Die AfD und die Justiz
Björn Höcke als „Nazi“ bezeichnet – Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen ein
Inzwischen haben bereits zwei Staatsanwaltschaften zuungunsten von Björn Höcke entschieden. Beide Male gingen die Verfahren nicht von der AfD aus.
Hamburg – Der bekannte AfD-Politiker Björn Höcke wird regelmäßig mit sehr eindeutigen Begriffen benannt. Er sitzt dem thüringischen Landesverband seiner Partei vor, den der Verfassungsschutz bereits 2021 als gesichert rechtsextremistisch einstufte. Schon seit 2019 darf man Höcke laut eines Gerichtsurteils als „Faschisten“ bezeichnen, da dieses Werturteil „auf einer überprüfbaren Tatsachengrundlage“ beruhe, so das Verwaltungsgericht Meiningen damals.
Auch die Bezeichnung als „Nazi“, juristisch für gewöhnlich als Beleidigung gewertet, wird von den Organen der Justiz offenbar toleriert, wenn sie auf den Rechtsextremisten Björn Höcke angewendet wird. Darauf deutet eine Entscheidung der Hamburger Staatsanwaltschaft hin, über die die taz berichtete. Die Strafverfolgungsbehörde hat ihre Ermittlungen wegen eines Plakats eingestellt, auf dem der Schriftzug „Björn Höcke ist ein Nazi“ zu lesen war, neben einer Darstellung Höckes mit erhobenem rechten Arm.
„Björn Höcke ist ein Nazi“ – Plakat auf Hamburger Kundgebung missfiel der Polizei
Das fragliche Plakat hing während des Hamburger „Befreiungsfestes“ am vergangenen 8. Mai, dem Tag der Befreiung, an der Rückseite eines Infostandes der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Die Hamburger Polizei störte sich an der sehr eindeutigen Darstellung Höckes und sah darin einen möglichen Verstoß gegen Paragraf 188 des Strafgesetzbuches, also eine „gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung“.
Das Landeskriminalamt der Hansestadt nahm deshalb wegen des Anfangsverdachts einer Straftat Ermittlungen gegen Cornelia Kerth, die Bundesvorsitzende des VVN-BdA, auf, die dessen Infostand auf dem „Befreiungsfest“ verantwortete. Gegenüber der taz zeigte die 69-Jährige sich Anfang Juli erstaunt über das Verfahren. „Auf die Idee muss man erst einmal kommen“, sagt Kerth zu dem Vorwurf. „Die Hamburger Polizei hält es also eventuell für eine Straftat, das zu sagen, was die Spatzen von den Dächern pfeifen.“
Björn Höcke – ein Mann so offenkundig rechtsextrem wie wenige andere in der AfD
Björn Höcke gilt wie kaum ein anderer als Repräsentant des in der AfD dominierenden Rechtsextremismus. Der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, nannte neben Andreas Kalbitz auch Höcke namentlich, um die Einstufung des damals noch offiziell bestehenden „Flügels“ in der AfD als rechtsextremen Verdachtsfall zu begründen. Mit hörbarem Nachdruck bezeichnete er beide Politiker auf einer Pressekonferenz als Rechtsextremisten.
Das war im Frühjahr 2020. Der „Flügel“ löste kurz darauf seine formalen Strukturen auf, der Brandenburger Kalbitz wurde noch im selben Jahr über Umwege aus der Partei geworfen, als Details aus seiner Nazi-Vergangenheit bekannt wurden. Höcke hingegen ist immer noch sehr einflussreich in der AfD, die sich in den letzten Jahren deutlich radikalisiert hat. Sogar als möglicher Kanzlerkandidat ist Höcke immer wieder mal im Gespräch, wenn er selbst auch jede Klarstellung in diese Richtung vermeidet.
Verbotene Nazi-Parolen bringen Höcke mittlerweile vor Gericht
Berüchtigt ist inzwischen das Spiel mit Phrasen, die der Thüringer AfD-Chef in seine Reden einbaut und die im Verdacht stehen, Anspielungen auf ähnliche oder identische Parolen zu sein, wie sie die Nazis verwendeten. Die Parole „Alles für Deutschland“, eine verbotene Losung der Sturmabteilung (SA) der NSDAP, brachte ihm dieses Jahr sogar eine Anklage durch die Staatsanwaltschaft Halle ein. Das Landgericht Halle ließ die Anklage gegen Höcke, deretwegen seine parlamentarische Immunität nicht zum ersten Mal aufgehoben worden war, im vergangenen September zu.
Mittlerweile betiteln auch reputable Ministerpräsidenten Björn Höcke öffentlich als Nazi. So etwa der Regierungschef von NRW Hendrik Wüst erst im vergangenen Oktober. „Wenn die prägende Figur einer Partei Nazi ist, dann ist das eine Nazipartei“, sagte er vor der AfD warnend, nachdem sie bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern beunruhigend gute Ergebnisse eingefahren hatte. Über die „prägende Figur“ Björn Höcke sagte er außerdem: „Den darf man einen Faschisten nennen, den darf man einen Nazi nennen.“
Staatsanwaltschaft Hamburg stellt Verfahren ein – vermutlich aus ähnlichen Gründen wie die Frankfurter Behörde
Ob man Höcke einen „Nazi“ nennen darf, ist juristisch tatsächlich nicht endgültig geklärt, da es dazu noch kein Gerichtsurteil gibt. Die Entscheidung der Hamburger Staatsanwaltschaft, das Verfahren einzustellen, könnte darauf hindeuten, dass Juristen diesen Fall ähnlich bewerten, wie es das Verwaltungsgericht Meiningen 2019 hinsichtlich der Bezeichnung Höckes als „Faschisten“ tat. Die Hamburger Staatsanwälte, die Cornelia Kerth nicht über die Gründe für die Einstellung des Verfahrens informierten, wären mit dieser Einschätzung nicht die ersten.
In Frankfurt entschied die Staatsanwaltschaft in einem nahezu identischen Fall, dass die Bezeichnung Höckes als Nazi „ein an Tatsachen anknüpfendes Werturteil“ und damit im Sinne der Meinungsfreiheit zulässig ist. Dies müsse vor dem Hintergrund gesehen werden, dass Höcke „sich in den letzten Jahren [...] in eindeutig nationalistisch-völkischer Weise mit rassistischen Anklängen und unter Hervorhebung eines natürlichen Führungsanspruchs der Deutschen geäußert“ und dabei immer wieder „Standardvokabular“ der Nationalsozialisten verwendet habe, wie die ARD die Staatsanwaltschaft zitiert.
Die AfD oder Höcke selbst meiden einen solchen Rechtsstreit
Das ebenfalls im Mai eröffnete Verfahren gegen den hessischen Landessprecher des VVN-BdA, dem ein Plakat gleichen Inhalts zum Vorwurf gemacht worden war, wurde am 12. Juni eingestellt. Kurz darauf erfuhr in Hamburg die VVN-BdA-Chefin Kerth von den gegen sie eingeleiteten Ermittlungen – und sah diesen gelassen entgegen. „Ich bin guter Dinge, dass es so ausgeht wie in Hessen“, sagte sie damals der taz. Diese Gelassenheit war offenbar berechtigt.
Bemerkenswert in diesen Fällen ist der Umstand, dass weder in Frankfurt noch in Hamburg die AfD oder Höcke selbst die Verfahren angestoßen haben. Die Partei scheint offenbar einen Rechtsstreit um die Person Höckes zu meiden. Sie wolle wohl nicht von einem Gericht politisch eingeordnet werden, vermutet Kerth. Mit dem Landesverband von Sachsen-Anhalt wurde derweil erst am 7. November der zweite Landesverband der AfD vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.
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