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Neue Studie

Weder Krieg noch Blockade: Experten nennen „wahrscheinlichstes Szenario“ für China-Angriff auf Taiwan

China will sich Taiwan einverleiben. Aber wie? Eine neue Studie nennt nun ein Szenario, das auch die westlichen Verbündeten des Landes vor Probleme stellen würde.

„Taiwan ist ein heiliges Territorium Chinas, und die Menschen auf beiden Seiten der Taiwanstraße sind durch Blut verbunden, und Blut ist dicker als Wasser“: Mit reichlich Pathos bekräftigte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping jüngst vor Parteikadern die chinesischen Ansprüche auf Taiwan. Die „Wiedervereinigung des Mutterlandes“, so Xi Ende September in einer Rede, sei ein Trend, der „von niemandem aufgehalten“ werden könne. Anlass für Xis Worte – die in Taiwan freilich als Drohung aufgefasst wurden – war der 75. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China. Seit dem 1. Oktober 1949 gibt es zwei chinesische Staaten – die kommunistische Volksrepublik sowie die Republik China, die 1912 gegründet wurde und auf Taiwan weiterlebt.

Xi lässt schon länger keinen Zweifel daran, dass er Taiwan mit China „wiedervereinigen“ will. Bis 2049, wenn die Volksrepublik auf 100 Jahre Geschichte zurückblickt, soll sich das ganze Land hinter der Kommunistischen Partei versammeln – einschließlich der Menschen in Taiwan. Wie genau sich Xi das demokratische Taiwan einverleiben will, ist bislang allerdings offen. Möglichst friedlich solle das geschehen, sagt Xi zwar immer wieder. Was allerdings äußerst unwahrscheinlich ist, da Meinungsumfragen seit Jahren zeigen, dass sich die überwältigende Mehrheit der Taiwaner nicht vorstellen kann, unter der Knute Pekings zu leben. Also wird Xi wohl auf andere Mittel zurückgreifen, um seine Vision eines „geeinten“ Chinas zu verwirklichen.

China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt

Taiwans F-16-Kampfjet (links) überwacht einen der beiden chinesischen H-6-Bomber, die den Bashi-Kanal südlich von Taiwan und die Miyako-Straße in der Nähe der japanischen Insel Okinawa überflogen.
Seit Jahrzehnten schon schwelt der Taiwan-Konflikt. Noch bleibt es bei Provokationen der Volksrepublik China; eines Tages aber könnte Peking Ernst machen und in Taiwan einmarschieren. Denn die chinesische Regierung hält die demokratisch regierte Insel für eine „abtrünnige Provinz“ und droht mit einer gewaltsamen „Wiedervereinigung“. Die Hintergründe des Konflikts reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. © Taiwan Ministry of Defence/AFP
Chinas letzter Kaiser Puyi
Im Jahr 1911 zerbricht das viele Jahrtausende alte chinesische Kaiserreich. Der letzte Kaiser Puyi (Bild) wird abgesetzt, die Xinhai-Revolution verändert China für immer. Doch der Weg in die Moderne ist steinig. Die Jahre nach der Republikgründung waren von Wirren und internen Konflikten geprägt.  © Imago
Porträt von Sun Yatsen auf dem Tiananmen-Platz in Peking
Im Jahr 1912 gründet Sun Yat-sen (Bild) die Republik China. Es folgen Jahre des Konflikts. 1921 gründeten Aktivisten in Shanghai die Kommunistische Partei, die zum erbitterten Gegner der Nationalisten (Guomindang) Suns wird. Unter seinem Nachfolger Chiang Kai-shek kommt es zum Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Erst der Einmarsch Japans in China ab 1937 setzt den Kämpfen ein vorübergehendes Ende. © Imago
Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Aus diesem gehen 1949 die Kommunisten als Sieger hervor. Mao Zedong ruft am 1. Oktober in Peking die Volksrepublik China aus (Bild).  © Imago Images
Chiang Kai-shek
Verlierer des Bürgerkriegs sind die Nationalisten um General Chiang Kai-shek (Bild). Sie fliehen 1949 auf die Insel Taiwan. Diese war von 1895 bis 1945 japanische Kolonie und nach der Niederlage der Japaner an China zurückgegeben worden. Auf Taiwan lebt seitdem die 1912 gegründete Republik China weiter. Viele Jahre lang träumt Chiang davon, das kommunistisch regierte Festland zurückzuerobern – während er zu Hause in Taiwan mit eiserner Hand als Diktator regiert. © Imago
Richard Nixon und Zhou Enlai 1972
Nach 1949 gibt es zwei Chinas: die 1949 gegründete Volksrepublik China und die Republik China auf Taiwan, die 1912 gegründet wurde. Über Jahre gilt die taiwanische Regierung als legitime Vertreterin Chinas. Doch in den 70er-Jahren wenden sich immer mehr Staaten von Taiwan ab und erkennen die kommunistische Volksrepublik offiziell an. 1972 verliert Taiwan auch seinen Sitz in den Vereinten Nationen, und Peking übernimmt. Auch die USA brechen mit Taiwan und erkennen 1979 – sieben Jahre nach Richard Nixons legendärem Peking-Besuch (Bild) – die Regierung in Peking an. Gleichzeitig verpflichten sie sich, Taiwan mit Waffenlieferungen zu unterstützen. © Imago/UIG
Chiang Ching-Kuo in Taipeh
Im Jahr 1975 stirbt Taiwans Dikator Chiang Kai-shek. Neuer Präsident wird drei Jahre später dessen Sohn Chiang Ching-kuo (Bild). Dieser öffnet Taiwan zur Welt und beginnt mit demokratischen Reformen. © imago stock&people
Chip made in Taiwan
Ab den 80er-Jahren erlebt Taiwan ein Wirtschaftswunder: „Made in Taiwan“ wird weltweit zum Inbegriff für günstige Waren aus Fernost. Im Laufe der Jahre wandelt sich das Land vom Produzenten billiger Produkte wie Plastikspielzeug zur Hightech-Nation. Heute hat in Taiwan einer der wichtigsten Halbleiter-Hersteller der Welt - das Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer. © Torsten Becker/Imago
Tsai Ing-wen
Taiwan gilt heute als eines der gesellschaftlich liberalsten und demokratischsten Länder der Welt. In Demokratie-Ranglisten landet die Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern immer wieder auf den vordersten Plätzen. Als bislang einziges Land in Asien führte Taiwan 2019 sogar die Ehe für alle ein. Regiert wurde das Land von 2016 bis 2024 von Präsidentin Tsai Ing-wen (Bild) von der Demokratischen Fortschrittspartei. Ihr folgte im Mai 2024 ihr Parteifreund Lai Ching-te. © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping
Obwohl Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, will Staats- und Parteichef Xi Jinping (Bild) die Insel gewaltsam eingliedern. Seit Jahrzehnten droht die kommunistische Führung mit der Anwendung von Gewalt. Die meisten Staaten der Welt – auch Deutschland und die USA – sehen Taiwan zwar als einen Teil von China an – betonen aber, dass eine „Wiedervereinigung“ nur friedlich vonstattengehen dürfe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die kommunistiche Diktatur Chinas ist für die meisten Taiwaner nicht attraktiv. © Dale de la Rey/AFP
Militärübung in Kaohsiung
Ob und wann China Ernst macht und in Taiwan einmarschiert, ist völlig offen. Es gibt Analysten, die mit einer Invasion bereits in den nächsten Jahren rechnen – etwa 2027, wenn sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100. Mal jährt. Auch das Jahr 2049 – dann wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt – wird genannt. Entscheidend dürfte sein, wie sicher sich China ist, einen Krieg auch zu gewinnen. Zahlenmäßig ist Pekings Armee der Volksrepublik den taiwanischen Streitkräften überlegen. Die Taiwaner sind dennoch gut vorbereitet. Jedes Jahr finden große Militärübungen statt; die Bevölkerung trainiert den Ernstfall, und die USA liefern Hightech-Waffen.  © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping auf einem chinesischen Kriegsschiff
Analysten halten es für ebenso möglich, dass China zunächst nicht zu einer Invasion Taiwans blasen wird, sondern mit gezielten Nadelstichen versuchen könnte, den Kampfgeist der Taiwaner zu schwächen. So könnte Xi Jinping (Bild) eine Seeblockade anordnen, um die Insel Taiwan vom Rest der Welt abzuschneiden. Auch ein massiver Cyberangriff wird für möglich gehalten.  © Li Gang/Xinhua/Imago
Protest in Taiwan
Auch wenn die Volksrepublik weiterhin auf eine friedliche „Wiedervereinigung“ mit Taiwan setzt: Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die meisten Taiwaner fühlen sich längst nicht mehr als Chinesen, sondern eben als Taiwaner. Für sie ist es eine Horrorvorstellung, Teil der kommunistischen Volksrepublik zu werden und ihre demokratischen Traditionen und Freiheiten opfern zu müssen. Vor allem das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong hat ihnen gezeigt, was passiert, wenn die Kommunistische Partei den Menschen ihre Freiheiten nimmt. © Ritchie B. Tongo/EPA/dpa

„Wirtschaftlicher Zwang und böswilligen Cyber-Aktivitäten“ sollen Taiwan in die Knie zwingen

Als mögliches Szenario gilt unter Experten etwa ein militärischer Angriff auf Taiwan – sei es direkt auf die Hauptinsel oder, in einer Art „Salamitaktik“, zunächst auf die Taiwan vorgelagerten kleinen Inseln und schließlich auf den Rest des Landes. Auch eine Blockade sowie eine Quarantäne gelten als mögliche Wege, wie Xi den Inselstaat unter seine Kontrolle bringen will.

Die US-Denkfabrik Foundation for Defense of Democracies und die Taiwan Academy of Banking and Finance bringen nun eine weitere Möglichkeit ins Spiel: Das „wahrscheinlichste Szenario“ für einen chinesischen Angriff auf den Inselstaat, so die Autoren der neuen Studie „Targeting Taiwan“, sei „eine cyber-gestützte Kampagne, um wirtschaftlichen Druck auszuüben“.

China könnte demnach mit einer Mischung aus „wirtschaftlichem Zwang, böswilligen Cyber-Aktivitäten und begrenzten militärische Maßnahmen, die nicht so weit gehen wie ein Angriff“, so viel Druck auf Taiwan aufbauen, dass sich die Menschen dort freiwillig für einen Anschluss an China entscheiden. Peking würde so sein Ziel einer „Wiedervereinigung“ mit Taiwan erreichen, ohne einen blutigen Krieg führen zu müssen. Für China sei eine derartige Taktik mit geringen Kosten verbunden, auch könnte Peking schlichtweg leugnen, hinter Angriffen wie Cyberattacken zu stecken. Zudem sei es fraglich, ob und wie die westlichen Verbündeten Taiwans eingreifen würden. Anders als bei einer direkten militärischen Invasion würden sich rote Linien, die etwa die USA gesetzt haben, nur langsam verschieben – bis ein Eingreifen aufseiten Taiwans zu spät sei.

Am Freiheitsplatz im Zentrum von Taipeh wird die taiwanische Flagge gehisst.

Möglicher Angriff auf Taiwan: „Abschreckung ist die wichtigste Strategie“

Die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Taiwan und China, aber auch die Einbindung Taiwans in die Weltmärkte, könnte Peking den Studienautoren zufolge für seine Zwecke nutzen. Konkret könnte die chinesische Regierung etwa die Einfuhr taiwanesischer Produkte verbieten oder diese mit hohen Zöllen belegen, sie könnte Leerverkäufe taiwanesischer Aktien betreiben oder Banküberweisungen von Taiwan nach China einfrieren – alles mit dem Ziel, die taiwanische Wirtschaft in die Knie zu zwingen. Auch könnte Peking Glasfaserkabel durchtrennen, die Taiwan mit dem Rest der Welt verbinden, oder das Land von Energieeinfuhren abschneiden. Zusammen mit Cyberangriffen ergebe sich eine gefährliche Mischung, die das Zeug habe, die taiwanische Bevölkerung zu zermürben, heißt es in der Studie.

Taiwan müsse deswegen umgehend damit beginnen, seine Abhängigkeiten von China zu reduzieren und seine Kommunikations- und Energieinfrastruktur krisensicherer machen, fordern die Studienautoren. „Kurz gesagt: Taipeh muss zusammen mit Washington und seinen Verbündeten Taiwans wirtschaftliche, cyber- und gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit stärken, um seine Fähigkeit, chinesischem Zwang zu widerstehen, von Wochen auf Monate oder Jahre auszudehnen.“

Auch Taiwans De-facto-Botschafter in Berlin warnte unlängst vor der Gefahr eines chinesischen Angriffs auf sein Land. „Es ist deshalb wichtig, Xi Jinping zu warnen: Komm bloß nicht auf die Idee, Taiwan anzugreifen! Der Preis für dich wird so hoch sein, dass du diese Entscheidung mit Sicherheit sehr bereuen wirst“, sagte Shieh Jhy-Wey im Interview mit IPPEN.MEDIA. „Abschreckung ist die wichtigste Strategie.“

Rubriklistenbild: © Yasuyoshi Chiba/AFP

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