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„Es gab einen Anruf aus Moskau“

Wie Putin Georgien im Griff hält: „Spaltung säen“ – über den heißen Draht zum Milliardär?

Ein Gesetz versetzt Georgien in Aufruhr. Warum hat es die Regierung überhaupt eingebracht? Die Fährte scheint nach Russland zu führen.

Tiflis/München – Fast scheint es, als lebe halb Osteuropa in direkter oder indirekter Sorge vor Wladimir Putin: Die baltischen Staaten warnen schon lange vor einem möglichen Angriff. Ähnliches gilt für Moldau mit der abtrünnigen Provinz Transnistrien. Selbst Belarus muss die Umarmung des „Unionsstaats“ mit Russland fürchten. Und auch auf „Europas Balkon“, beim EU-Beitrittskandidaten Georgien, grassieren Ängste, wie Experte Stephan Malerius aus dem Tifliser Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) IPPEN.MEDIA schildert. Doch Georgien ist ein Spezialfall, jedenfalls für den Moment.

Denn um die Zukunft des Landes wird nicht per Grenzbefestigungen oder Aufrüstung, sondern seit Wochen nahezu allabendlich auf den Straßen gerungen; teils reagiert die Polizei mit Gewalt. EU oder Russland, das ist die Richtungsfrage. Die Bevölkerung will mit einer überwältigenden Mehrheit die Annäherung an Europa. Doch die Regierungspartei „Georgischer Traum“ hat offenbar andere Pläne – aktueller Ausdruck der Kluft ist ein „russisches Gesetz“, das Repression gegen Zivilgesellschaft und vom Westen geförderte Projekte ermöglichen könnte.

Am bemerkenswertesten vielleicht: Die Regierung treibt das Gesetz weiter voran, trotz massivster Proteste – für Samstag (11. Mai) wird eine Großdemo mit Zehntausenden Teilnehmern erwartet. Die Partei könnte ihre erwartete komfortable Mehrheit bei der Parlamentswahl im Oktober torpedieren. Warum das alles? Die Antwort dürfte in Russland zu finden sein. Trotz Georgiens offizieller Bekenntnisse zu EU- und Natomitgliedschaftsbemühungen.

Georgien in Aufruhr über ein Gesetz – und nur eine Erklärung: „Es gab einen Anruf aus Moskau“

Die Stimmung insgesamt ist sehr, sehr angespannt. Aufgeladen, aufgeheizt eigentlich“, sagt Malerius, Programmleiter der KAS. Dabei sei die Haltung in der Bevölkerung konstant: In Umfragen seien seit 20 Jahren „immer konstant 80 Prozent der Menschen“ für den Weg Richtung Europa. „Da gibt es auch gar keine Dellen“, meint Malerius. Das Gesetz habe nun aber neue Spannung im Land geschaffen. Eine dritte und finale Lesung steht zwar noch aus, doch der Experte rechnet damit, dass die Pläne Realität werden: „Es gibt keine Anzeichen für ein Umschwenken.“

„Ein Anruf aus Moskau“ könnte nach Experteneinschätzung Georgien auf den Pfad der Spaltung gebracht haben.

Warum aber verfolgt die Regierungspartei die Idee so hartnäckig? Auf der praktischen Ebene könnte die Antwort aus Malerius‘ Sicht lauten: Kontrolle. Justiz, Wirtschaft und die Regionen stünden bereits unter direktem Einfluss aus Tiflis – ein Zustand fast nach Putins Bauplan. Auch der Kremlchef hatte in den 00er-Jahren die einstmals mächtigen russischen Regionen unter Moskaus finanzielle Knute gebracht. Der Zugriff auf die Zivilgesellschaft sei für Georgiens Regierung bislang schwieriger, gerade kritische NGOs sollen nun „an die Leine“. Zugleich meint Malerius: Die Zivilgesellschaft „auszumerzen“ sei gar nicht das Ziel.

„Die Initiative kommt nicht aus der Regierung selbst, sondern die ist von Russland und Putin in Auftrag gegeben worden“, sagt der Experte. „Ich bin recht vorsichtig mit solchen Behauptungen. Man wird da schnell paranoid und kommt in den Bereich der Verschwörungstheorien. Aber keiner der Gesprächspartner, die ich gefragt habe, ‚warum machen die das?‘, hat mir eine andere Erklärung geliefert, als: ‚Es gab einen Anruf aus Moskau.‘“

Es wäre ein Leichtes für Russland, in Georgien weiter einzumarschieren.

Stephan Malerius

Der könnte an Bidsina Iwanischwili gegangen sein. Iwanischwili ist Gründer und seit Ende 2023 Ehrenvorsitzender des „Georgischen Traums“ – ein Milliardär, der sein Vermögen in den 90ern in Russland gemacht hat. „Es gibt kein Programm, es gibt keine Ideologie hinter dieser Partei. Sie hängt an Iwanischwili und seinem Geld und seiner Macht“, sagt Experte Malerius. Der Strippenzieher sei dabei aber keine „öffentliche Person“, seine Auftritte seien rar. „Man weiß nicht, welche Kontakte er hat. Das ist eine Unbekannte – genauso wie die Frage, wie und warum Entscheidungen getroffen werden.“

Putins Plan für Georgien: „Spaltung säen und von der EU entfernen“

Die erneute Gesetzesinitiative kommt Malerius zufolge jedenfalls zu einem eigentlich überraschenden Zeitpunkt. Ende 2023 erhielt Georgien zur allgemeinen Freude den Status als EU-Beitrittskandidat, dann qualifizierte sich die Fußballnationalmannschaft auch noch für die EM in Deutschland. „Es gab Momente, da merkte man, nun entstehen Brücken im Land. Und das wird jetzt eingerissen“, sagt der Politikwissenschaftler. „Es gibt niemanden in Georgien, der daran wirklich Interesse hat. Aber Russland hat ein Interesse daran.“

Putins konkretes Ziel laute wohl: „Spaltung säen und das Land von der EU entfernen.“ Denn eine Erweiterung des Staatenbundes laufe Russlands Wünschen zuwider. Da seien auch konkrete Gesetzesinhalte zweitrangig, meint Malerius. „Wichtig ist nur, dass die Bande mit der EU gekappt oder beschädigt werden.“

Auf dem Weg nach Europa: Die Aufnahmekandidaten der EU

EU Parlament Straßburg
Jeder europäische Staat hat laut Artikel 49 des EU-Vertrags das Recht, einen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen. Wichtig dabei: „Europäisch“ wird politisch-kulturell verstanden und schließt die Mitglieder des Europarats mit ein. Das betrifft zum Beispiel die Republik Zypern. Eine wichtige Rolle spielt im Beitrittsverfahren das EU-Parlament in Straßburg (im Bild). Verschiedene Delegationen verfolgen die Fortschritte in den Beitrittsländern und weisen auf mögliche Probleme hin. Zudem müssen die Abgeordneten dem EU-Beitritt eines Landes im Parlament zustimmen. Derzeit gibt es neun Beitrittskandidaten und einen Bewerberstaat. © PantherMedia
Edi Rama Albanian EU
Albanien reichte 2009 den formellen EU-Mitgliedschaftsantrag ein – vier Jahre, bevor Edi Rama (im Bild) das Amt des Ministerpräsidenten übernahm. Es dauerte aber noch eine lange Zeit, bis die Verhandlungen beginnen konnten. Grund war ein Einspruch der Niederlande, die sich zusätzlich zu den EU-Kriterien auch die Sicherstellung der Funktion des Verfassungsgerichts und die Umsetzung eines Mediengesetzes wünschte. Im Juli 2022 konnte die Blockade beendet werden und die EU startete die Beitrittsverhandlungen. © John Thys/afp
Bosnien und Herzegowina EU
Auch Bosnien und Herzegowina drängt in die EU. Gut erkennen konnte man das zum Beispiel am Europatag 2021, als die Vijećnica in der Hauptstadt Sarajevo mit den Farben der Flaggen der Europäischen Union und Bosnien und Herzegowinas beleuchtet war. EU-Botschafter Johann Sattler nutzte sofort die Gelegenheit, um das alte Rathaus zu fotografieren. Vor den geplanten Beitrittsverhandlungen muss das Balkanland noch einige Reformen umsetzen. Dabei geht es unter anderem um Rechtsstaatlichkeit und den Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen.  © Elvis Barukcic/afp
Georgien EU
Zum Kreis der EU-Beitrittskandidaten gehört auch das an Russland grenzende Georgien. Das Land, in dem rund 3,7 Millionen Menschen leben, hatte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs die Aufnahme in die EU beantragt. Auf schnelle Fortschritte im Beitrittsprozess kann Georgien allerdings nicht hoffen. Dabei spielt auch ein ungelöster Territorialkonflikt mit Russland eine Rolle. Nach einem Krieg 2008 erkannte Moskau die abtrünnigen georgischen Gebiete Südossetien (im Bild) und Abchasien als unabhängige Staaten an und stationierte Tausende Soldaten in der Region. © Dimitry Kostyukov/afp
Moldau EU
Seit Juni 2022 gehört auch Moldau offiziell zu den EU-Beitrittskandidaten. Das Land, das an Rumänien und die Ukraine grenzt, reichte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs das Beitrittsgesuch ein. Am 21. Mai 2023 demonstrierten 80.000 Menschen in der Hauptstadt Chișinău für einen Beitritt Moldaus in die Europäische Union. Die damalige Innenministerin Ana Revenco (Mitte) mischte sich damals ebenfalls unters Volk. © Elena Covalenco/afp
Montenegro EU
Das am kleine Balkanland Montenegro will beim EU-Beitritt zügig vorankommen. Direkt nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten Ende Oktober 2023 verkündete Milojko Spajic (im Bild), dass er den Beitritt Montenegros zur EU vorantreiben und die Justiz im Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen stärken wolle. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (rechts) hörte es damals sicher gerne. Montenegro verhandelt seit 2012 über einen Beitritt, hatte sich aber vor der Wahl nicht mehr ausgiebig um Reformen bemüht.  © Savo Prelevic/afp
Scholz Westbalkan-Gipfel Nordmazedonien EU
Nordmazedonien kämpft schon seit langer Zeit für den Beitritt in die EU. Leicht ist das nicht. So hat das kleine Land in Südosteuropa aufgrund eines Streits mit Griechenland sogar schon eine Namensänderung hinter sich. Seit 2019 firmiert der Binnenstaat amtlich unter dem Namen Republik Nordmazedonien. Auch Bulgarien blockierte lange den Beginn von Verhandlungen. Bei einem Gipfeltreffen im Oktober 2023 drängte Kanzler Olaf Scholz dann aber auf eine möglichst schnelle Aufnahme der Balkanstaaten in die EU. Nordmazedoniens Ministerpräsident Dimitar Kovacevski (rechts) war sichtlich erfreut. © Michael Kappeler/dpa
Serbien EU
Auch Serbien strebt in die EU. Wann es zu einem Beitritt kommt, scheint derzeit aber völlig offen. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat sich die serbische Regierung geweigert, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Damit ist Serbien der einzige Staat in Europa, der keine Sanktionen verhängt hat. Offen bleibt, welche Auswirkungen das auf die seit 2014 laufenden Verhandlungen über einen EU-Beitritt Serbiens hat. Die politische Führung in Belgrad, die seit 2012 von Präsident Aleksandar Vučić (im Bild) dominiert wird, zeigt zudem wenig Willen zu Reformen. Demokratie und Medienpluralismus höhlt sie zunehmend aus. © Andrej Isakovic/afp
Türkei EU
Die Türkei ist bereits seit 1999 Beitrittskandidat. Die Verhandlungen selbst haben im Oktober 2005 begonnen. Inzwischen hat die EU-Kommission vorgeschlagen, die Beziehungen wieder auszubauen, sofern sich die Regierung in Ankara unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan (im Bild) in einigen Punkten bewegt. Zuvor waren Projekte wie die geplante Modernisierung der Zollunion und eine Visaliberalisierung wegen Rückschritten bei Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Meinungsfreiheit in der Türkei auf Eis gelegt worden. Ein EU-Beitritt scheint aktuell weiter entfernt denn je. © Adem Altan/afp
Ukraine EU
Im Dezember 2023 wurde der Beginn von Verhandlungen mit der Ukraine grundsätzlich beschlossen. Allerdings muss die Ukraine sämtliche Reformauflagen erfüllen. So waren nach dem letzten Kommissionsbericht manche Reformen zur Korruptionsbekämpfung, zum Minderheitenschutz und zum Einfluss von Oligarchen im Land nicht vollständig umgesetzt. Ohnehin gilt es als ausgeschlossen, dass die Ukraine vor dem Ende des Ukraine-Kriegs EU-Mitglied wird. Denn dann könnte Kiew laut EU-Vertrag militärischen Beistand einfordern – und die EU wäre offiziell Kriegspartei. © Roman Pilipey/afp
Kosovo EU
Kosovo hat einen Mitgliedsantrag eingereicht, jedoch noch nicht den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten erhalten. Das Land hat 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Die Freude darüber war damals bei den Menschen riesengroß. Das Bild macht auch deutlich, dass vor allem Menschen albanischer Herkunft im Kosovo beheimatet sind. Die Flagge Albaniens (links) ist ebenso zu sehen wie die des neuen Landes (hinten). Mehr als 100 Länder, darunter auch Deutschland, erkennen den neuen Staat an. Russland, China, Serbien und einige EU-Staaten tun dies aber nicht. Ohne die Anerkennung durch alle EU-Länder ist eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen aber nicht möglich.  © Dimitar Dilkoff/afp

Genau das scheint auch zu klappen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen haben bereits auf Rücknahme der Gesetzespläne gedrängt. „Wenn dieses Gesetz in Kraft tritt und auch angewendet wird, kann sich Georgien von den Beitrittsverhandlungen verabschieden“, sagt Malerius. Dahinter stecke auch eine Sorge in Brüssel: Niemand wolle „ein zweites Ungarn“ in der EU haben. Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ war einst Teil der sozialistischen Parteienfamilie – mittlerweile gehört sie laut Malerius klar ins „Orbán-Camp“.

Viktor Orbán baut in Ungarn die „illiberale Demokratie“ aus und hintertreibt mutmaßlich zu Putins Freude nicht nur Ukraine-Hilfspakete der Union – in der zweiten Jahreshälfte 2024 hat Ungarn auch die EU-Ratspräsidentschaft inne. Und auch die Europawahl könnte Georgiens Regierung „in die Hände spielen“, wie Malerius sagt: Im Sommer wird in Brüssel um eine neue Kommission gerungen werden, das Parlament konstituiert sich neu. Dann wird auch die EU-Außenpolitik mit gebremstem Schaum laufen.

Russland könnte leicht in Georgien einmarschieren: „Die Menschen habe in der Tat Angst“

Georgien steckt unterdessen zwischen Annäherung an und Angst vor Russland fest. Einerseits wächst der Handel mit dem übermächtigen Nachbarn: Zwar sei ein Freihandelsabkommen mit der EU in Arbeit – doch der russische Markt sei eben einfacher zu erreichen, erklärt Malerius. Insbesondere in Anbetracht von Chinas massiven Exportbemühungen in alle Welt.

Andererseits stehen in den besetzten georgischen Regionen Abchasien und Südossetien schon seit 2008 russische Truppen. Gerade Südossetiens Grenzen liegen nur ein paar Kilometer von Georgien sechstgrößter Stadt Gori entfernt – und auch nach Tiflis sind es nur gute 60 Kilometer. „Es wäre für Russland ein Leichtes, weiter einzumarschieren“, sagt Malerius. „Das ist im Bewusstsein der Menschen sehr stark verankert“. Georgien wäre vermutlich noch stärker ausgeliefert als die Ukraine und Hilfe aus EU und Nato wären zunächst einmal fern. Wohl auch deshalb ist als greifbarer Ausdruck der Solidarität im Ukraine-Krieg eine starke „Georgische Legion“ aktiv.

„Die Menschen haben in der Tat Angst“, schildert der Experte aus Tiflis. „Und es gibt auch Neigungen, sich aus dieser Angst heraus Russland zu ergeben“, meint er. Vorerst allerdings demonstrieren weiter fast allabendlich Tausende für ein „Ja zu Europa“, wie es auf Bannern der Protestierenden in den Straßen zu lesen ist. Und die Solidarität wächst: Ein Demo-Organisator berichtete Radio Free Europe zuletzt, man wolle nun Spenden sammeln – für Menschen, die wegen ihrer Kritik am „russischen Gesetz“ aus ihren Jobs beim Staat fliegen. (fn)

Rubriklistenbild: © Montage: picture alliance/dpa/AP/Zurab Tsertsvadze/Mikhail Klimentyev/Russian Presidential Press Information Office/TASS

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