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Social Media

Nazi-Parolen auf TikTok: „L‘Amour Toujours“ wird zu rechtem Partyhit

„Challenges“ auf TikTok rufen immer wieder zu fremdenfeindlichem Verhalten auf. Der Algorithmus begünstigt die Verbreitung gefährlicher Inhalte.

Frankfurt – TikTok ist schon lange nicht mehr nur eine Social-Media-Plattform mit lustigen Tänzen und Lip-Sync-Clips. Sie etabliert sich inzwischen auch als Informationsquelle und bietet mit ihrer technischen Struktur eine vielfältige Bandbreite an Inhalten, die sich scheinbar ungebremst verbreiten.

Auf der sogenannten For-You-Page eines jeden Accounts werden nicht nur Inhalte von Konten angezeigt, denen der Nutzer folgt, sondern der Algorithmus analysiert das individuelle Verhalten auf der Plattform und bietet auf Basis dieser Informationen eine personalisierte Auswahl weiterer Videos an. Außerdem werden den Nutzern generell erfolgreiche Videos vorgeschlagen. Mit diesem Vorgehen wird TikTok derzeit in rasanter Geschwindigkeit zu einem Nährboden für gefährliche Ideologien und destruktive Meinungen. Immer wieder verbreiten sich „Trends“ und „Challenges“, die radikales Verhalten nicht nur gutheißen, sondern sogar zu diesem aufrufen. Erst kürzlich kritisierte die Bildungsstätte Anne Frank Frankfurt TikTok für seinen leichtfertigen Umgang mit antisemitischen Inhalten.

Auf TikTok werden immer wieder menschenverachtende „Trends“ verbreitet.

Ein solcher „Trend“ entstand auch aus dem Song „L‘Amour Toujours“ von Gigi D‘Agostino, der erstmals 2001 veröffentlicht wurde. Rechte Gruppen dichteten der eingängigen Melodie des Party-Hits einen fremdenfeindlichen Refrain zu. Bis vor kurzem konnte man auf der Plattform noch allerhand Videos von feiernden Menschen finden, die auf Dorffesten oder anderen Veranstaltungen zu dem Lied grölten: „Ausländer raus, Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“.

Schon im November 2023 kursierten die ersten Videos mit den radikalen Parolen aus einer Disco im osthessischen Kalbach. Auch zwei Schüler aus dem Lahn-Dill-Kreis nahmen in diesem Jahr an diesem „Trend“ teil und teilten ein Video von sich in dem sozialen Netzwerk. Wegen des Verdachts auf Volksverhetzung wurde in beiden Fällen der Staatsschutz eingeschaltet.

Für Schüler aus dem Lahn-Dill-Kreis war Fremdenfeindlichkeit „Trend“ auf TikTok

Die Ermittlungen gegen die beiden 16-Jährigen aus dem Lahn-Dill-Kreis liegen aktuell noch bei der Polizei Mittelhessen, sollen aber demnächst an die Staatsanwaltschaft Wetzlar übergeben werden. Wie das LKA Hessen auf Nachfrage dieser Redaktion mitteilte, werden die Schüler als Schuldige geführt und müssen nun mit weiteren Schritten rechnen. Vernehmungen der Beschuldigten und Zeugen sowie die Auswertung von eventuell gefertigtem Videomaterial sind geplant.

Viele Jugendliche seien sich der Tragweite solcher Aktionen nicht unbedingt bewusst und wüssten oft nicht, dass sie eine Straftat begingen, so das LKA Hessen. Eine Gefahr durch die Plattform sei also immanent. Unbedarftheit und das Bedürfnis, einer Gruppe anzugehören, führten dazu, dass Jugendliche unüberlegt handelten. Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank Frankfurt warnt zudem vor Halbwahrheiten, Falschinformationen und Propaganda, mit denen die Jugendlichen auf TikTok konfrontiert würden. Bei vielen Stunden Smartphone-Nutzung am Tag könne das Auswirkungen auf die politische Sozialisation haben.

Vorfälle extremistischen Verhaltens würden sehr ernst genommen, erklärte das hessische Kultusministerium auf Nachfrage. Zur Prävention gebe es zahlreiche Maßnahmen und Projekte, um die demokratischen Werte bei Schülern zu stärken. Auch der Fall im Lahn-Dill-Kreis werde nachträglich im Unterricht aufgearbeitet.

Aktuell laufen Ermittlungen gegen zwei Schüler aus dem Lahn-Dill-Kreis wegen des Verdachts auf Volksverhetzung.

Gefahr durch TikTok: Unternehmen beteuert Maßnahmen gehen Hass und Hetze

Auf Basis der angesehenen Inhalte und Interaktionen mit diesen teilt der Algorithmus den TikTok-Nutzer gezielt in eine Echokammer ein. In dieser hallt fast ausschließlich die eigene Meinung wider und es entsteht der Eindruck gesellschaftlicher Uniformität, da abweichende Haltungen aktiv ausgeblendet werden.

Luise Wolff, Social-Media-Managerin aus Frankfurt, erklärt, Inhalte müssen jedoch gut produziert sein, damit sie jemand zu Gesicht bekäme. Wichtig sei außerdem Schnelligkeit und Dynamik. So habe sich die AfD auf TikTok einen Namen gemacht, da die Partei schon lange und mit vielen Accounts eine große Präsenz auf der Plattform habe.

„Rassismus, Antisemitismus, Queerfeindlichkeit - das findet man alles auf TikTok“, sagte Wolff der hessenschau. Hass und Hetze würden zum Alltagsgeschäft gehören, obwohl das Unternehmen selber dem hr mitteilte, dass diese auf TikTok keinen Platz hätten. Inhalte in Bezug auf den Gigi D‘Agostino Song würden ständig geprüft und fremdenfeindliche Videos und Kommentare unmittelbar gelöscht. Mehr als 40.000 Experten und eine eigens konzipierte KI-Technologie seien für die Sicherheit der Nutzer und die Einhaltung der Plattform-Richtlinien im Einsatz, habe TikTok der hessenschau versichert.

Rechte Gruppen auf TikTok: Unterschwellige Symbole werden auf Social Media zu Codes

Social-Media-Plattformen und insbesondere TikTok seien durch ihren niedrigschwelligen Zugang das „Einfallstor“ für radikale Gruppierungen, so das Kultusministerium. Hier können fremdenfeindliche und menschenverachtende Ideologien schnell und scheinbar unkontrolliert publiziert und großflächig verbreitet werden.

Der Song „L‘Amour Toujours“ ist dabei nur einer von vielen Symbolen und Codes, die in der rechten Szene als klares Signal verstanden werden. Sogenannte Chiffren sind nur für die Mitglieder einer bestimmen Echokammer in ihrer wahren Bedeutung zu entschlüsseln. Auf den ersten Blick, für das unbefangene Auge, wirken sie harmlos und unschuldig. So auch der 2000er-Partyhit. Zwar findet man aktuell kein Video des rechten Zusatz-Refrains mehr auf TikTok, aber zahlreiche Inhalte mit dem Originalsong zeigen die nun indirekte Prägung. In den Kommentaren finden sich häufige Verweise auf den fremdenfeindlichen Refrain und andere unterschwellige rechte Symbole als Erkennungsmerkmal für Rechtsradikale. Prominent dabei ist die Zahlenfolge 444. Diese steht für dreimal den vierten Buchstaben im Alphabet und entspricht der rechten Parole „Deutschland den Deutschen“, so die Konrad-Adenauer-Stiftung.

Auf TikTok kursierten mehrere Videos von Feiernden, die zu dem bekannten Song von Gigi D‘Agostino fremdenfeindliche Parolen sangen.

Alles nur Spaß? Fremdenfeindlichkeit wird auf TikTok zum „Trend“

Viele Nutzer auf TikTok versuchen, die neue Popularität des Partyhits als rechte Hymne zu bagatellisieren und scherzen über die ausländerfeindlichen Parolen. Das Hook-Potential der neuen Zeile macht sich zusehends breit. Auch wenn viele Nutzer sich trotzdem von der rechten Ideologie distanzieren, zeigen sie sich unkritisch gegenüber des menschenverachtenden Refrains und werten es zu gedankenlosem, aber unschuldigem Unfug herab. Das LKA Hessen stellt jedoch klar, solche „Trends“ seien kein harmloser Spaß und auch kein Kavaliersdelikt, sondern ein Straftatbestand.

Man könne in der Gesellschaft eine Trendumkehr feststellen, erklärt Tina Dürr vom Demokratiezentrum Hessen in Marburg. Rechtsextreme Einstellungen würden generell zunehmen und seien seit neustem insbesondere bei Jugendlichen zu beobachten. Durch den allgegenwärtigen Zugang zum Internet sind diese gefährlichen Ideologien besonders ausgesetzt.

In der Vergangenheit war dagegen eher die ältere Generation solchen extremistischen Ansichten zugeneigt. Meron Mendel sieht die Situation kritisch: „Diese Jugendlichen halten der Gesellschaft den Spiegel vor“. 

Hass und Hetze auf TikTok: Erfolg durch Algorithmus

Die Problematik TikTok löse sich nicht von selbst, erklärt Luise Wolff. „Wir ignorieren TikTok, bis es nicht mehr da ist, funktioniert nicht.“ Durch das Image als „Spaßplattform“ werde die Relevanz und der Einfluss des sozialen Netzwerkes noch immer unterschätzt.

Luise Wolff mahnt, dass die Social-Media-Plattform TikTok einen bisher unterschätzten Einfluss auf die Gesellschaft habe.

Der Algorithmus sei erbarmungslos und reagiere allein durch Interaktion mit einem Video, unabhängig davon, ob diese zustimmend oder ablehnend sei. Gerade bei rassistischen Inhalten kommentieren viele Nutzer im vermeintlichen Sinne der guten Sache aufgebracht, fallen jedoch genau der Masche des Algorithmus zum Opfer. Mit einem Kommentar wird Interesse signalisiert, wodurch der Post noch mehr Reichweite generieren kann. So könne die Verbreitung extremistischer oder antisemitischer Inhalte begünstigt werden, mahnt Wolff.

Die 26-Jährige schrieb ihre Bachelorarbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences über Strategien gegen Antisemitismus auf TikTok und wurde dafür sogar mit dem Johanna-Kirchner-Preis ausgezeichnet. Wolff fordert mehr Bildungsarbeit über die Funktionsweise der Plattform, ohne dabei belehrend oder moralisierend zu sein, denn dann entstehe eine automatische Abwehrhaltung. Außerdem müssten die Plattformen selbst stärker in die Verantwortung gezogen werden, um gefährliche Inhalte schneller und effektiver zu erkennen und zu entfernen. (Maibrit Schültken)

Rubriklistenbild: © Sebastian Gollnow/dpa/Symbolbild

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