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Nachhaltigkeit in Höslwang

Stoffreste statt Holz? Wie Tine und Uli in Höslwang aus Textilmüll Möbel und Kugelschreiber machen

Tine Arlt und Uli Riedel stellen in Höslwang aus Textilmüll und Bio-Harz ein nachhaltiges Material her, das in seiner Beschaffenheit Tropenholz nachempfunden ist. Daraus stellen sie in ihrem Unternehmen Kugelschreiber und Möbel her.
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Tine Arlt und Uli Riedel stellen in Höslwang aus Textilmüll und Bio-Harz ein nachhaltiges Material her, das in seiner Beschaffenheit Tropenholz nachempfunden ist. Daraus stellen sie in ihrem Unternehmen Kugelschreiber und Möbel her.

Stoffreste der Möbelindustrie, ausrangierte Berufskleidung oder nicht mehr benötigte Gesichtsmasken aus Pandemie-Zeiten – Uli und Tine freuen sich über Textilmüll. Denn er ist der Rohstoff für ihre Geschäftsidee. Warum sie ihre gut bezahlten Jobs aufgaben und jetzt Kugelschreiber aus Stoffresten herstellen.

Höslwang – Von außen unscheinbar, von innen voller Ideen: In einer Halle im Höslwanger Gewerbegebiet Almertsham haben Dr. Ulrich Riedel (56) und Dr. Christine Arlt (45) – oder wie sie sich vorstellen: Tine und Uli – ein nachhaltiges Konzept entwickelt, um weltweit den Textilmüll zu reduzieren. Mit diesem Satz könnte alles gesagt sein. Ist es aber nicht: Denn was das Paar gewagt hat, trauen sich nur wenige. Sie haben ihre gut bezahlten Jobs im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig an den Nagel gehängt und ihr eigenes Unternehmen gegründet.

Vom Stofffetzen zum Kugelschreiber

Ihre Idee: Sie wollten Bleistifte aus Textilabfällen herstellen. „Mein Vater war Künstler. Der Bleistift war mein Thema“, sagt Uli. Der Nachhaltigkeitsgedanke, alte Stoffreste statt Holz zu verwenden, stamme hingegen von Tine. Gepaart mit ihrem gemeinsamen Wissen und der Erfahrung in der High-Tech-Forschung am DLR war dies der Grundstein für ihr Unternehmen „manaomea“.

Doch wie wird ein altes Stück Stoff zum Kugelschreiber? „Für viele ist es schwer vorstellbar, dass aus Textilien ein fester Stoff wird“, sagt Uli. Dafür muss der Rohstoff, also die ausrangierten Textilien, zunächst in Streifen geschnitten und auf Spulen gewickelt werden. Die Stoffreste stammen zum Großteil aus der Möbelindustrie, von ausrangierter Berufskleidung oder Unternehmen, die mit Textilien arbeiten.

Produktionsmitarbeiterin Liz Weber aus Hemhof zerschneidet Stoffmasken, die nach der Corona-Pandemie nicht mehr gebraucht werden. Daraus werden nun Kugelschreiber.

Am Tag des OVB-Interviews zerschneidet Produktionsmitarbeiterin Liz Weber aus Hemhof (Bad Endorf) nicht mehr benötigte Stoffmasken. Während der Corona-Pandemie waren diese unverzichtbar. Jetzt braucht sie niemand mehr. Weber arbeitet seit 2023 für Uli und Tine. „Die Arbeit ist vielfältig. Nähen, Schneiden – es kommen immer neue Aufgaben dazu“, erklärt sie. Besonders interessiert habe sie aber der Nachhaltigkeitsgedanke.

Sind die Stoffreste geschnitten und aufgewickelt, kommen sie auf die von Tine und Uli entwickelten Maschinen zur Verarbeitung. Dort laufen Stoff- oder Garnreste gebündelt zusammen, werden in Bioharz getränkt, anschließend gehärtet und in Form gebracht. Das Ergebnis: Ein festes, wetterbeständiges Material, das sich anfühlt wie Holz, aber doch anders: fester, wärmer und die Textilien sind spürbar. Daraus stellen sie Latten in verschiedenen Formen und Größen her, die sie für die Verwendung von Möbeln verwenden. Ihre Bestseller sind jedoch die „betterpens“ – Kugelschreiber aus Textilabfall mit austauschbarer Mine. Zu ihren Kunden zählen unter anderem die Lufthansa, BMW, das Goethe-Institut, Siemens oder die Deutsche Bahn.

Nur ein Bruchteil wird recycelt

Rund 260.000 Stifte haben Tine und Uli eigenen Angaben zufolge bislang verkauft. „Wir haben mit den Betterpens bisher über 1300 Kilo Textilmüll upgecycelt, 30 Tonnen CO2 eingespart und 13.000 Euro für die erste sozial-faire Containerproduktion in Indien gesammelt“, erläutert die Gründerin.

Sie verweist auf eine Studie, der zufolge 100 Millionen Tonnen Textilmüll pro Jahr weltweit zusammenkommen. Über die Hälfte davon stammt allein aus der Bekleidungsindustrie. Jedoch werden nur rund ein Prozent der Textilien wirklich wieder zu Textilfasern recycelt. Der Rest wird downgecycelt zu Dämmstoffen, Malervlies, Putzlumpen oder verbrannt. Besonders problematisch: Durch die Überproduktion und „Fast Fashion“ werden nicht gebrauchte Textilabfälle nach Afrika, Asien oder Südamerika exportiert, wo sie als Müll die Umwelt zerstören und die Gesundheit der dort lebenden Menschen gefährden. Außerdem, so betont Tine, sind längst nicht alle Textilien recycelbar: Es gibt keine Lösung für Mischfasern, die gut 60 Prozent allen Textilmülls ausmachen. Wir haben eine.“

Was passiert mit unserem Textilmüll?

Seit Januar 2025 dürfen laut EU-Gesetz Textilien nicht mehr in den Hausmüll, sondern müssen über den Altkleider-Container entsorgt werden. Aber: Stark zerschlissene und kaputte Kleidung soll in Deutschland weiterhin im Restmüll entsorgt oder zum Putzlumpen umfunktioniert werden. Laut Schätzungen der britischen Ellen MacArthur Stiftung werden alle fünf Minuten etwa eine Millionen neue Kleidungsstücke produziert. Die Weltweite Textilproduktion hat sich damit seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt. Altkleider werden laut Greenpeace vor dem Export in der Regel an einen kommerziellen Kleidersortierer oder Recycler verkauft. Nur die Hälfte dieser Kleidungsstücke wird als Kleidung wiederverwendet. Bis zu 60 Prozent werden exportiert, etwa 25 bis 50 Prozent weiterverarbeitet, und lediglich fünf bis zehn Prozent sind offiziell Abfall. Nicht berücksichtigt wird aber, dass ein Teil der zur „Wiederverwendung“ exportierten Kleidung ebenfalls als Abfall endet, weil sie im Importland keinen Marktwert hat. Entweder sind die Kleidungsstücke in Bezug auf Größe oder lokales Klima unbrauchbar oder sie sind kaputt oder verschmutzt. Der Export wird damit zu einer billigen Möglichkeit, den Textilmüll loszuwerden.

Ein Großteil der Altkleider aus Deutschland werden ins Ausland exportiert und landet dort als Müll in der Landschaft. Hier in der Atacama Wüste in Chile.

Tine und Uli lernten sich am DLR kennen. Sie promovierte. Er, Chemiker, entwickelte Bio-Polymere, also Bio-Kunststoff. Die Arbeit dort, so sagen sie, war spannend und hat Spaß gemacht. Aber etwas hat gefehlt. „Wir haben Ideen entwickelt. Aber nur wenige davon wurden wirklich umgesetzt“, erinnert sich Uli. Auch Tine habe sich nicht kreativ entfalten können. „Die Seele in dir will spielen. Aber das Herz bleibt auf der Strecke“, fasst es die 45-Jährige zusammen. Also wagten sie den Schritt in die Selbstständigkeit.

Harter Weg zur Selbstständigkeit

Die ersten fünf Jahre nach der Gründung ihres Start-ups im Jahr 2015 widmeten die Ingenieurin und der Chemiker der Entwicklung: Sie bauten ihr Netzwerk aus, um an die Rohstoffe zu gelangen, entwickelten das Bioharz und gemeinsam mit befreundeten Maschinenbauern die Anlagen. Zunächst im Augsburger Raum. 2021 zog es sie in Richtung Berge.

Egal, ob Stühle oder Treppengeländer – das Material von Manaomea kann Holz ersetzen.

Was einfach klingt, war jedoch ein harter Weg. „Wir sind dermaßen auf die Nase gefallen“, erinnert sich Tine. Denn die beiden kommen aus der Forschung. Der Vertrieb von Produkten war jedoch Neuland. Dank des Gründerstipendiums „Exist“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz erhielten sie für ein Jahr eine Förderung. „Wir waren uns sicher, wir werden die Zeit nicht brauchen“, so Tine weiter. Damit lagen sie jedoch völlig daneben. Alles dauerte länger und: „Unser Anspruch an das Produkt war zu hoch.“ Letztendlich verwarfen sie die Idee mit den Bleistiften komplett: „Der ganze Aufwand dafür, dass das Material am Ende weggespitzt wird.“ Der Spaß am Entwickeln habe sie motiviert, nicht aufzugeben.

Tine Arlt und Uli Riedel stellen aus Textilabfällen Kugelschreiber und Möbel her.

Damit die gesamte Arbeit der vergangenen Jahre nicht völlig umsonst gewesen war, und angetrieben von ihrer Vision, setzten Uli und Tine stattdessen auf Kugelschreiber. „Ein kleiner Botschafter für eine große Vision“, sagt Tine. Die Minen lassen sich austauschen, die Lebensdauer des Produkts verlängert sich und auch der Nachhaltigkeitsgedanke rückt stärker in den Vordergrund. Später fingen sie an, aus den Textilresten größere Latten für Möbel zu bauen. Ein Design-Schaukelstuhl sowie Gartenstühle zählen zum Portfolio. Inzwischen – knapp zehn Jahre nach der Gründung – können sie allmählich von den Einnahmen leben.

„Holzersatz für alle“

Auch in Zukunft wollen sie ihr Produkt weiter etablieren, neue Märkte erschließen und so noch mehr Textilmüll sinnvoll verarbeiten. Vor allem Biergärten oder Lokale sowie Hotels wollen Uli und Tine ansprechen. Der Wunsch: „Edelholzersatz für alle“, sagt Uli. So hätten sie Anfragen aus den USA, Dubai, Indien und Deutschland, Textilmüll in den Edelholzersatz zu transformieren. Gleichzeitig wollen sie ihre Technologien – also die Maschinen, das Bioharz und den Prozess der Materialherstellung – dort hinbringen, wo sie benötigt werden. „Wir denken global . Unser „manaomea“-Material hat das Potenzial eine weltweite Lösung für Textilmüll, besonders für bislang nicht recyclingfähigen Textilmüll, zu sein“, resümiert Tine.

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