Handwerk wieder im Fokus
„Kaum machbar“ – Kreishandwerks-Meister warnt: Bürokratie zerstört mittelständische Unternehmen
Rudi Schiller aus Soyen ist seit fünf Jahren Kreishandwerksmeister im Landkreis Rosenheim und repräsentiert zahlreiche Innungen. Von überbordender Bürokratie bis zum Fachkräfte-Mangel hat das Handwerk zahlreiche Herausforderungen zu stemmen. Wie der 59-Jährige diese Probleme anpackt.
Rosenheim/Soyen – Er ist Experte in Sachen Handwerk: Rudi Schiller ist seit fünf Jahren Kreishandwerksmeister im Landkreis Rosenheim. Viele Innungen sind dort vertreten: Bäcker, Metzger, Schuhmacher, Schreiner, Zimmerer, Spengler, Friseure, Raumausstatter und Maßschneider sowie die Sanitär,- Bau,- Elektro und Metall-Innung. Sie alle werden von Schiller repräsentiert und „ticken ganz unterschiedlich“, wie er über die Jahre hinweg gelernt habe.
Seit fünf Jahren Rosenheims Kreishandwerksmeister
Eine umfangreiche Aufgabe, die der 59-Jährige ehrenamtlich stemmt. Rund zehn bis 15 Stunden in der Woche „gehen wöchentlich dafür drauf“, schätzt er. Trotzdem wollte er die Funktion „gerne übernehmen“. Er werde diese voraussichtlich noch eine weitere Amtszeit – alle drei Jahre wird gewählt – ausüben, eine vierte wird es aber höchstwahrscheinlich nicht geben. „Ich bin dann 63 Jahre alt. Dann sollte der Posten an einen jüngeren Kollegen gehen“, findet er.
Seine Aufgaben als Kreishandwerksmeister beschreibt er als recht umfänglich und vielseitig. Neben repräsentativen Funktionen, zum Beispiel bei Freisprechungen oder auf Messen, sei er Ansprechpartner für Betriebe und Politik. „Die Verwaltung der Innungen, die von den Obermeistern vertreten werden, wird in der Kreishandwerkerschaft gebündelt. Ich bin sozusagen das Sprachrohr“, erklärt er. Zudem nehme er die Gesellen- und Zwischenprüfungen ab.
Kinder führen Zimmerei weiter
Darüber hinaus leitet Schiller seine eigene Zimmerei in Soyen. 16 Mitarbeiter, darunter drei Lehrlinge, seien dort angestellt. Zwei weitere, angehende Azubis würden derzeit das Berufsgrundschuljahr (BGJ) absolvieren. Auch die Nachfolge in seinem Betrieb in Soyen sei geregelt. Seine beiden Kinder würden die Zimmerei weiterführen, sie sind jetzt schon „voll mit dabei“, erzählt er.
Die Übergabe bei Schillers ist also geregelt, doch das trifft auf viele andere Unternehmen nicht zu. Besonders im Bäcker- und Metzgerhandwerk gebe es kaum jüngere Generationen, die daran interessiert seien, den oftmals familiären Betrieb weiterzuführen. In dieser Branche untergliedere sich die Tätigkeit in zwei Bereiche, Handwerk und Verkauf. „Die Arbeit im Handel ist für viele unattraktiv, der Stellenwert im Verkauf ist gesunken“, bedauert er. „In der Metzgerei wird Wurst hergestellt, Fleisch zerlegt, gehackt. Das muss einem schon liegen und außerdem nimmt der Fleischverzehr in der Gesellschaft ab“, erklärt er.
Überbordende Bürokratie
Zudem würde die überbordende Bürokratie vor allem den kleinen und mittelständischen Betrieben zusetzen. „Ein Beispiel: Ein großes Unternehmen wie Tönnies, einer der größten Fleischverarbeiter Deutschlands, hat große Abteilungen und ausreichend Personal, um den gesetzlichen Vorgaben entsprechen zu können. Doch genau diese gelten für alle Unternehmen. Eine kleine Firma mit wenigen Angestellten müsse dasselbe leisten. Das ist kaum machbar.“ Neue Auflagen seien oft nicht erfüllbar, teilweise auch wegen räumlichen Gegebenheiten. „Den familiengeführten, traditionellen Bäcker in der Ortsmitte wird es in zehn, 15 Jahren nicht mehr geben“, prophezeit er. „Irgendwann gibt es nur noch große Produktionsstätten mit Verkaufsfilialen, das ist ja heute teilweise schon so“, sagt er.
So würde auch die Nahversorgung in kleinen Orten immer weniger. „Die Kommunen steuern dagegen und initiieren Dorfläden“ – wie in Ramsau, Mittergars, Frabertsham oder Schonstett. „So soll der Begegnungsort für die Bürger erhalten bleiben.“ Doch das wäre gar nicht vonnöten, wenn „die Politik diesen Weg nicht beschritten hätte.“ Obwohl die Regierung schon zurückgerudert sei, beispielsweise müssten Akten in den Unternehmen nur noch acht, statt zehn Jahre aufbewahrt werden, wäre das „nicht genug“. Von der Europäischen Union (EU) würden neue Gesetze und Regelungen diktiert, ebenso von Bund und Ländern, die die Betriebe und Kommunen auszuführen hätten. „Diese wieder zurückzunehmen, damit die Bürokratie weniger wird und auch unten ankommt, da sind 10, 15 Jahre gar nichts“, prognostiziert er.
Großes Dilemma: das Lieferketten-Gesetz
Ein weiteres, von der EU herbeigeführtes Dilemma: das Lieferketten-Gesetz. Es soll global gesehen den Umweltschutz und die Menschenrechte stärken, teilt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf seiner Homepage mit. Doch auf „kleiner Ebene gesehen kaum machbar“, kritisiert Schiller. Deswegen würden viele Firmen „damit kämpfen“.
Trotzdem will der 66-Jährige „nicht nur schimpfen“. Es gebe auch viel Positives zu berichten. In den vergangenen Jahren sei das Handwerk im Ansehen der Gesellschaft stark gestiegen. „Die Leute haben erkannt, dass wir gebraucht werden“, sagt er. Das bemerke man vor allem im ländlichen Raum. In Stadt und Landkreis Rosenheim gebe es laut dem Experten insgesamt 7.500 Handwerksbetriebe (Stand: 2022).
Image des Handwerks deutlich gebessert
Auch die Anzahl der Azubis steige wieder leicht an. Das habe laut Schiller mehrere Gründe: Zum einen hat das Handwerk in den vergangenen Jahren „hervorragende Lobbyarbeit“ geleistet, um das Image zu verbessern. Zum anderen seien auch die inhaltlichen Themen der Ausbildungen überarbeitet worden. „Es gab Zeiten, da wurde den Lehrlingen kaum etwas beigebracht. Das ist heute anders und würde auch keiner mehr mitmachen. Es gibt ein strukturiertes Konzept, die Ausbilder werden dementsprechend geschult“, erklärt er. Schiller sei überzeugt, dass jeder Ausbildungsbetrieb in der Region, diese auch „sehr ernst“ nehme.
Ausbildung zum Fachinformatiker beliebt
14.081 Jugendliche haben im September 2024 ihre Ausbildung mit, teilte die IHK Oberbayern und München in einer Presserklärung mit. Nach der vorläufigen Statistik zum Beginn des Ausbildungsjahres entspricht dies einem Zuwachs von 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Insgesamt bilden in Oberbayern aktuell 8.151 IHK-zugehörige Betriebe aus. Sie stehen für rund 60 Prozent aller Ausbildungsverhältnisse.
Laut der Handelskammer ist in Oberbayern bei den jungen Männern der Fachinformatiker der beliebteste IHK-Beruf, bei den jungen Frauen die Kauffrau für Büromanagement. Die Top 5 der IHK-Ausbildungsberufe in der Region seien: Fachinformatiker, Einzelhandelskaufleute, Kaufleute für Büromanagement, Verkäufer und Hotelfachleute.
Ein weiterer Punkt, warum mehr Interesse an einer Ausbildung bestehe, sei der technische Fortschritt. Auch auf dem Bau müsse sich kaum einer mehr „den ganzen Tag abrackern. Diese Zeiten sind vorbei“, weiß der 59-Jährige. Stattdessen würde Handwerk und Technik „Hand in Hand“ gehen. Absolventen, die eine Ausbildung absolvieren wollen, sollten unbedingt ein Praktikum machen, empfiehlt Schiller. „Einfach mal reinschnuppern, bei 180 Lehrberufen ist sicherlich für jeden etwas dabei“, betont der Kreishandwerksmeister.

