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„Remigrations“-Sticker im Sonderangebot
AfD strebt „Skandalumkehr“ an – wie die Rechtspopulisten das Potsdamer Geheimtreffen kleinreden
Die AfD redet den jüngsten Eklat um das Potsdamer Treffen klein und geht zum Gegenangriff über. Für Experte Johannes Hille ein typisches Muster der Rechtspopulisten.
Frankfurt – Am Mittwoch (10. Januar) veröffentlichte das Investigativ-Netzwerk Correctiv die Ergebnisse einer Recherche, die seitdem in der deutschen Politik-Landschaft für Unruhe sorgt. Unter dem Titel „Geheimplan gegen Deutschland“ berichtet Correctiv von einem Treffen in einem Potsdamer Hotel im November 2023. Daran nahmen neben Politikern der AfD und Mitgliedern der Werteunion auch Szene-Größen der Neuen Rechten teil.
„Geheimtreffen“ in Potsdam – Bundestag debattiert über AfD-Beteiligung
Martin Sellner, der über Jahre hinweg Sprecher der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich war, soll den anderen Teilnehmern dabei einen Plan vorgestellt haben. Millionen Menschen sollte man demnach aus Deutschland ausweisen, nachdem die AfD Regierungsverantwortung erlangt habe – Stichwort „Remigration“. Eine von Sellners Forderung: Auch deutsche Staatsbürger müsste man aus der Bundesrepublik ausweisen, falls diese nicht ausreichend „assimiliert“ seien.
Was folgte, war ein Aufschrei – sowohl in der deutschen Bevölkerung als auch in der Politik. Zehntausende Menschen gingen seit der Veröffentlichung der Recherche auf die Straße, um gegen den voranschreitenden Rechtsruck zu demonstrieren. Weitere Demonstrationen sind in den kommenden Tagen angemeldet. Auch der Bundestag wird sich mit dem Thema befassen. Am Donnerstag (18. Januar) kommt das Parlament auf Antrag von SPD, Grünen und FDP zu einer Aktuellen Stunde mit dem Titel „Wehrhafte Demokratie in einem vielfältigen Land – Klare Kante gegen Demokratiefeinde und Vertreibungspläne“ zusammen. Dann wird sich die AfD auch im Bundestag mit den Vorwürfen konfrontiert sehen.
„Skandalumkehr als Ziel“: Experte erklärt – so funktioniert die Kommunikation der AfD
Doch wie reagiert die AfD in den Tagen seit der Veröffentlichung auf die Berichte? Die Rechtspopulisten gehen über ihre favorisierten Kanäle in den sozialen Netzwerken in den Angriffsmodus über – in dem sie die Ergebnisse für sich nutzen. Die Interpretation der AfD: Bei der Zusammenkunft soll es sich nicht um ein „Geheimtreffen“, sondern eine „private Veranstaltung“ gehandelt haben. Die Forderungen nach Remigration seien nicht durch Correctiv aufgedeckt worden, sondern stünden bereits im AfD-Parteiprogramm. „Drei AfD-Mitglieder haben an einer privaten Veranstaltung teilgenommen und einen Vortrag gehört. Das ist alles“, spielte beispielsweise die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch die Ereignisse auf der Plattform X (früher Twitter) herunter.
„Die AfD versucht gegenüber ihrer Zielgruppe eine Skandalumkehr zu erreichen“, erklärte Johannes Hillje gegenüber FR.de von IPPEN.MEDIA die Strategie der AfD. Hillje ist Politik- und Kommunikationsberater und hat sich bereits in mehreren Büchern mit den Kommunikationsstrategien von Rechtspopulisten beschäftigt. „Die AfD nutzt einen eingeübten Kommunikationskreislauf aus Beschwichtigung, politischer Ambivalenz, Opferinszenierung und Gegenangriff auf Medien und andere Parteien“, führte Hillje weiter aus. „Weil ihre Anhänger den etablierten Medien und Parteien in höchstem Maße misstrauen, wirkt diese Strategie.“
Weidels Rundumschlag gegen Politik und Medien – „DDR-Methoden“ von „linken Aktivisten“
Der von Hillje angesprochene Kreislauf lässt sich auch anhand der Pressekonferenz der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla vom Dienstag (16. Januar) aufzeigen. Dort hatte Weidel ebenfalls erklärt, dass es sich bei der Veranstaltung nicht um ein „Geheimtreffen“, sondern lediglich um eine „private Begegnung“ gehandelt habe. Zur Remigration bekannte sich die AfD-Chefin. Das Ziel der AfD sei es jedoch, mit „rechtsstaatlichen Mitteln“ gegen illegale Migration vorzugehen.
Weidel holte in ihrer Erklärung zum verbalen Rundumschlag gegen die deutsche Medien- und Parteienlandschaft aus. Ihre Partei sehe sich in den letzten Tagen einer der „größten und ungeheuerlichsten Medien- und Politikskandale Deutschlands“ ausgesetzt. Correctiv bezeichnete die AfD-Chefin als „linkes Aktivisten-Netzwerk“ und sprach mit Blick auf die Berichterstattung von „DDR-Methoden“. Auch die Ernennung des Begriffs Remigration zum „Unwort des Jahres“ ist für Weidel ein Eklat. „Die Durchsetzung geltenden Rechts wird moralisch für unsagbar und undenkbar erklärt“, sagte die AfD-Politikerin.
„Remigration“ im Fokus – So wirkt die Sprachstrategie der AfD
Für Hillje zeigt sich gerade in dieser Begriffsdebatte eine klassische Strategie der Rechtspopulisten: „Der Begriff Remigration ist ein typisches Beispiel für die Sprachstrategie der AfD, sie besetzt neutral und harmlos klingende Begriffe und verändert deren Bedeutung mit einer eigenen, radikaleren Begriffsdefinition“, sagte Hillje. „So wird Remigration ein sprachlicher Deckmantel, ein Euphemismus für eine groß angelegte und rechtswidrige Verdrängung von unliebsamen Menschen.“
In den sozialen Netzwerken kam diese Strategie in den letzten Tagen nun richtig ins Rollen. Immer mehr X-Nutzer versahen ihre Profilbilder mit einem Rahmen mit der Aufschrift „Team #Remigration“. Ins Leben gerufen wurde die Aktion von dem Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich. Der 35-Jährige zog über die Landesliste der AfD in NRW in den Bundestag ein, verzichtete jedoch aufgrund radikaler verbaler Entgleisungen in der Vergangenheit nach seiner Wahl auf die Fraktionszugehörigkeit. Helferich hatte sich selbst in privaten Chats aus den Jahren 2016/17 als „freundliches Gesicht des NS“ bezeichnet, wie unter anderem der Spiegel berichtete.
Die AfD-Spitze im Wandel der Zeit: von Bernd Lucke bis Alice Weidel
„Remigrations“-Sticker im Sonderangebot: AfD rührt Werbetrommel auf Social Media
Der Landesvorsitzende der AfD in Thüringen, Björn Höcke, erklärte über X knapp: „Das polit-mediale Kartell hat #Remigration zum ‚Unwort des Jahres‘ erklärt.“ „Besser kann der Widerstreit zwischen Herrschenden und Volk“ nicht zum Ausdruck bringen. Anna Leisten, die Landesvorsitzende der Jungen Alternativen (JA) in Brandenburg, teilte wiederum ein Sonderangebot aus dem Online-Shop der Jugendorganisation: 50 Sticker mit der Aufschrift „Remigration – die einzige Antwort auf abgelehnte Asylanten“ kosten nun 30 Cent weniger.
Der Begriff Remigration floriert in den sozialen Netzwerken. Immer wieder scheint es der AfD zu gelingen, aufkommende Eklats – zumindest in ihren Kreisen – zu ihren Gunsten umzudeuten. Gerade unter ihren Anhängern geht diese Strategie offenbar auf. „Gegenüber ihrer Kernwählerschaft nimmt die AfD keinen Schaden, allerdings geht es ihr auch um die Anschlussfähigkeit an die gesellschaftliche Mitte“, schätzte Hillje die Auswirkungen der Correctiv-Recherche ein.
Kommunikationsberater über die AfD – „politische Vertretung für bestimmte radikalen Positionen“
„Die AfD sendet deshalb nach solchen Skandalen eine Doppelbotschaft, sie operiert mit einer strategischen Ambivalenz. Für die Medien und demokratische Gesellschaft relativiert sie, entlässt als Bauernopfer einen Mitarbeiter. Aber in Richtung des rechtsextremen Milieus und ihrer Kernwählergruppe versichert sie gleichzeitig, dass sie die politische Vertretung für bestimmte radikalen Positionen ist.“
Das Bauernopfer fand die Partei bereits am Dienstag. Weidel trennte sich von ihrem persönlichen Referenten Roland Hartwig. Die Entscheidung habe man „im Zusammenhang mit dem Treffen in Potsdam“ getroffen. Hartwig war einer der AfD-Politiker gewesen, die an dem Treffen teilgenommen hatten. Neben Hartwig waren auch die AfD-Bundestagsabgeordente Gerrit Huy, der Fraktionsvorsitzende der AfD in Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, und der stellvertretende Vorsitzende im Kreis Potsdam, Tim Krause, anwesend.
Doch ein Ausbrechen aus dem strategischen Kommunikationskreislauf der AfD erscheint schwer. Die Eklats der jüngeren Parteigeschichte haben der AfD kaum geschadet. In den aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl rangieren die Rechtspopulisten regelmäßig über der 20-Prozent-Marke. Bei den im Jahr 2024 anstehenden Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern hat die AfD sehr gute Chancen, stärkste Kraft zu werden.
Kommunikationsstrategie der AfD – Öffentlichkeit muss „rechtsextremen Konzepte offenlegen“
„Die demokratische Öffentlichkeit muss diese Umdeutungsversuche aufdecken und die rechtsextremen Konzepte offenlegen“, rät Hillje, um der Kommunikationsstrategie entgegenzuwirken. „Das Gesellschaftsideal vieler AfD-Politiker besteht sowohl aus einer ethnisch homogenen als auch einer politisch homogenen Zusammensetzung. Das heißt, dass Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch politisch Andersdenkende mit deutschen Wurzeln nicht dazugehören sollen.“
Als Beispiel für dieses Gesellschaftsbild führte Hillje den AfD-Vorsitzenden aus Thüringen an. „Höcke spricht von Volksteilen, die man verlieren werde, deshalb spricht er von einem Aderlass. Eine Metapher, die zum Ausdruck bringt, dass Menschen gewissermaßen vom eigenen Blut verdrängt werden müssten.“ Höcke, der nach einem Gerichtsurteil aus dem Jahr 2019 öffentlich als „Faschist“ bezeichnet werden darf, könnte der große Sieger bei der Landtagswahl in Thüringen im September werden. In den Umfragen liegt seine Partei aktuell bei deutlich über 30 Prozent. Ein Erfolg, der wohl auch auf die Kommunikationsstrategie seiner Partei zurückzuführen ist. (fd)