrophe für unsere Region“: Sorgen die Bahnprojekte für noch mehr Verkehrschaos?
Auf Einladung der IHK-Regionalausschüsse Traunstein und Berchtesgadener Land stellte die Deutsche Bahn die Pläne zur Generalsanierung auf der Strecke München-Rosenheim-Salzburg und der Ausbaustrecke 38 München-Mühldorf-Freilassing vor. Die Reaktionen der Unternehmer lassen schon jetzt tief blicken und zeigen: Die Menschen in der Region werden starke Nerven brauchen. Denn damit der Verkehr langfristig auf der Schiene landet, muss er erstmal auf die Straßen ausweichen. Das Verkehrschaos scheint vorprogrammiert.
Anger - Die jahrzehntelangen Versäumnisse aus der Politik in der Verkehrsinfrastruktur kommen nun mit voller Wucht zum Vorschein und könnten für Chaos in der Region sorgen: Bereits im April gab die Deutsche Bahn bekannt, dass sie die Strecke München-Salzburg über Rosenheim ab 2027 über mehrere Monate komplett lahmlegen muss. Und dann gibt es noch die Ausbaustrecke (ABS) 38 München-Mühldorf-Freilassing, über die Gesamtprojektleiter Alexander Pawlik von der DB InfraGO am Dienstagnachmittag im Hans-Peter Porsche Traumwerk in Anger informierte.
Wie dringend der Bedarf ist, zeigten seine Ausführungen zum Zustand: Der Spurplan ist seit 1908 unverändert und das älteste Stellwerk stammt aus dem 18. Jahrhundert. Manche Gleise sind zwischen 110 und 120 Jahre alt. Hinzu kommt die fehlende Elektrifizierung der Gleise und Züge. Doch bis die Dieselzüge verschwinden, wird es noch dauern.
300 bis 400 Millionen Euro pro Abschnitt
Denn der Umfang des Bauprojektes ist enorm, weshalb auch die Vorbereitungen bis hin zu den notwendigen Genehmigungen, Baurechten und Auftragsvergaben viel Zeit in Anspruch nehmen. Über 20 Bahnhöfe und Halte, mehr als 300 Kilometer Oberleitungen sowie rund 170 Brücken werden saniert und erneuert. Mehr als 100 Kilometer neue Gleise kommen hinzu. Und dann sorgt noch der „extrem schwierige Bodengrund“ für zusätzliche Herausforderungen, wie Pawlik erklärte. Das werde dazu führen, dass an manchen Stellen der Untergrund verdichtet werden müsse. „Wir führen bereits Gespräche, wie wir die Baukapazitäten über diesen Zeitraum erfüllen und die Baufirmen aus dem Mittelstand miteinbinden können. Jeder einzelne Abschnitt wird etwa 300 bis 400 Millionen Euro kosten“, verdeutlichte er den Unternehmern.
Die Deutschen Bahn erhofft sich von der ASB 38, einem der drei größten Bahnprojekte in Bayern, kürzere Reisezeiten und pünktlicherer Regionalverkehr, barrierefreier Zugang zu den Stationen, Schallschutz für Anwohner, klimafreundliches Reisen und mehr Kapazitäten für die regionale Wirtschaft. Das soll hauptsächlich mit dem zweigleisigen Ausbau, der Elektrifizierung sowie neuen Geschwindigkeiten bis zu 160 km/h (Tüßling-Freilassing) beziehungsweise 200 km/h (München-Ampfing) gelingen.
Überblick über die wichtigsten Maßnahmen
- Vollständige Rundumerneuerung der bestehenden Bahnstrecken auf den neuesten Stand der Technik
- Durchgehende Elektrifizierung der Strecken von Markt Schwaben über Mühldorf bis nach Freilassing sowie der Abzweig nach Burghausen inklusive Zuführung der Bahnstromleitung und Errichtung von Unterwerken
- Errichtung von leistungsfähigen digitalen Stellwerken der neuesten Bauart
- Erweiterung um ein zweites Gleis auf den noch eingleisigen Abschnitten zwischen Markt Schwaben über Mühldorf nach Freilassing
- Anhebung der Streckengeschwindigkeit auf 200 km/h im West-Abschnitt, auf 160 km/h im Ost-Abschnitt
- Errichtung von Überholbahnhöfen mit Nutzlängen von 740 Metern für Güterzüge an mehreren Stellen
- Neue Verbindungskurve im Bereich Tüssling von Burghausen nach Freilassing für den Güterverkehr
- Schallschutz nach Neu- und Ausbaustandard
- Leistungsfähige Kreuzungen mit dem Straßennetz für eine reibungslose und sichere Verkehrsabwicklung (Brücken, Bahnübergänge)
- Moderne Bahnhöfe mit höhengleichem Einstieg und barrierefreien Zugängen sowie zwei neue Haltepunkte Freilassing Nord und Saaldorf-Surheim durch den Freistaat Bayern
- Fit für die Zukunft durch fernverkehrstauglichen Bahnsteig in Mühldorf
Dialogveranstaltungen kommen gut an
Voraussichtlich 2028 könnte es mit dem Baubeginn losgehen, die Inbetriebnahme ist Mitte der 30er-Jahre geplant. Bereits angefangen hat die DB mit Infoveranstaltungen für Bürger und Gemeinde. In Laufen kamen etwa 150 Besucher. Die Dialoge würden offen und transparent geführt, auch schwierige Themen diskutiert. „Mit Blick auf Tunnellösungen oder andere Vorschläge müssen wir auch klarmachen, dass wir es für unsere Pflicht halten, wirtschaftlich zu bleiben“, so Pawlik. Die häufigsten Nachfragen gibt es zur Elektrifizierung und den gesundheitlichen Folgen, dem Schall-Ermittlungsschutz, der direkte Betroffenheit von Grundstücken sowie dem Natur- und Hochwasserschutz.
Als kleines Beispiel dafür, warum es so lange dauert, bis die Bauarbeiten beginnen können, musste die Zauneidechse herhalten. „Das Schaffen von Ausgleichshabitaten und das Umsiedeln der Eidechsen dauert zwei Jahre“, verdeutlichte Pawlik. So mancher Unternehmer konnte dazu nur mit dem Kopf schütteln, doch für die DB habe der Schutz von Mensch, Umwelt und Natur oberste Priorität. „So vielfältig wie die Tier- und Pflanzenarten an der Ausbaustrecke sind auch die Maßnahmen, die wir zu ihrem Schutz planen“, hieß es passend dazu in der Präsentation. Und Pawlik betonte, dass nicht nur betroffene Anwohner kritische Fragen stellen und genauer hinschauen, sondern auch Naturschutzgruppen.
Neue Innkreisbahn bietet weitere Optionen
Auf Nachfrage aus dem Gremium antwortete der Projektleiter, dass die Pläne der ÖBB für eine neue Innkreisbahn zur schnelleren Verbindung zwischen Wien und München „sehr genau beobachtet werden. Das wäre eine sinnvolle Ergänzung.“ Ausschussmitglied Thomas Eberl sprach vermutlich vielen Unternehmern aus der Seele, als er unter anderem auf den Brenner-Nordzulauf sowie die Generalsanierung der Bahnstrecke zwischen München und Salzburg aufmerksam machte. „Das alles wird dafür sorgen, dass wir in den nächsten 15 bis 20 Jahren eher mehr Verkehr von den Schienen auf die Straßen holen. Es ändert natürlich nichts daran, dass es nicht anders geht“, so Eberl.
Der Landtagsabgeordnete Martin Brunnhuber bat darum, die Menschen weiterhin mitzunehmen und zu informieren. „Die Auswirkungen dieser Bahnprojekte dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Es gibt viel Unruhe und die Kommunen fragen sich, wie das alles funktionieren soll.“ Bernhard Kern sprach als Landrat davon, dass die Gemeinden im Berchtesgadener Land sich gut eingebunden fühlen. „Mit dem Ausbau gewinnen wir alle“, machte er klar, „doch die Projekte werden großen Auswirkungen auf die Region haben. Und wer weiß, wie es auf der A8 weitergeht.“ Passend dazu gab es erst kürzlich eine Infoveranstaltung in Frasdorf, in der es Antworten auf einige drängende Fragen im Zuge des geplanten A8-Ausbaus gab.
„Aus hochbelasteten Schienennetz ein Hochleistungsnetz machen“
Alexandra Geißert, Leiterin Fahrplan und Kapazitätsmanagement Süd der DB InfraGo, ging anschließend auf die Generalsanierung des Schienenkorridors München-Rosenheim-Salzburg ein. Der Abschnitt Rosenheim-Salzburg ist im ersten Halbjahr 2027 an der Reihe. Ursprünglich sahen die Pläne ein anderes Vorgehen vor. Auch in Geiserts Ausführungen wurde der gewaltige Umfang des Projektes deutlich: Mehr als 37 Gleiskilometer, 70 Oberleitungskilometer, 14 Weichen und sieben Bahnübergänge werden saniert, 923 Stelleinheiten mit neuen Stellwerken versehen und mindestens neun Bahnhöfe umgebaut. „Wir wollen aus diesem hochbelasteten Schienennetz ein Hochleistungsnetz machen.“
Geisert betonte, dass noch viele Details abzustimmen seien. „Momentan kann ich nicht garantieren, dass in diesen fünf Monaten alle Bahnhöfe barrierefrei sind. Das steht noch nicht fest.“ Denn wenn alle Wünsche, Ziele und Forderungen für den Schienenkorridor erfüllt werden sollten, würde die Sperrung vermutlich eineinhalb Jahre dauern. Auch für die DB seien Generalsanierungen in einem so großen Umfang etwas Neues. „Daher werden wir auf die anderen Projekte wie die Riedbahn achten und aus den Erfahrungen lernen.“
Ein Satz sorgt für Erstaunen
Doch sie machte auch klar: Ohne Komplikationen auf den Straßen wird es nicht funktionieren. „Wir reden mit den Autobahnmeistereien, aber wir stimmen uns nicht ab“: Ein Satz, der durchaus für erstaunte Gesichter unter den Zuhörern sorgte. „Wenn es zeitgleich Maßnahmen gibt, stellt sich immer die Frage: Wer weicht aus? Wer kann überhaupt ausweichen? Wenn eine Baustelle schon seit zwei Jahren geplant ist, wird es schwierig“, relativierte sie. Sie vergewisserte, dass auch die Autobahnen die Pläne der DB kennen. „Je genauer die Planungen, desto konkreter die Gespräche.“
Ich fahre jetzt schon nicht mehr nach Italien zu Geschäftsterminen, sondern nur noch danach, ob die Autobahn frei ist.
Jens Wucherpfennig, Leiter der Rosenheimer IHK-Geschäftsstelle, merkte auch mit Blick auf den A8-Ausbau zwischen Achenmühle und Bernauer Berg im Zusammenhang mit dem Dauerthema Brenner an, „dass für gefühlt zehn bis 15 Jahre bei uns alles dichtgemacht wird“. Und Thomas Eberl verwies auf die bereits jetzt schon gut gefüllte Pendlerparkplätze und die volle Autobahn. „Das wird eine Katastrophe für unsere Region. Ich fahre jetzt schon nicht mehr nach Italien zu Geschäftsterminen, sondern nur noch danach, ob die Autobahn frei ist.“ Niclas Schubert pflichtete ihm bei und erklärte, entweder von Salzburg aus zu fliegen oder schon einen Tag früher loszufahren. „Von Bad Reichenhall zu reisen, ist nicht mehr verlässlich.“
Auch wenn allen Mitgliedern klar wurde, dass die Baumaßnahmen notwendig sind: Die Sorgen vor einer mangelnden Abstimmung der einzelnen Behörden und einem langwierigen Verkehrschaos auf den Straßen wollten nicht so recht verfliegen an diesem Abend. (ms)