Vorwurf an die Regierung
„Kuh-Handel auf dem Rücken der Bauern“: Rosenheims Kreisobmann zieht Bilanz nach Bauernprotesten
Die Bauernproteste haben die Landwirte das ganze Jahr über beschäftigt. Hat sich der Aufwand gelohnt? Rosenheims Kreisobmann Sepp Andres zieht Bilanz und sieht – trotz Eingeständnissen der Ampel-Koalition – ein weiteres Problem. Warum er der Regierung „Kuh-Handel auf dem Rücken der Bauern“ vorwirft.
Region – Das ganze Jahr über haben sie Land und Leute beschäftigt: die Bauernproteste. Gleich im Januar ging es los, überall in Deutschland gingen die Landwirte auf die Straße, fuhren mit ihren Bulldogs in viele Hauptstädte, wie München oder Berlin, und protestierten gegen die Ampel-Koalition und ihre Pläne. So beanstandeten die Demonstranten unter anderem die Einführung der Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Maschinen, die Rücknahme der Vergünstigungen beim Agrardiesel, die Mauterhöhung und die überbordende Bürokratie.
Bauernproteste hat viele Unterstützer
Obwohl die Regierung schon nach wenigen Wochen Protest einlenkte, – zum Beispiel bleibt die Befreiung der Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Maschinen vorerst bestehen und die Steuerbegünstigungen beim Agrardiesel werden bis 2026 gestreckt – ging das den Landwirten nicht weit genug und sie demonstrierten weiter. Unterstützt wurden die Bauern von vielen: von Kommunalpolitikern, Lastwagenfahrern, Spediteuren, Bauunternehmern. Viele Branchen zeigten sich unzufrieden mit dem Fahrplan der Ampel-Koalition.
Doch haben Landwirte durch die Proteste ihr Ziel erreicht? Sepp Andres, Kreisobmann beim Bayerischen Bauernverband (BBV) und zuständig für den Landkreis Rosenheim, meint, dass die Demonstrationen „definitiv etwas gebracht haben“. Ziemlich genau vor einem Jahr habe die Regierung den Landwirten „das Weihnachtsgeschenk gemacht, das das Fass zum Überlaufen gebracht hat“, sagt der 53-Jährige. „Anschließend haben sich die Bauern erhoben und den Politikern ist klar geworden: Wir machen Ernst und lassen uns nicht alles gefallen“, betont er. Für Andres hat sich der gesamte Aufwand „auf alle Fälle gelohnt.“
Trotzdem müsse er eingestehen, dass er heuer „Termine ohne Ende“ hatte. „Das geht aber auch der Kreisbäuerin und dem gesamten Vorstand beim BBV genauso“, sagt er. „Wir hatten 2024 viel zu tun. Ich selbst hatte acht oder neun zusätzliche Termine in der Woche“, berichtet er. Glücklicherweise habe sein Sohn den Hof in Pfaffing schon übernommen und kümmere sich auf dem konventionellen Betrieb um die 65 Kühe und den Ackerbau. Er arbeite nur noch zu. So sei es ihm gelungen, alle Termine als Kreisobmann wahrzunehmen und bei den Protesten dabei zu sein.
Scharfe Kritik an Freihandelsabkommen
Ein großes Manko gibt es für Andres aber dennoch: Nach all den Jahren der Kritik habe es die Ampel-Koalition „auf den letzten Metern“ doch noch geschafft, das Freihandelsabkommen mit „Mercosur“ (ein regionaler Zusammenschluss der fünf südamerikanischen Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela) abzuschließen, kritisiert der Kreisobmann. Seit einigen Jahren habe der BBV dieses Abkommen „auf dem Schirm“ und fordere eine Ablehnung des Vertrags mit diesen Ländern. „Wir betreiben Handel mit Staaten, in denen die Tier- und Pflanzenschutzgesetze nicht annähernd den unseren entsprechen“, schimpft Andres. „Uns werden Bestimmungen und Regularien vorgesetzt, die diese Länder nicht im Geringsten einhalten müssen.“
Beispielsweise dürften die Landwirte dort Antibiotika bei den Tieren einsetzen, „wie sie wollen“, denn es gebe kein Monitoring. Auch würden Pflanzenschutzmittel angewendet, die in Deutschland seit „bestimmt schon 20 Jahren verboten sind“, berichtet er. Für den Kreisobmann „ein Unding“. „Bei uns werden die Daumenschrauben angezogen, dort ist es egal. Das ist absolute Doppel-Moral. Die Regierung betreibt Kuh-Handel auf dem Rücken der Bauern“, wirft Andres ihr vor.
Die Konsequenz für die Landwirte in Deutschland: „Wir werden mit Dumping-Preisen überschwemmt, die wir logischerweise nicht unterbieten können“, prophezeit er. Es sei also auch die Entscheidung der Verbraucher, das „richtige Fleisch“ zu kaufen. „Wir wollen Handel“, verdeutlicht der 53-Jährige, „aber fairen Handel“. Die Konsumenten würden „hinters Licht geführt“. Viele wüssten über das Freihandelsabkommen und die Konsequenzen gar nicht Bescheid. Das habe sich bei zahlreichen Gesprächen mit verschiedenen Personen abgezeichnet, sagt Andres.
Zweitstärkster Zweig der Wirtschaft
Das zu ändern, habe sich der BBV „auf die Kappe geschrieben“. So soll Transparenz bei den Bürgern geschaffen werden. Der Regierung müsse bewusst werden, dass die Landwirtschaft „die Mitte der Gesellschaft“ darstelle. Jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland habe „direkt oder indirekt damit zu tun“, betont er. „Nach der Automobil-Industrie sind wir der zweitstärkste Zweig der Wirtschaft“, so der Kreisobmann.
Wie es mit der neuen Regierung nach den anstehenden Bundestagswahlen weitergehe, könne er nur erahnen. Andres weiß aber: „Schlimmer geht immer“. Deswegen begrüße er es, dass sich der Präsident des Bayerischen Bauernverbands, Günther Felßner, als Bundestagskandidat aufstellen und sich zum Bundesagrarminister ernennen lassen will. „Es ist immer sinnvoll, wenn es jemand macht, der Ahnung hat“, findet er. Es brauche „echte Fachkräfte“ – diese hätten bisher gefehlt.

