Neue Studie
„Wahrscheinlicher als Invasion“: Wie China mit einer Quarantäne Taiwan übernehmen könnte
Blockade oder Invasion – das sind meist die Szenarien für einen Angriff auf Taiwan. Eine neue Studie nennt nun einen dritten, nicht minder gefährlichen Weg, wie China sein Ziel erreichen könnte.
Seit gut einem Monat ist Taiwans neuer Präsident im Amt – ein Mann, den Chinas Regierung als „gefährlichen Separatisten“ bezeichnet und dem sie vorwirft, den Inselstaat für unabhängig von der Volksrepublik erklären zu wollen. Lai Ching-te von der seit zehn Jahren regierenden Demokratischen Fortschrittspartei hatte die Wahl Anfang Januar gewonnen, trotz massiver Einschüchterungsversuche aus Peking.
Kurz nach der Amtseinführung von Lai folgten auf die harten Worte aus Peking dann handfestere Drohungen: Chinas Volksbefreiungsarmee startete Ende Mai zweitägige Militärmanöver rund um die demokratisch regierte Insel, als „harte Bestrafung“ für die Wahl von Lai und als „Warnung“ an die Verbündeten Taiwans. Vor ein paar Tagen dann veröffentlichte die Regierung in Peking neue Richtlinien für die chinesischen Gerichte und Sicherheitsorgane, die aufgerufen werden, „unverbesserliche Kämpfer für eine taiwanische Unabhängigkeit hart zu bestrafen“. Wer „dem Staat und dem Volk besonders schweren Schaden zufügt“, solle mit dem Tod bestraft werden, heißt es in den Richtlinien, aus denen die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua zitierte. Fast täglich schickt Peking zudem Kampfjets und Kriegsschiffe in die Nähe der Insel.
All das soll die Taiwaner einschüchtern – aber sind es auch Vorboten einer Invasion? Das Ziel der chinesischen Regierung ist jedenfalls klar: Taiwan soll an China angegliedert werden, möglichst friedlich, aber notfalls auch mit militärischer Gewalt.
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Quarantäne könnte Taiwan von der Außenwelt abschneiden
Militäranalysten halten meist zwei mögliche Szenarien für wahrscheinlich, sollte China sich dazu entscheiden, sich Taiwan einzuverleiben: eine großangelegte Invasion sowie eine Blockade der Insel. Experten der US-Denkfabrik CSIS bringen nun eine weitere Alternative ins Spiel: eine „Quarantäne“. Diese könnte sogar dazu führen, dass am Ende nicht Chinas als Aggressor dasteht – sondern die USA, so die Autoren der unlängst veröffentlichten Studie.
Anders als eine Blockade, die vom Militär durchgeführt würde, sei eine Quarantäne „eine von den Strafverfolgungsbehörden geführte Operation zur Kontrolle des See- oder Luftverkehrs in einem bestimmten Gebiet“, so die CSIS-Autoren. Konkret heißt das: China könnte neue Zollregeln erlassen und in der Folge alle Handelsschiffe oder Tanker kontrollieren, die taiwanische Häfen anlaufen oder diese verlassen wollen. „Schiffe der chinesischen Behörden wären befugt, an Bord zu gehen, Inspektionen vor Ort durchzuführen, Personal zu befragen und andere Maßnahmen gegen Schiffe zu ergreifen, die die Vorschriften nicht einhalten.“
So könnte Peking nicht nur verhindern, dass amerikanische Waffenlieferungen die Insel erreichen. Auch würde eine lang anhaltende Quarantäne die taiwanische Regierung schwächen und „den politischen Druck auf Taiwans Führung erhöhen, mit Peking zu verhandeln oder die Beziehungen zu verbessern“. Zudem würde eine Quarantäne der Weltgemeinschaft zeigen, „dass Taiwan keine Kontrolle über sein eigenes Hoheitsgebiet hat“, heißt es in der Studie.
Falls China angreift: Kommen die USA den Taiwanern zur Hilfe?
Da Peking die Insel Taiwan als Teil des eigenen Staatsgebiets betrachtet, dürften sich die chinesischen Behörden zu solchen Schritten befugt sehen. Und während eine Blockade nach internationalem Recht als kriegerischer Akt gewertet wird, gelte das für eine Quarantäne nicht, so die Studienautoren. Besonders perfide: Sollten die USA eingreifen, um Chinas Quarantänemaßnahmen zu beenden, könnte Peking das als kriegerischen Akt betrachten – nicht Peking, sondern Washington stünde also als Aggressor da. Gleichzeitig könnte sich Chinas Führung ermutigt fühlen, nach einer erfolgreichen Quarantäne einen Schritt weiter zu gehen – bis hin zu einer Invasion der Insel.
US-Präsident Joe Biden hatte vor Kurzem erneut bekräftigt, sein Land werde Taiwan beistehen, sollte China angreifen. Die USA unterhalten zwar keine diplomatischen Beziehungen zu Taipeh, unterstützen das Land aber seit Jahrzehnten mit Waffen zur Verteidigung. Ob die USA im Falle einer chinesischen Invasion auch militärisch eingreifen würden, ließ Biden allerdings offen. „Das kommt auf die Umstände an“, sagte Biden Anfang Juni im Interview mit dem Magazin Time. Im Fall einer Quarantäne halten die CSIS-Autoren es jedenfalls für unwahrscheinlich, dass die USA den Taiwanern zur Hilfe eilen.
Die CSIS-Autoren glauben zudem, dass China seine Ziele schon mit sehr begrenzten Aktionen erreichen könnte. „Sollte China nur eine Handvoll Handelsschiffe durchsuchen und beschlagnahmen, könnte das eine große abschreckende Wirkung haben.“ Viele Reedereien können sich folglich weigern, Taiwan weiterhin anzulaufen.
„Eine Quarantäne ist für China eher machbar als eine Invasion oder Blockade“
„Eine Quarantäne ist für China eher machbar und wahrscheinlicher als eine Invasion oder Blockade“, schreiben die CSIS-Analysten. So besitze die taiwanische Küstenwache lediglich zehn große und 160 kleine Schiffe, China hingegen 150 große und 400 kleine Küstenwachenboote. Hinzu kämen Hunderte weitere chinesische Schiffe, das Land besitzt die größte Marine der Welt.
In taiwanischen Sicherheitskreisen werde das Quarantäne-Szenario schon seit einiger Zeit diskutiert, sagt Sheu Jyh-Shyang, Analyst am Institute for National Defense and Security Research in Taipeh. „Meine Meinung nach ist eine solche Quarantäne theoretisch machbar, aber schwierig durchzuführen“, sagte Sheu zu IPPEN.MEDIA. Denn China bräuchte einen langen Atem, wollte es Schiffe, die Taiwan ansteuern, über Wochen oder Monate flächendeckend kontrollieren. Zumal die chinesische Küstenwache Schiffe, die unter der Flagge anderer Staaten fahren, wohl kaum genauso behandeln würde wie solche aus Taiwan.
Eine lange Quarantäne ist zudem kostspielig, der Ausgang ist ungewiss. Auch würde die internationale Gemeinschaft China wohl kaum einfach gewähren lassen. Taiwan hat in den vergangenen Jahren die inoffiziellen Beziehungen zu vielen westlichen Ländern intensiviert, außerdem ist die Weltwirtschaft angewiesen auf hoch entwickelte Mikrochips, die überwiegend auf der Insel produziert werden. „Es ist fraglich, wie gefährlich seine solche Quarantäne für Taiwan wirklich ist“, sagt Analyst Sheu.
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