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War es Wahlbetrug?

Georgien rückt in Putins Umlaufbahn: Begeht die EU einen „Fehler“?

Georgien könnte sich Russland zuwenden. Wahlbetrugsvorwürfe spalten das Land – und teils auch die EU. Zwei Außenpolitiker äußern sich.

Drei Wochen liegt Georgiens Schicksalswahl samt Manipulationsvorwürfen zurück – und die EU hat nach wie vor nicht eindeutig Stellung bezogen, nur Aufklärung gefordert. Dafür gibt es durchaus Gründe: Der überraschende Sieg der zunehmend autoritär und prorussisch auftretenden Regierungspartei „Georgischer Traum“ wirft zwar Fragen auf. Seit Ende Oktober sammelt die Opposition Berichte über Regelverstöße und statistische Erstaunlichkeiten rund um die Wahl. Doch der finale Beweis scheint zu fehlen.

Georgien in Putins Bann? Wahlbetrugs-Vorwürfe lassen EU noch ratlos zurück

Eine Debatte im Europaparlament in dieser Woche trieb teils schillernde Blüten: Ein Lager warf der EU vor, mit Doppelstandards zu messen und nur aus politischen Gründen am Wahlergebnis zu zweifeln. Ein anderes forderte härteres Auftreten. Ein (eher symbolischer) Beschluss soll erst noch gefasst werden. Zwei profilierte Politiker äußern sich im Gespräch mit IPPEN.MEDIA in Brüssel abwägender – fordern aber dennoch klare Reaktionen.

Eine EU-Flagge weht bei einem Protestzug in Tiflis Anfang November – Wladimir Putin hört bislang wenig klare Signale aus Brüssel.

Letztlich geht es aktuell um die Frage, ob Georgien zu einem Satellitenstaat Russlands wird. Trotz starker EU-Präferenzen in der Bevölkerung. Und natürlich um die Frage, ob die Wahlen fair gelaufen sind. Sowohl der Grünen-Politiker Sergey Lagodinsky als auch die estnische Sozialdemokratin Marina Kaljurand sahen noch keinen finalen Beweis für Wahlbetrug. Beide sitzen in der „Euronest“-Delegation des EU-Parlaments, die dem Austausch mit Parlamentariern aus Ländern wie Georgien, Moldau, der Ukraine oder Armenien dient; Lagodinsky ist Vorsitzender des Gremiums.

Georgien zwischen Putins Russland und der EU: Grüner plädiert für Neuwahlen

„Diese Staaten sind keine Schachfiguren, sondern haben ihre eigene Zukunft“, betonte Lagodinsky mit Blick auf die Wahlergebnisse in Georgien, wie auch in Moldau. Er wendete aber auch den Blick: Es gebe ungeachtet möglicher Manipulationen Anlass zur Sorge – und auch Argumente für international überwachte Neuwahlen.

„Für mich persönlich lautet die Frage: Was macht man mit einer Partei, die eine verfassungswidrige Agenda hat – in Georgien steht in der Verfassung das Ziel der Annäherung mit der EU“, sagte er. Georgiens Regierungspartei hat zwar weiterhin offiziell den EU-Beitritt auf ihrer Agenda. Allerdings hat sie mit Gesetzen nach russischem Zuschnitt diese Aussicht längst torpediert, trotz Warnungen aus Brüssel und Protesten im Land. 

Wahl in Georgien – Zweifel am Ergebnis und Proteste mit EU-Flaggen

Die Wahl am 26. Oktober hat laut offiziellem Ergebnis die Regierungspartei Georgischer Traum gewonnen. Die Opposition hatte vor dem Wahltag mit einem Regierungswechsel gerechnet – auch bei vorausgegangenen Wahlen zuverlässige Nachwahlbefragungen des US-Instituts Edison sahen eine Oppositionsmehrheit. Kurz nach dem Wahltag protestierten zehntausende Menschen in Georgiens Hauptstadt Tiflis. Wie schon bei Protesten gegen das sogenannte „russische Gesetz“ gegen vermeintliche ausländische Einflussnahme schwenkten sie auch EU-Flaggen.

Seit Wochen arbeitet die Opposition nun daran, Wahlbetrug zu belegen. Die regierungskritische Präsident Salome Surabischwili teilte eine Recherche eines Daten-Analysten, die auffällige Ergebnisausschläge in ländlichen Gebieten zeigte. Ein am 8. November versendeter „vorläufiger Untersuchungsbericht“ der Opposition umfasst elf Kategorien von Manipulationsvorwürfen: Von Mehrfachwahl über Verletzung des Wahlgeheimnisses und Einschüchterungen bis zu kolportierten statistischen Unmöglichkeiten. In 23 Wahllokalen etwa hätten mehr Männer abgestimmt, als in die Wählerliste eintragen sind – an sechs habe die Zahl der wählenden Männer sogar die Gesamtzahl der registrierten Wähler überschritten. Die Vorwürfe lassen sich von Deutschland aus nicht unabhängig verifizieren.

Die Georgische Vereinigung Junger Anwälte beobachtete unter anderem Fehler bei der Registrierung abstimmender Wähler – als Mittel gegen Mehrfachwahlen – und zweifelte an der korrekten Erfassung von Wählerlisten. Die Wahlkommission hatte eine Teilneuauszählung angekündigt, die keine Abweichungen ergab. Laut Stephan Malerius, Experte der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis, kann die Kommission allerdings nicht als von der Regierung unabhängiges Organ betrachtet werden.

„Schon aus politischen Gründen, um die Gesellschaft zusammenzuhalten, wäre es sinnvoll, neu zu wählen“, fügte Lagodinsky hinzu. Wenn bewiesen sei, dass Manipulationen stattgefunden haben, müsse ohnehin unter internationaler Beobachtung neu gewählt werden. So sieht es auch Kaljurand: Man müsse Aufklärung abwarten, erklärte sie; sie wolle nicht spekulieren. „Aber wenn es Beweise gibt, dass die Wahlen sogar noch schlimmer waren, als die OSZE-Beobachter es geschildert haben, dann müssen wir sehr klar reagieren.“ Die OSZE-Mission hatte Verzerrungen, einzelne Verstöße und ungleiche Ausgangslagen für Regierung und Opposition gerügt – aber keinen umfassenden Wahlbetrug dokumentiert.

Auf dem Weg nach Europa: Die Aufnahmekandidaten der EU

EU Parlament Straßburg
Jeder europäische Staat hat laut Artikel 49 des EU-Vertrags das Recht, einen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen. Wichtig dabei: „Europäisch“ wird politisch-kulturell verstanden und schließt die Mitglieder des Europarats mit ein. Das betrifft zum Beispiel die Republik Zypern. Eine wichtige Rolle spielt im Beitrittsverfahren das EU-Parlament in Straßburg (im Bild). Verschiedene Delegationen verfolgen die Fortschritte in den Beitrittsländern und weisen auf mögliche Probleme hin. Zudem müssen die Abgeordneten dem EU-Beitritt eines Landes im Parlament zustimmen. Derzeit gibt es neun Beitrittskandidaten und einen Bewerberstaat. © PantherMedia
Edi Rama Albanian EU
Albanien reichte 2009 den formellen EU-Mitgliedschaftsantrag ein – vier Jahre, bevor Edi Rama (im Bild) das Amt des Ministerpräsidenten übernahm. Es dauerte aber noch eine lange Zeit, bis die Verhandlungen beginnen konnten. Grund war ein Einspruch der Niederlande, die sich zusätzlich zu den EU-Kriterien auch die Sicherstellung der Funktion des Verfassungsgerichts und die Umsetzung eines Mediengesetzes wünschte. Im Juli 2022 konnte die Blockade beendet werden und die EU startete die Beitrittsverhandlungen. © John Thys/afp
Bosnien und Herzegowina EU
Auch Bosnien und Herzegowina drängt in die EU. Gut erkennen konnte man das zum Beispiel am Europatag 2021, als die Vijećnica in der Hauptstadt Sarajevo mit den Farben der Flaggen der Europäischen Union und Bosnien und Herzegowinas beleuchtet war. EU-Botschafter Johann Sattler nutzte sofort die Gelegenheit, um das alte Rathaus zu fotografieren. Vor den geplanten Beitrittsverhandlungen muss das Balkanland noch einige Reformen umsetzen. Dabei geht es unter anderem um Rechtsstaatlichkeit und den Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen.  © Elvis Barukcic/afp
Georgien EU
Zum Kreis der EU-Beitrittskandidaten gehört auch das an Russland grenzende Georgien. Das Land, in dem rund 3,7 Millionen Menschen leben, hatte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs die Aufnahme in die EU beantragt. Auf schnelle Fortschritte im Beitrittsprozess kann Georgien allerdings nicht hoffen. Dabei spielt auch ein ungelöster Territorialkonflikt mit Russland eine Rolle. Nach einem Krieg 2008 erkannte Moskau die abtrünnigen georgischen Gebiete Südossetien (im Bild) und Abchasien als unabhängige Staaten an und stationierte Tausende Soldaten in der Region. © Dimitry Kostyukov/afp
Moldau EU
Seit Juni 2022 gehört auch Moldau offiziell zu den EU-Beitrittskandidaten. Das Land, das an Rumänien und die Ukraine grenzt, reichte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs das Beitrittsgesuch ein. Am 21. Mai 2023 demonstrierten 80.000 Menschen in der Hauptstadt Chișinău für einen Beitritt Moldaus in die Europäische Union. Die damalige Innenministerin Ana Revenco (Mitte) mischte sich damals ebenfalls unters Volk. © Elena Covalenco/afp
Montenegro EU
Das am kleine Balkanland Montenegro will beim EU-Beitritt zügig vorankommen. Direkt nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten Ende Oktober 2023 verkündete Milojko Spajic (im Bild), dass er den Beitritt Montenegros zur EU vorantreiben und die Justiz im Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen stärken wolle. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (rechts) hörte es damals sicher gerne. Montenegro verhandelt seit 2012 über einen Beitritt, hatte sich aber vor der Wahl nicht mehr ausgiebig um Reformen bemüht.  © Savo Prelevic/afp
Scholz Westbalkan-Gipfel Nordmazedonien EU
Nordmazedonien kämpft schon seit langer Zeit für den Beitritt in die EU. Leicht ist das nicht. So hat das kleine Land in Südosteuropa aufgrund eines Streits mit Griechenland sogar schon eine Namensänderung hinter sich. Seit 2019 firmiert der Binnenstaat amtlich unter dem Namen Republik Nordmazedonien. Auch Bulgarien blockierte lange den Beginn von Verhandlungen. Bei einem Gipfeltreffen im Oktober 2023 drängte Kanzler Olaf Scholz dann aber auf eine möglichst schnelle Aufnahme der Balkanstaaten in die EU. Nordmazedoniens Ministerpräsident Dimitar Kovacevski (rechts) war sichtlich erfreut. © Michael Kappeler/dpa
Serbien EU
Auch Serbien strebt in die EU. Wann es zu einem Beitritt kommt, scheint derzeit aber völlig offen. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat sich die serbische Regierung geweigert, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Damit ist Serbien der einzige Staat in Europa, der keine Sanktionen verhängt hat. Offen bleibt, welche Auswirkungen das auf die seit 2014 laufenden Verhandlungen über einen EU-Beitritt Serbiens hat. Die politische Führung in Belgrad, die seit 2012 von Präsident Aleksandar Vučić (im Bild) dominiert wird, zeigt zudem wenig Willen zu Reformen. Demokratie und Medienpluralismus höhlt sie zunehmend aus. © Andrej Isakovic/afp
Türkei EU
Die Türkei ist bereits seit 1999 Beitrittskandidat. Die Verhandlungen selbst haben im Oktober 2005 begonnen. Inzwischen hat die EU-Kommission vorgeschlagen, die Beziehungen wieder auszubauen, sofern sich die Regierung in Ankara unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan (im Bild) in einigen Punkten bewegt. Zuvor waren Projekte wie die geplante Modernisierung der Zollunion und eine Visaliberalisierung wegen Rückschritten bei Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Meinungsfreiheit in der Türkei auf Eis gelegt worden. Ein EU-Beitritt scheint aktuell weiter entfernt denn je. © Adem Altan/afp
Ukraine EU
Im Dezember 2023 wurde der Beginn von Verhandlungen mit der Ukraine grundsätzlich beschlossen. Allerdings muss die Ukraine sämtliche Reformauflagen erfüllen. So waren nach dem letzten Kommissionsbericht manche Reformen zur Korruptionsbekämpfung, zum Minderheitenschutz und zum Einfluss von Oligarchen im Land nicht vollständig umgesetzt. Ohnehin gilt es als ausgeschlossen, dass die Ukraine vor dem Ende des Ukraine-Kriegs EU-Mitglied wird. Denn dann könnte Kiew laut EU-Vertrag militärischen Beistand einfordern – und die EU wäre offiziell Kriegspartei. © Roman Pilipey/afp
Kosovo EU
Kosovo hat einen Mitgliedsantrag eingereicht, jedoch noch nicht den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten erhalten. Das Land hat 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Die Freude darüber war damals bei den Menschen riesengroß. Das Bild macht auch deutlich, dass vor allem Menschen albanischer Herkunft im Kosovo beheimatet sind. Die Flagge Albaniens (links) ist ebenso zu sehen wie die des neuen Landes (hinten). Mehr als 100 Länder, darunter auch Deutschland, erkennen den neuen Staat an. Russland, China, Serbien und einige EU-Staaten tun dies aber nicht. Ohne die Anerkennung durch alle EU-Länder ist eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen aber nicht möglich.  © Dimitar Dilkoff/afp

Schon die Wahlen 2020 habe die OSZE lediglich als „kompetitiv und gut verwaltet“ eingeordnet, sagte Kaljurand. „Das ist definitiv nicht genug für ein demokratisches Land“, urteilte die frühere Außenministerin und Botschafterin in Russland. „Wir wollen, dass Wahlen offen und fair sind, oder nicht?“ Georgien den Kandidatenstatus zu entziehen sei in jedem Fall ein schlüssiger Schritt, wenn das Land nicht „den Regeln des Spiels“ folge.

Georgien-Wahl spaltet Rechtsaußen-Lager in der EU

Lagodinsky verwies auch darauf, dass die Georgische Vereinigung Junger Anwälte Missstände bei der Wahl nachgewiesen sehe (siehe Infokasten). Sie habe schon der 2012 abgelösten Regierung von Ex-Ministerpräsident Michail Saakaschwili ähnliche Vorwürfe gemacht und stehe deshalb „nicht unter Verdacht, eine politische Tendenz zu haben. Das sollte man ernst nehmen“, erklärte der Grüne. Von der EU sei bislang zu wenig zu hören.

„Das liegt vielleicht daran, dass wir noch Kommissions-Anhörungen haben, dass sich alle noch als lame ducks fühlen.“ Mit der designierten Außenbeauftragten Kaja Kallas wäre das eventuell anders, meint Lagodinsky. Letztlich liege die Entscheidung über den Umgang mit der georgischen Regierung aber vor allem bei den EU-Mitgliedsstaaten. Eine Bereitschaft zur Konfrontation sehe er aktuell aber nicht: „Und das ist aus meiner Sicht ein Fehler.“

In der Debatte im EU-Parlament am Mittwoch (13. November) offenbarten sich indes auch einmal mehr Verwerfungen im recht großen Lager der osteuropäischen Rechten. Der ungarische Fidesz-Politiker András Laszlo etwa verwies auf die vorgebliche EU-Beitrittsbereitschaft der georgischen Regierung und forderte die EU auf, das Wahlergebnis zu akzeptieren. Malgorzata Gosiewska von Polens rechter Ex-Regierungspartei PiS hingegen warnte: In Georgien sei „jemand an der Macht, der unklare Beziehungen pflegt“ – gemeint waren Bande des Milliardärs Bidsina Iwanischwili nach Moskau. Gosiewska forderte einen „Cordon Sanitaire“ um das „georgische Regime“. (fn)

Rubriklistenbild: © Montage: Imago/Tass/Alexander Patrin/picture alliance/dpa/AFP/AP/Alexander Nemenov

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