Doch Opposition hofft auf Sieg
Georgiens Schicksalswahl: „Wofür Putin Jahre gebraucht hat, machen sie in zwei Monaten“
Gewinnt die Putin-nahe Regierungspartei die Georgien-Wahl, könnte es schnell bergab gehen. Doch die Opposition hat Hoffnung.
Tiflis/Frankfurt – Selten passte das Wort „Schicksalswahl“ so gut: Wenn Georgien am Samstag (26. Oktober) ein neues Parlament wählt, geht es um alles. Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ will das Land wieder in Russlands Dunstkreis führen – und rüttelt kräftig an Freiheitsrechten und Demokratie. Schon ihr Wahlkampf mit Mitteln aus Wladimir Putins Werkzeugkasten kann aus westlicher Sicht bizarr anmuten. Die Opposition möchte die Notbremse ziehen. Und dann die Wende: mit voller Fahrt in die EU.
Traut man den Umfragen, stehen die Chancen auf einen Machtwechsel eigentlich nicht schlecht. Doch es lauern reichlich Unwägbarkeiten, wie der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Tiflis, Stephan Malerius, IPPEN.MEDIA erklärt. Wahlmanipulation, Ränke um das Wahlergebnis, „Kauf“ von Abgeordneten, ein nicht unbedingt homogenes Oppositionslager – Georgien könnten so turbulente wie entscheidende Wochen ins Haus stehen. Auch wenn sich Oppositionspolitiker Surab Tschiaberaschwili auf Anfrage optimistisch zeigt.
Georgien vor der Wahl in Sorge: Land könnte „Richtung Autoritarismus voranschreiten“
Grundsätzlich sieht Malerius Wechselstimmung im Land: „Man ist der Regierungspartei überdrüssig, sie steht für Korruption und Vetternwirtschaft“, meint er. Auch eine kalkulierte Wahlkampfbotschaft des „Georgischen Traums“ um den Milliardär Bidsina Iwanischwili habe nicht verfangen: Die Warnung vor einem (erneuten) Krieg mit Russland. Das könne – ähnlich wie in Moldau – zunächst Effekt gezeigt haben. „Aber man versteht, glaube ich, mittlerweile, dass es gar keine Anzeichen dafür gibt, dass Russland hier eingreifen würde“, sagt der Experte. Wobei, je nach Wahlausgang, Nadelstiche wohl möglich werden könnten.
Paradoxerweise wirbt die Regierung weiterhin auch mit einem EU-Beitritt – mit dem Zusatz „in Würde“. Diesen Spagat nehme der Partei aber in Georgien aber kaum noch jemand ab, sagt Malerius. Ihr recht offen pro-russischer Kurs, samt einem „Agenten-Gesetz“ nach Kreml-Zuschnitt und einem LGBTQ-feindlichen Gesetz hat den Beitrittsprozess vorerst torpediert. In Tiflis gab es zuletzt auch wieder Großproteste mit EU-Flaggen.
Auf dem Weg nach Europa: Die Aufnahmekandidaten der EU




Ein weiterer Schritt der Regierung könnte den Weg nach Brüssel final verschließen, vor allem aber Georgiens Demokratie dauerhaft beschädigen. Iwanischwili kündigte als informell unangefochtener starker Mann der Regierungspartei an, die Opposition nach den Wahlen zu verbieten und vor Gericht zu stellen – sogar mit dem wörtlichen Verweis auf „Nürnberger Prozesse“. In ihnen waren einst die Verbrechen des deutschen Nazi-Regimes aufgearbeitet worden. Wenn die Regierung gewinne, werde „das Land Richtung Autoritarismus voranschreiten“, sagt Malerius. Und das in enormer Geschwindigkeit, Beispiel „Agenten-Gesetz“: „Wofür Wladimir Putin mehrere Jahre gebraucht hat, das haben sie in zwei Monaten gemacht. Wenn es in diese Richtung weitergeht, wage ich mir kaum auszumalen, wie das Land in einem Jahr aussieht.“
„Kauft“ sich Putins Milliardär die Parlaments-Mehrheit in Georgien?
Es gibt die Hoffnung, dass es anders kommt. Die meisten Umfragen sehen die vier Oppositionsblöcke zusammen bei mehr als 50 Prozent. Sie wollen nach der Wahl zusammenarbeiten. Die Parteien seien teils „sehr überzeugt“ von ihrem Sieg, berichtet Malerius aus Gesprächen in Tiflis. Doch es gebe im Land die Sorge vor Manipulationen: Druck und Einschüchterung seien schon vor dem Wahltag im Gange, „Stimmenkauf und Karussellwählen“ – also Mehrfachstimmabgabe – könne hinzukommen. Die Regierung könnte so den Vorsprung der Opposition eindampfen. „Sie werden es aber sehr schwer haben, das massiv genug zu tun, um an der Macht zu bleiben“, sagt Tschiaberaschwili, zuständig für Internationales bei der Mitte-Rechts-Partei Vereinte Nationale Bewegung, IPPEN.MEDIA.
Selbst bei einer knappen Mehrheit für die Opposition ist der Machtwechsel aber nicht gesichert. So könne Milliardär Iwanischwili darauf verfallen, die nötige Zahl an Abgeordneten zu „kaufen“, meint Malerius. Als stärkste Einzelkraft werde der Georgische Traum wohl ohnehin den formalen Auftrag zur Regierungsbildung bekommen.
Und was, wenn die Regierung einfach ein ihr genehmes Wahlergebnis verkündet? „Ich habe das Oppositionspolitiker immer wieder gefragt – da heißt es dann ‚wir lassen uns unseren Sieg nicht stehlen, dann gehen wir auf die Straße“, berichtet der KAS-Büroleiter. Die Proteste gegen das Agenten-Gesetz habe die Regierung aber einfach „ausgesessen“. Die letzte Hoffnung der Opposition sei dann wohl Vermittlung durch EU oder Deutschland. Schon nach der turbulenten Wahl 2021 versuchte die EU die Wogen glätten.
Georgiens Schicksalswahl: Putins Mann in Tiflis will „nicht gehen“ – Russland raunt über „Revolution“
Iwanischwili habe bereits Ende April eine programmatische Rede gehalten und klargestellt: Er werde nicht „gehen“ – anders als etwa der einstige Regierungschef Eduard Schewardnadse nach mutmaßlichen Wahlmanipulationen und der „Rosenrevolution“ 2003, anders als Viktor Janukowitsch 2014 in der Ukraine. Aus Russland habe es bereits Stimmen gegeben, die einen Oppositionssieg in Georgien mit einer „Farbenrevolution“ gleichsetzten, berichtet Malerius.
Weder Malerius noch Tschiaberaschwili glauben aber, dass Georgiens Militär im Falle einer Eskalation gegen die eigene Bevölkerung vorgehen würden. „Georgien ist nicht Venezuela oder Belarus“, meint Tschiaberaschwili. „Man muss anders als einst in der Ukraine nicht davon ausgehen, dass Sicherheitskräfte massiv Demonstrationen niederknüppeln“, erklärt Malerius. Nicht völlig auszuschließen sei aber, dass Iwanischwili seinen heißen Draht nach Moskau nutze.
Was kann Russland in Georgien tun? Kein Einmarsch – aber vielleicht „Destabilisierung“
„Ein Einmarsch, analog zur Ukraine 2014, ist nicht zu erwarten“, stellt Malerius klar. Auch eine Verstärkung russischer Truppen in den besetzten georgischen Gebieten Südossetien und Abchasien hätten Militärbeobachter nicht festgestellt. Destabilisierungsmanöver seien indes zwar wenig wahrscheinlich, aber denkbar: So verlaufe etwa Georgiens Hauptverkehrsader zwischen der Hauptstadt Tiflis und der Schwarzmeer-Metropole Batumi teils wenige hundert Meter von der Demarkationslinie zu Südossetien entfernt. Eine Blockade wäre vergleichsweise leicht zu bewerkstelligen.
Es gebe angesichts Russlands Militärpräsenz „immer ein Risiko“, räumt auch Tschiaberaschwili ein. Er sieht aber genau jetzt, im Ukraine-Krieg, ein Möglichkeitsfenster für Georgien. Mit Blick auf die Verluste an Mensch und Material sei zu bezweifeln, dass Russland „gerade in einem weiteren Land Unfrieden stiften kann“, sagt er. „Deshalb haben wir genau jetzt eine Chance, Georgien zu einem sicheren und starken Staat zu machen – wenn wir die richtigen Reformen ergreifen.“ Der frühere Bürgermeister von Tiflis und Ex-Gesundheitsminister meint: „Wir werden bald eine neue Koalitionsregierung haben.“ (Florian Naumann)
Rubriklistenbild: © Montage: Imago/dpa/picture alliance/Alexander Nemenov/Pool/Scanpix/Martin Pedaja/fn
