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Bedrohliche Szenarien

Angriff Chinas auf Taiwan: „Erster Monat“ entscheidet über Schicksal des Inselstaats

China will sich Taiwan einverleiben. Aber wie? Experten haben nun zwei Szenarien durchgespielt – mit brisanten Ergebnissen.

Wie allergisch China reagieren kann, wenn es um US-Unterstützung für Taiwan geht, musste vor wenigen Tagen der amerikanische Verteidigungsminister erfahren. Eigentlich wollte sich Pentagon-Chef Lloyd Austin Anfang letzter Woche am Rande eines Gipfels in Laos mit seinem chinesischen Amtskollegen treffen, doch der sagte kurzerhand ab. Der Grund: Ende Oktober hatten die USA Waffenlieferungen an Taiwan in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar genehmigt, darunter sind auch moderne Luftabwehrsysteme.

China betrachtete das demokratisch regierte Taiwan als Teil des eigenen Staatsgebiets und droht damit, sich den Inselstaat mit Gewalt einzuverleiben. US-Präsident Joe Biden hatte der Regierung in Taipeh in den vergangenen Jahren deshalb mehrfach die militärische Unterstützung seines Landes zugesichert, sein Nachfolger Donald Trump indes hat sich im zurückliegenden Wahlkampf weniger eindeutig geäußert. Allerdings will Trump mehrere China-Kritiker in sein Kabinett berufen, fallenlassen dürfte also auch die nächste US-Regierung Taiwan nicht. Für Militärstrategen stellt sich deshalb die Frage: Wie können US-Truppen dem taiwanischen Militär im Falle eines chinesischen Angriffs zur Seite stehen?

China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt

Taiwans F-16-Kampfjet (links) überwacht einen der beiden chinesischen H-6-Bomber, die den Bashi-Kanal südlich von Taiwan und die Miyako-Straße in der Nähe der japanischen Insel Okinawa überflogen.
Seit Jahrzehnten schon schwelt der Taiwan-Konflikt. Noch bleibt es bei Provokationen der Volksrepublik China; eines Tages aber könnte Peking Ernst machen und in Taiwan einmarschieren. Denn die chinesische Regierung hält die demokratisch regierte Insel für eine „abtrünnige Provinz“ und droht mit einer gewaltsamen „Wiedervereinigung“. Die Hintergründe des Konflikts reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. © Taiwan Ministry of Defence/AFP
Chinas letzter Kaiser Puyi
Im Jahr 1911 zerbricht das viele Jahrtausende alte chinesische Kaiserreich. Der letzte Kaiser Puyi (Bild) wird abgesetzt, die Xinhai-Revolution verändert China für immer. Doch der Weg in die Moderne ist steinig. Die Jahre nach der Republikgründung waren von Wirren und internen Konflikten geprägt.  © Imago
Porträt von Sun Yatsen auf dem Tiananmen-Platz in Peking
Im Jahr 1912 gründet Sun Yat-sen (Bild) die Republik China. Es folgen Jahre des Konflikts. 1921 gründeten Aktivisten in Shanghai die Kommunistische Partei, die zum erbitterten Gegner der Nationalisten (Guomindang) Suns wird. Unter seinem Nachfolger Chiang Kai-shek kommt es zum Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Erst der Einmarsch Japans in China ab 1937 setzt den Kämpfen ein vorübergehendes Ende. © Imago
Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Aus diesem gehen 1949 die Kommunisten als Sieger hervor. Mao Zedong ruft am 1. Oktober in Peking die Volksrepublik China aus (Bild).  © Imago Images
Chiang Kai-shek
Verlierer des Bürgerkriegs sind die Nationalisten um General Chiang Kai-shek (Bild). Sie fliehen 1949 auf die Insel Taiwan. Diese war von 1895 bis 1945 japanische Kolonie und nach der Niederlage der Japaner an China zurückgegeben worden. Auf Taiwan lebt seitdem die 1912 gegründete Republik China weiter. Viele Jahre lang träumt Chiang davon, das kommunistisch regierte Festland zurückzuerobern – während er zu Hause in Taiwan mit eiserner Hand als Diktator regiert. © Imago
Richard Nixon und Zhou Enlai 1972
Nach 1949 gibt es zwei Chinas: die 1949 gegründete Volksrepublik China und die Republik China auf Taiwan, die 1912 gegründet wurde. Über Jahre gilt die taiwanische Regierung als legitime Vertreterin Chinas. Doch in den 70er-Jahren wenden sich immer mehr Staaten von Taiwan ab und erkennen die kommunistische Volksrepublik offiziell an. 1972 verliert Taiwan auch seinen Sitz in den Vereinten Nationen, und Peking übernimmt. Auch die USA brechen mit Taiwan und erkennen 1979 – sieben Jahre nach Richard Nixons legendärem Peking-Besuch (Bild) – die Regierung in Peking an. Gleichzeitig verpflichten sie sich, Taiwan mit Waffenlieferungen zu unterstützen. © Imago/UIG
Chiang Ching-Kuo in Taipeh
Im Jahr 1975 stirbt Taiwans Dikator Chiang Kai-shek. Neuer Präsident wird drei Jahre später dessen Sohn Chiang Ching-kuo (Bild). Dieser öffnet Taiwan zur Welt und beginnt mit demokratischen Reformen. © imago stock&people
Chip made in Taiwan
Ab den 80er-Jahren erlebt Taiwan ein Wirtschaftswunder: „Made in Taiwan“ wird weltweit zum Inbegriff für günstige Waren aus Fernost. Im Laufe der Jahre wandelt sich das Land vom Produzenten billiger Produkte wie Plastikspielzeug zur Hightech-Nation. Heute hat in Taiwan einer der wichtigsten Halbleiter-Hersteller der Welt - das Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer. © Torsten Becker/Imago
Tsai Ing-wen
Taiwan gilt heute als eines der gesellschaftlich liberalsten und demokratischsten Länder der Welt. In Demokratie-Ranglisten landet die Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern immer wieder auf den vordersten Plätzen. Als bislang einziges Land in Asien führte Taiwan 2019 sogar die Ehe für alle ein. Regiert wurde das Land von 2016 bis 2024 von Präsidentin Tsai Ing-wen (Bild) von der Demokratischen Fortschrittspartei. Ihr folgte im Mai 2024 ihr Parteifreund Lai Ching-te. © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping
Obwohl Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, will Staats- und Parteichef Xi Jinping (Bild) die Insel gewaltsam eingliedern. Seit Jahrzehnten droht die kommunistische Führung mit der Anwendung von Gewalt. Die meisten Staaten der Welt – auch Deutschland und die USA – sehen Taiwan zwar als einen Teil von China an – betonen aber, dass eine „Wiedervereinigung“ nur friedlich vonstattengehen dürfe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die kommunistiche Diktatur Chinas ist für die meisten Taiwaner nicht attraktiv. © Dale de la Rey/AFP
Militärübung in Kaohsiung
Ob und wann China Ernst macht und in Taiwan einmarschiert, ist völlig offen. Es gibt Analysten, die mit einer Invasion bereits in den nächsten Jahren rechnen – etwa 2027, wenn sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100. Mal jährt. Auch das Jahr 2049 – dann wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt – wird genannt. Entscheidend dürfte sein, wie sicher sich China ist, einen Krieg auch zu gewinnen. Zahlenmäßig ist Pekings Armee der Volksrepublik den taiwanischen Streitkräften überlegen. Die Taiwaner sind dennoch gut vorbereitet. Jedes Jahr finden große Militärübungen statt; die Bevölkerung trainiert den Ernstfall, und die USA liefern Hightech-Waffen.  © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping auf einem chinesischen Kriegsschiff
Analysten halten es für ebenso möglich, dass China zunächst nicht zu einer Invasion Taiwans blasen wird, sondern mit gezielten Nadelstichen versuchen könnte, den Kampfgeist der Taiwaner zu schwächen. So könnte Xi Jinping (Bild) eine Seeblockade anordnen, um die Insel Taiwan vom Rest der Welt abzuschneiden. Auch ein massiver Cyberangriff wird für möglich gehalten.  © Li Gang/Xinhua/Imago
Protest in Taiwan
Auch wenn die Volksrepublik weiterhin auf eine friedliche „Wiedervereinigung“ mit Taiwan setzt: Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die meisten Taiwaner fühlen sich längst nicht mehr als Chinesen, sondern eben als Taiwaner. Für sie ist es eine Horrorvorstellung, Teil der kommunistischen Volksrepublik zu werden und ihre demokratischen Traditionen und Freiheiten opfern zu müssen. Vor allem das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong hat ihnen gezeigt, was passiert, wenn die Kommunistische Partei den Menschen ihre Freiheiten nimmt. © Ritchie B. Tongo/EPA/dpa

Experten der US-Denkfabrik CSIS sowie Mitglieder eines Komitees des US-Repräsentantenhauses haben nun in einer Simulation einen möglichen chinesischen Angriff durchgespielt – und dabei auch die Rolle der USA beleuchtet. Wie die taiwanische Nachrichtenagentur CNA berichtet, wurden zwei Szenarien skizziert: ein Angriff auf den Norden sowie auf den Süden der Insel.

Szenario 1: China greift Taiwans Norden an

Ein Großteil der taiwanischen Bevölkerung lebt im Norden des Inselstaats. Hier befindet sich auch die Hauptstadt Taipeh. Zudem haben hier viele Unternehmen ihren Sitz, hier schlägt das industrielle Herz Taiwans. Entsprechend stark ist der Norden Taiwans aber auch militärisch gesichert. Ein chinesischer Angriff, so CSIS-Verteidigungsexperte Mark Cancian, würde „in einer großen Schlacht außerhalb von Taipeh enden“, Chinas Volksbefreiungsarmee würde sich in diesem Szenario direkt „in die Zähne der taiwanischen Verteidigungslinien“ begeben.

Szenario 2: China greift Taiwans Süden an

Deutlich einfacher sei es für die chinesischen Truppen, im Süden der Insel an Land zu gehen. Dort leben weniger Menschen, auch ist hier weniger taiwanisches Militär stationiert. Chinas Armee würde diesem Szenario zufolge zunächst versuchen, schnell einen Hafen oder einen Flughafen einzunehmen; um anschließend aber die Kontrolle über den Rest des Landes und die Hauptstadt Taipeh zu übernehmen, müssten sich die Chinesen „ihren Weg die ganze Insel hoch erkämpfen“, so Cancian. Der daraus resultierende Feldzug würde ähnlich wie der Italiens im Zweiten Weltkrieg aussehen: mit chinesischen und taiwanesischen Truppen, die „Flusslinie für Flusslinie, Kammlinie für Kammlinie“ kämpfen, so der CSIS-Analyst.

Die Rolle der USA bei einem chinesischen Angriff auf Taiwan

Eine entscheidende Lektion der Simulation ist laut Cancian: „Sobald die Kämpfe begonnen haben, ist es unmöglich, Truppen oder Verstärkung nach Taiwan zu bekommen.“ Da die chinesischen Streitkräfte Taiwan im Falle eines Angriffs umzingeln würden, könnten die USA „zumindest in den ersten drei oder vier Wochen“ Taiwan weder auf dem See- noch auf Landweg erreichen. „Taiwan müsste mindestens den ersten Monat, vielleicht sogar die ersten zwei Monate, mit dem kämpfen“, was dem Land zu Beginn des Angriffs zur Verfügung gestanden habe.

Entsprechend wichtig sei es, die Regierung in Taipeh rechtzeitig mit Waffen zu beliefern. „Ich denke, das Effektivste, was man tun kann, ist, Taiwan 500 Harpoon-Raketen zu geben“, so Cancian. Diese sogenannten Seezielflugkörper des US-Herstellers Boeing werden zur Bekämpfung von Schiffen oder anderen maritimen Zielen eingesetzt. Berichten zufolge hat Taiwan von den USA bereits eine unbekannte Zahl an Harpoon-Systemen erworben.

Soldaten aus Taiwan stehen im Januar 2023 Wache nach einer Bereitschaftsübung, bei der die Verteidigung gegen Pekings militärische Angriffe simuliert wurde.

Weitere Szenarien für einen Angriff auf Taiwan

Die US-Regierung geht zwar davon aus, dass China bis 2027 militärisch in der Lage dazu wäre, Taiwan anzugreifen. Ob Peking aber tatsächlich eine großangelegte Invasion des Inselstaats plant, ist offen. Experten halten noch weitere Szenarien für möglich, darunter eine Blockade oder eine Quarantäne der Insel. In einem neuen Bericht warnte der US-Militärgeheimdienst DIA zudem vor einem chinesischen Atomschlag gegen Taiwan. „Peking würde wahrscheinlich auch den Einsatz seiner Nuklearstreitkräfte in Erwägung ziehen, wenn eine konventionelle militärische Niederlage in Taiwan das Überleben des Regimes ernsthaft gefährden würde“, heißt es in dem Bericht. (sh)

Rubriklistenbild: © Daniel Ceng/AP/dpa

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