Bestseller-Autor Richard Brox kommt nach Egglkofen
Die Stimme für Obdachlose: Von der Straße in die Top Ten der Buchautoren
Richard Brox lebte 30 Jahre lang auf der Straße. Heute ist er Bestseller-Autor. In seinen Büchern thematisiert er die Obdachlosigkeit in all ihren Facetten. Für eine Lesung kommt er am 29. November nach Egglkofen. Im OVB-Interview spricht er über sein Leben und darüber, was er mit seinen Büchern erreichen will.
Egglkofen – Er gilt als einer der bekanntesten Obdachlosen in Deutschland: Richard Brox. 30 Jahre lebte er ohne festen Wohnsitz in Deutschland, jetzt ist der gebürtige Mannheimer Bestsellerautor. Mit seinen beiden Büchern „Kein Dach über dem Leben“ und aktuell „Deutschland ohne Dach“ möchte der 59-Jährige das Thema „Obdachlosigkeit“ mehr in den Fokus der Menschen rücken. Brox, der auch Sterbebegleiter für todkranke Obdachlose ist, plädiert für eine Rückbesinnung auf christliche Werte wie die Nächstenliebe. Zudem sammelt er Spenden für seine ehrenamtliche Arbeit.
„Wir können alle, wenn wir wollen, Gutes tun“, lautet sein Credo. Die Pfarrei Egglkofen hat eine Autorenlesung mit ihm organisiert, die am Mittwoch, 29. November, um 20 Uhr im Pfarrheim stattfindet. Die OVB Heimatzeitungen haben vorab mit Richard Brox, der aktuell in Köln lebt, gesprochen.
Richard Brox, Sie haben 30 Jahre auf der Straße gelebt. Wie kam es dazu?
Richard Brox: Es war im April 1986, als die elterliche Wohnung in Mannheim zwangsgeräumt wurde. Ich war zu dem Zeitpunkt schwer drogenkrank und die Stadt Mannheim hat nichts getan, um mir zu helfen. Drei Jahre später habe ich in Heidelberg eine Langzeittherapie gegen meine Sucht begonnen. Nach einem Dreivierteljahr wurde ich als geheilt entlassen. Da ich nichts mehr hatte, habe ich meinen Rucksack gepackt und lebte ab diesem Zeitpunkt auf der Straße.
Sie bezeichnen die Straße als gefährlichen Ort, aber auch als Ort der Freiheit, Würde und Selbstbestimmung.
Brox: Nach den Erfahrungen, die ich in der Gesellschaft gemacht habe, empfand ich den Gang auf die Straße tatsächlich als Weg in die Freiheit. Es war aber auch eine entbehrungsreiche Zeit, wo das Überleben im Vordergrund stand. Gott sei Dank hatte ich da ältere Obdachlose, die mich unterstützt haben. Rückblickend betrachtet, bin ich da zum Minimalist und Einsiedler geworden. Ein Mensch, der keine Heimat mehr hatte. Ich war ein Heimatverlorener.
Sie leben jetzt aber in einer Wohnung in Köln. Warum?
Brox: Ja, das ist tatsächlich ein hundertprozentiger Wechsel. Aber ich bereue den Schritt nicht, das Straßenleben geht mir nicht ab. Es ist übrigens auch ein Märchen, dass viele Obdachlose sich gar nicht in die Gesellschaft integrieren wollen. Das sagen Menschen, die noch nie obdachlos waren. Obdachlose würden am liebsten sofort ihr Straßenleben aufgeben, wenn sie die Möglichkeit bekämen, wieder in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Hier müsste der Staat viel mehr unterstützend eingreifen.
Aber zurück zu der Frage. Aktuell läuft meine Privatinsolvenz, die noch nicht ganz abgeschlossen ist. Ein Rechtsanwalt aus Köln, den ich kenne, hilft mir bei der Abwicklung. Er hat mir auch die Wohnung in Köln beschafft. Dabei ist das aber nicht meine neue Heimat.
Sie sprechen immer wieder den Begriff „Heimat“ an. Wie wichtig ist Ihnen die Heimat?
Brox: Je länger man als Obdachloser auf der Straße lebt, desto mehr entwöhnt man sich auch aus der bürgerlichen Mitte. Da macht sich dann das Gefühl breit, verloren zu sein. Und auf der Straße gibt es viele Verlorene. Meine Heimatstadt ist Mannheim, wo ich geboren wurde. Doch diese Heimat habe ich verloren. Noch weiß ich nicht, ob ich einen Ort finde, wo ich auch längerfristig bleiben mag. Ich bin also von einem Heimatverlorenen zu einem Heimatsuchenden geworden.
Haben Sie eine Vorstellung, wo ihre Heimat sein könnte?
Brox: Ich habe drei Bundesländer, wo ich mir vorstellen könnte, zu leben. Das ist einmal Bayern. Hier gefallen mir die Bodenständigkeit, die Menschen und die Gemeinschaft. Für mich ist es auch das kulinarisch reichste Bundesland. Im krassen Gegensatz dazu steht das Bundesland Niedersachsen. Die Gegend zwischen Cuxhaven und Bremerhaven sagt mir schon wegen der Meeresluft zu, die wegen meiner chronischen Bronchitis gut ist. Und da wäre noch Baden-Württemberg, das Bundesland, aus dem ich herkomme.
In Ihren beiden Büchern thematisieren Sie die Obdachlosigkeit in all ihren Facetten. Ein Thema, das normalerweise nicht so im Fokus steht. Wie reagieren Menschen bei ihren Lesungen oder anderen öffentlichen Auftritten?
Brox: Bis dato habe ich nur positive Reaktionen erlebt. Man muss sich vor Augen halten, in Deutschland gibt es derzeit rund 600.000 Menschen, die wohnungslos sind. Das sind Menschen, die keine Wohnung haben, aber irgendwo unterkriechen können. Es gibt aber auch rund 400.000 Obdachlose, das heißt Menschen, die auf der Straße leben müssen. Dazu kommen geschätzt etwa 100.000 Menschen, die gar nicht registriert sind. Dazu noch Geflüchtete und Menschen aus der Ukraine, die ebenfalls durchs soziale Raster gefallen sind. Gefühlt gibt es derzeit so viele Obdachlose, wie seit den 1950er nicht mehr.
Was wollen Sie mit Ihren Büchern erreichen?
Brox: Ich möchte zum Thema Obdachlosigkeit aufklären und dazu beitragen, dass sich Menschen auf Augenhöhe mit den Betroffenen begegnen; dass sie sich mit dem Thema Obdachlosigkeit beschäftigen und mit Obdachlosen ins Gespräch kommen wollen.
Was sollte Ihrer Meinung nach getan werden, um das Problem Obdachlosigkeit zu lösen?
Brox: Aus meiner Sicht muss hier der Staat eingreifen. Wir brauchen mehr Straßensozialarbeiter, die mithelfen, dass Obdachlose in einem ersten Schritt resozialisiert werden. Das heißt, es wird mit ihnen ein Plan erstellt, wie sie wieder in die bürgerliche Mitte zurückkehren können. Dann folgt die Rehabilitation und anschließend die Reintegration in die Gesellschaft; und zwar im beruflichen wie im privaten Bereich. In jeder Landesverfassung müsste das Recht auf Arbeit, auf Ausbildung und auf Wohnraum aufgenommen werden.
Jeder sollte sich die Mühe machen, einem Obdachlosen aufrichtig und mit Empathie zu begegnen. Wir können alle, wenn wir wollen, Gutes tun. Das wäre im christlichen Sinne eine Form der Nächstenliebe.
