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Interview
Nazi-Gegröle auf Sylt – „Privilegierte neigen eher zu Menschenfeindlichkeit“
Rassismus sei in gewissen Kreisen „erlebnishaft geworden“, erklärt der Konfliktforscher Andreas Zick im Gespräch. „Das heißt, er macht Leuten Spaß.“
Berlin – In einer nur wenige Sekunden langen Videoaufnahme singen junge Männer und Frauen in einer Sylter Bar „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ zur Melodie des Partyhits „L‘amour Toujours“ von Gigi D‘Agostini. In dem Video deutet ein Mann mit seinen Fingern an der Oberlippe einen Hitlerbart an und reckt die rechte Hand empor. Die Polizei prüft das Video. Die Partygäste haben es selbst gemacht, nach ersten Erkenntnissen am Pfingstwochenende im Kampener „Pony“-Club.
Privilegierte junge Menschen, die ausgelassen Nazi-Parolen johlen. Dem Sozialpsychologen Andreas Zick ist das Video auf der Plattform X aufgefallen. Prominente wie Jan Böhmermann oder Dunja Hayali hatten es geteilt. „Das Internet vergisst zum Glück nie“, schreiben Nutzer in sozialen Netzwerken. Grünen-Urgestein Jürgen Trittin spricht von „Prosecco-Nazis“. Zick sagt im Gespräch mit IPPEN.MEDIA: „Na ja, ob das mal nicht verniedlicht.“
Herr Zick, auf Sylt haben junge Partygäste zu einem Popsong ausgelassen „Ausländer raus“ gesungen – und sich selbst dabei gefilmt. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie das Video gesehen haben?
Wir haben 2011 zum ersten Mal auf der Grundlage einer repräsentativen Umfrage zur Menschenfeindlichkeit in Deutschland von „roher Bürgerlichkeit“ geschrieben. Wilhelm Heitmeyer hat die Studie geleitet. Uns fielen dabei nicht Menschen mit niedrigem Einkommen auf, sondern Bessergestellte, die höhere rassistische, antisemitische und andere menschenfeindliche Vorurteile haben. Zweitens fiel mir angesichts des Sylt-Videos ein Befund unserer Mitte-Studie ein, wonach Menschen, die meinen, ihnen stünde mehr zu als anderen, menschenfeindlicher eingestellt sind. Es handelt sich auch um Menschen, die eine neoliberale Sicht auf die Gesellschaft haben.
In dem Video sieht man privilegierte Leute, die sich einander zuprosten, während sie „Deutschland den Deutschen“ johlen, einer zeigt sogar den Hitlergruß. Erkennen Sie hier noch irgendeine Metaebene, oder sind das einfach Nazis?
Es wird ermittelt, inwieweit auch bekennende Nazis darunter waren. Das mag erschwerend dazukommen, aber das entlastet nicht von der Frage, ob hier rechtsextreme wie nationalsozialistische Symbole, Meinungen und Handlungen auch unter denen geteilt werden, die nicht in ein organisiertes Spektrum gehören. Hier zeigt sich ein Rechtsextremismus der Mitte, der in Teilen bewusst oder unbewusst, die eigene Handlung verharmlost. Es ist erwartbar, dass einige der Gäste meinen, das wäre nur ein Spaß gewesen. Wir kennen sowas historisch auch aus den frühen Jahren des Nationalsozialismus, als bürgerliche Milieus antisemitische Lieder gesungen haben.
Was veranlasst Menschen dazu, sich zusätzlich mit einem solchen Video im Internet zu präsentieren?
Die Selbstinszenierung gehört mittlerweile dazu, weil die Leute wissen, dass sie in den sozialen Medien dafür Anklang finden. Das zeigt den Einbruch sozialer Normen. Es reiht sich ein in eine Normalisierung des Rechtsextremen in bürgerlichen Milieus, es reiht sich ein in die Tradition der immer stärkeren Radikalisierung von Mitte-Milieus.
„Das Rechtsextreme schleicht sich in den Alltag ein“
Wie radikalisiert sich die Mitte in Deutschland?
Dass es gewalthaltiger wird, folgt einem Trend. In unserer jüngsten Mitte-Studie aus dem Frühjahr 2023 stimmten 17 Prozent der Meinung zu: „Wenn sich andere bei uns breitmachen, muss man ihnen unter Anwendung von Gewalt zeigen, wer Herr im Haus ist“, weitere 20,5 Prozent meinten, das stimme „teils-teils“.
Warum kann Rassismus in Deutschland wieder so ungeniert artikuliert werden?
Mit Blick auf das Video wird klar, dass der ausgelebte Rassismus in diesen Milieus erlebnishaft geworden ist. Das heißt, er macht den Leuten Spaß. Das „Erlebnis Rassismus“ ist mit Blick auf die Gewalt brandgefährlich. Das Rechtsextreme schleicht sich in den Alltag ein – genau das wollen jene, die den Song, der im Video gesungen wird, feiern und dazu bewegen, das mit der digitalen Welt zu teilen.
Die Partygäste im „Pony“, einem exklusiven Club in Kampen, fühlten sich augenscheinlich wenig gestört.
Sie leben in ihren Parallelgesellschaften und sie interessiert es vielleicht gar nicht, wie sie mit einer demokratisch orientierten Gesellschaft verbunden sind, die nur deshalb zusammenhalten kann, weil sie Normen und Werte teilt. Solche Milieus gehen davon aus, dass das, was sie haben und tun, ihnen auch zusteht. Das hat der Rechtspopulismus ihnen in den letzten Jahren vermittelt.
„Viele verstehen Zivilgesellschaft als ‚linkes‘ oder ‚wokes‘ Konzept“
Meinen einige dieser Privilegierten, überhaupt noch der demokratischen Zivilgesellschaft anzugehören?
Viele werden sich nicht als Teil der Zivilgesellschaft verstehen, sondern diese als „linkes“ oder „wokes“ Konzept verstehen. Allerdings wäre es auch falsch, privilegierte Gruppen unter Generalverdacht zu stellen. Viele Bürgerinnen und Bürger, denen es besser geht, sind engagiert in Stiftungen, im Ehrenamt, verstehen sich als aktive Teile der Zivilgesellschaft. Während der letzten Monate und der Proteste für eine wehrhafte Demokratie haben sich auch Unternehmerinnen und Unternehmer gezeigt.
Der Club schreibt auf seiner Website: „Kein Platz für Nazis!“ Welche strafrechtlichen Konsequenzen könnten aus dem Fall hervorgehen?
Der Club hat schon ein lebenslanges Hausverbot angekündigt, die Polizei ermittelt. Es weist vieles darauf hin, dass die Personen und Straftatbestände sorgsam ermittelt werden, zumal es ein öffentliches Interesse gibt. Was am Ende an realen Konsequenzen hervorgeht, bleibt abzuwarten. Oft verliert die Öffentlichkeit die Straffolgen aus dem Blick, leider bleibt dann ein Lerneffekt aus. Zudem können sich reiche Menschen gute Anwälte leisten.