„Rich Kids“ von Kampen
Jugendforscher über Sylt-Video: „Kinder reicher Eltern, die sich über andere Menschen stellen“
Rüdiger Maas vom Institut für Generationenforschung warnt angesichts des Sylt-Videos vor Verallgemeinerungen. Er kann dem Fall sogar Gutes abgewinnen.
Berlin – Das ganze Land spricht über ein Video, in dem Partygäste auf Sylt rechtsradikale Parolen grölen. In dem nur wenige Sekunden kurzen Schnipsel zeigen sich junge Menschen auf der Terrasse des „Pony“-Clubs, wie sie zur Melodie des Hits „L‘Amour Toujours“ von Gigi D‘Agostino johlen: „Ausländer raus, Ausländer raus, Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ Das Video, an Pfingsten aufgenommen, ging im Internet viral, es wurde vielfach geteilt und kommentiert.
Die Empörung ist noch immer groß. Der selbstbewusst zur Schau gestellte Nationalismus sei „ein Gegenmodell des gerade gefeierten Verfassungspatriotismus“, erklärt der Sozialpsychologe Andreas Zick im Gespräch mit dieser Redaktion während der Deutschlandfeste zu Demokratie und 75 Jahre Grundgesetz. In dem Clip werde „das Volk ethnisch definiert“ – gerade von Menschen jener Generation, die im gemeinsamen Europa aufgewachsen ist. Was sagt das über junge Wahlberechtigte aus?
Das Nazi-Gegröle von Sylt und die AfD auf TikTok
Ungefähr zehn Prozent der jungen Leute in Deutschland sind Studien zufolge nationalistisch, autoritär, rechtsradikal orientiert. Zu Beginn des Jahres warnte der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann in einem Interview: „Wir stellen fest, dass eine Partei wie die AfD in der jungen Generation kräftig punktet.“
Dem Generationenforscher Rüdiger Maas ist diese Sicht zu pauschal. Gewiss, die AfD sei auf TikTok präsent und verbreite auf der Plattform geschickt fragwürdige bis perfide politische Inhalte. „Junge Wahlberechtigte sind heute aber nicht rechtsradikaler als junge Menschen in früheren Zeiten“, sagt Maas in einem Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Das Nazi-Gegröle von Sylt sage daher nur wenig über die gesamte Kohorte aus.
Das Nationalgefühl in der „Gen Z“ hat abgenommen
Der Wissenschaftler vom Augsburger Institut für Generationenforschung hat zum Nationalgefühl der Deutschen vor der Fußball-Europameisterschaft eine Umfrage gemacht. „Dabei ist herausgekommen, dass sich bei der Generation Z (Zuschreibung für die Menschen, die ab Mitte der 1990er geboren wurden, Anm. d. Red.) der Nationalstolz angesichts der wirtschaftlichen und sportlichen Erfolge Deutschlands zwischen 2014 und 2024 sogar leicht verringert hat.“
Maas zieht vor diesem Hintergrund seine eigenen Erkenntnisse aus dem Sylt-Video. „Freilich habe auch ich schockiert reagiert“, sagt er. „Früher gab es das allerdings auch schon. In Festzelten hat man jede Woche irgendwo rassistische Lieder gehört.“ Nur sei die rechtsradikale Bierzelt-Tirade damals häufig untergegangen, weil sie weder gefilmt noch im Internet geteilt wurde. Maas verblüfft das ungenierte Selbstbewusstsein, das jetzt an den Tag gelegt wird: „Ich sehe in dem Sylt-Video eher einen herausragenden Fall von Klassismus als von Rassismus.“
„Rich Kids“, die sich zu einer gesellschaftlichen Elite zählen
An Pfingsten feiern in Kampen auf Sylt gerne Kinder reicher Eltern. „Rich Kids“, die offenbar jedes Maß verloren haben – „und sich über andere Menschen stellen“, so Maas. „Ich könnte mir sogar vorstellen, dass einige dieser privilegierten Menschen ein Semester im Ausland studiert haben“, sagt der Jugendforscher. „Sie zählen sich zu einer gesellschaftlichen Elite und meinen, dass ihnen all das, was sie haben, wie selbstverständlich zusteht.“
Maas kann dem Fall trotzdem etwas Positives abgewinnen. „Wir sprechen über eine kleine Partygruppe auf Sylt, über die sich jetzt Millionen Menschen aufregen. Ihr Verhalten wurde sanktioniert, die Leute haben teilweise ihre Jobs verloren, möglicherweise folgen strafrechtliche Konsequenzen“, sagt der Sozialpsychologe. „Vor zwanzig Jahren hätte man so etwas einfach vergessen, heute wird es nicht mehr geduldet. Insofern geht es gesamtgesellschaftlich voran.“
Rubriklistenbild: © picture alliance/dpa | Lea Sarah Albert

