Viel Gegenwind für neues System
„Reinfall und Rückschritt“: Kritik am Mühldorfer Rufbus reißt nicht ab – Gefahr für den Handel?
Nicht für alle, nicht verlässlich, nicht spontan – sind das nur Anlaufschwierigkeiten? Der neue Rufbus muss derzeit viel Kritik einstecken. Was die Verkehrswende Mühldorf bemängelt und was Handel und Stadt dazu sagen.
Mühldorf – Seit 1. Juli ersetzt der Rufbus Mühldorf den früheren Stadtbus auf zwei Linien. Im Probebetrieb fahren zwei Fahrzeuge von Montag bis Freitag von 7 bis 20 Uhr und am Samstag von 8 bis 14 Uhr durch die Stadt. Gebucht werden die Fahrten per App oder telefonisch. Die Stadtverwaltung, allen voran Bürgermeister Michael Hetzl, ist mehr als zufrieden mit dem Start: „Bislang wird der Rufbus hervorragend angenommen, mit 1667 Fahrten im ersten Monat und 2112 Fahrgästen.“
Verkehrswende befragt Fahrgäste
Mehrere Fahrgäste haben dem OVB von Problemen mit dem Rufbus berichtet. Sie klagten unter anderem über zu wenige freie Fahrten, Unpünktlichkeit und mangelnde Barrierefreiheit. Diejenigen, die kein Auto hätten und auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen seien, fühlten sich seit der Rufbus-Einführung „abgehängt“ und ihrer Lebensqualität beraubt.
Die Bürgerinitiative „Verkehrswende Mühldorf“ hat sich mit einer Online-Umfrage, in persönlichen Gesprächen mit Fahrgästen und anhand eigener Erfahrungen ein Bild vom Rufbus gemacht.
Vor 7 Uhr geht gar nichts
„Die Kapazität der verfügbaren Fahrzeuge reicht bei weitem nicht aus, die Nachfrage nach öffentlicher Mobilität in Mühldorf zu befriedigen“, sagt Verkehrswende-Sprecherin Adelheid Kückelhaus. „Bestimmte Nutzergruppen werden sogar ausgeschlossen, wie Pendler vor 7 Uhr, die zum Zug müssen.“ Weil die Fahrzeuge keine wirkliche Barrierefreiheit böten, sei der Rufbus für Eltern mit Kinderwagen und Menschen mit Behinderungen keine geeignete Beförderungsmöglichkeit. Und: „Der Preis von zwei Euro pro Fahrt ist für ärmere Menschen und Vielnutzer zu hoch!“
Gravierender Verlust an Zuverlässigkeit
„Auch die App weist zahlreiche Schwächen auf“, stellt die Kückelhaus fest. „Der Buchungsvorgang muss immer wiederholt werden, wenn es für die gewünschte Zeit keine Fahrt gibt. Hin- und Rückfahrt müssen getrennt voneinander gebucht werden. Die Telefonzentrale ist häufig besetzt und nicht erreichbar.“ Am gravierendsten sei „der Verlust an Zuverlässigkeit des Verkehrsmittels“. Zusätzliche Haltepunkte oder die längere Bedienzeit am Abend könnten das nicht aufwiegen.
„Hier wird eine Chance vertan“, urteilt die Verkehrswende. Es werde weder der Bedarf der Nutzer des bisherigen Linienverkehrs befriedigt, noch würden neue Kunden hinzugewonnen.
Die Initiative sieht nur eine Lösung: „Wir fordern die Einrichtung eines zuverlässigen und preiswerten Linienbus-Systems, mit durchgehenden Taktzeiten Montag bis Samstag von 6 bis 20 Uhr!“ Dieser Linienverkehr könne „gegebenenfalls“ durch einen Rufbus an Wochenenden und später am Abend sowie in Randgebieten der Stadt ergänzt werden.
Bleiben Kunden am Stadtplatz aus?
Besonders für die Achse Bahnhof-Innenstadt fordert die Verkehrswende regelmäßige und verlässliche Verbindungen, um Menschen den Einkauf zu ermöglichen, ansonsten „wird der Geschäftsstandort Innenstadt geschwächt“.
Christian Kühl, Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Mühldorf, ist seit Umstellung auf den Rufbus noch kein Ausbleiben der Kunden am Stadtplatz aufgefallen. „Der Rufbus fährt gut und viel durch die Stadt“, ist sein Eindruck. „Ich denke, was jetzt zu Kritik führt, sind typische Anfangsschwierigkeiten.“ In einem Jahr werde kein Hahn mehr danach krähen, ist er sicher.
Rufbus sollte nur eine Ergänzung sein
Auch Mühldorfs Verkehrsreferent Dr. Georg Gafus (Grüne) hat den Rufbus getestet. „In der App wurde mir bei knapp 20 Buchungsversuchen nur einmal die nächstgelegene Haltestelle eingebucht, stattdessen eine zehn Minuten entfernte Haltestelle“, so seine Erfahrung.
Reduziertes Angebot für Bürger
Seiner Ansicht nach reduziert das jetzt eingeführte Rufbus-System „das ÖPNV-Angebot für die Bürger“. So bringe man die Mühldorfer nicht zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel. „Der Rufbus ist ein Glücksfall für die, bei denen die Buchung klappt.“ Der ÖPNV dürfe aber keine Lotterie sein. „Als Ersatz für den Linienbetrieb oder zur Steigerung der Fahrgastzahlen ist der Rufbus Reinfall und Rückschritt. Im Probebetrieb ist er kein Verkehrsmittel, das ich verlässlich nutzen kann.“
Bürger sollten Geduld haben
„Der Stadtbus war nicht zu retten, weder der bisherige Busunternehmer noch ein anderer wollte ihn betreiben“, reagiert Bürgermeister Michael Hetzl auf den Wunsch nach Wiederbelebung der Linien. „Die Busunternehmen leiden unter massivem Personalmangel.“
Die Stadt habe jahrelang vergeblich versucht, einen besseren Takt für den Stadtbus einzuführen oder nicht erschlossene oder erreichbare Bereiche in der Stadt anzubinden. Das sei mit dem Rufbus endlich von Erfolg gekrönt. Die Bürger bittet Hetzl um Geduld, bis die im Probebetrieb entdeckten Probleme verbessert oder gelöst seien.