Dr. Martin Gross im Interview zu Windkraft-Entscheid
Politik-Experte: „Wenn es nur Mehring betroffen hätte, wäre es etwas anderes, aber ...“
Die Bürger in Mehring im Landkreis Altötting haben sich am Sonntag (28. Januar) bei einem Bürgerentscheid mit großer Mehrheit gegen Windkraftanlagen auf ihrem Gemeindegebiet ausgesprochen. Wir haben mit einem Kommunalpolitik-Experten, Dr. Martin Gross, Akademischer Rat am Lehrstuhl für Politische Systeme und Europäische Integration Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München über das Ergebnis gesprochen.
Mehring - „Demokratietheoretisch finde ich es natürlich erst einmal schön. Aber gleichzeitig war es so, dass ich schon als ich das erste Mal davon gehört habe, verwundert war. Denn es ist ein berechtigter Kritikpunkt, dass hier auf Gemeindeebene etwas entschieden wurde, was eigentlich den gesamten Landkreis, wenn nicht gar ganz Bayern und sogar Deutschland betrifft“, meint Dr. Martin Gross, Akademischer Rat am Lehrstuhl für Politische Systeme und Europäische Integration Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Wenn es um eine Sache gegangen wäre, die wirklich nur diese Gemeinde betrifft, wäre das eine klare Sache..“
Im Jahr 2019 hatten wir Gross schon einmal zu Rate gezogen. Damals hatten in relativ kurzem Abstand Bürgerentscheide Plänen für ein Krematorium in Kolbermoor, das Lichtspielhaus in Bad Aibling und einen Neubau des Waldbads in Waldkraiburg ein Ende bereitet.“Kommunalpolitik muss heutzutage mit Bürgerbegehren rechnen“, war damals seine Kernaussage, bei potenziell konfliktträchtigen Projekten müssten diese mit einkalkuliert werden. Eine Position, zu der er weiterhin steht. „Wie gesagt: Wenn es nur die Gemeinde Mehring betreffen würde, wäre das etwas anderes.“
Windkraft-Bürgerentscheid in Mehring: Kommunalpolitik-Experte äußert sich
Sowohl in einem Ratsentscheid als auch in einem Bürgerentscheid lehnten die Bürgerinnen und Bürger von Mehring am Sonntag die Pläne für Windkraftanlagen auf ihrem Gemeindegebiet ab. Der Ratsentscheid wurde mit 876 zu 525 Stimmen abgelehnt – hier waren die Bürger gefragt, ob sie Planung und Bau der Windkraftanlagen unterstützen. Beim Bürgerentscheid stimmten 928 Wahlberechtigte mit Ja und 454 mit Nein. Hier war die Frage, ob die Gemeinde alles tun soll, um die Windkraftanlagen zu verhindern.
„Bedenklich finde ich, wenn die Gemeinden, die von den Gewerbesteuern des Chemiedreiecks am meisten profitieren, selbst keinen nennenswerten Beitrag zur Energieversorgung der Region leisten wollen. Wie soll man da den Gemeinden in Niederbayern oder der Oberpfalz die Stromtrassen verkaufen, die dort auf 500 km im Wesentlichen zur Stromversorgung des Chemiedreiecks gebaut werden müssen?“, mahnte im Nachhinein Landrat Erwin Schneider (CSU), „Es steht nun zu befürchten, dass dieses Ergebnis auch Nachwirkungen auf die restlichen sechs Kommunen im Landkreis hat, die vom Bau der Windkraftanlagen im Staatsforst tangiert sind.“
Kritik an Landesregierung
„Und genau da kommen wir zu einem anderen Problem bei diesem Vorgehen: Was, wenn jetzt die Mehrheit der Menschen in anderen Gemeinden im Landkreis dafür gewesen wären?“, meint Dr. Martin Gross, „Eventuell wäre es sinnvoller gewesen, das Projekt gleich auf Landkreisebene zur Abstimmung zu bringen, wobei es natürlich im Nachhinein immer einfach ist, so etwas als Kritikpunkt anzubringen.“ So geschah es 2021 im Landkreis Ebersberg, wo sich die Befürworter knapp gegen die Gegner eines Windkraft-Projekts dort durchsetzen konnte, wobei die meisten Contra-Stimmen von unmittelbar in der Nachbarschaft von dessen Standort befindlichen Gemeinden kamen, wie unser Partnerportal merkur.de berichtet.
„Die Entscheidung ist ein schwerer Rückschlag für den Industrie- und Chemiestandort Bayern und für den Klimaschutz! Wir brauchen jetzt eine Öffentlichkeitskampagne und breite Aufklärung über die Notwendigkeit von Windkraft. Man kann nicht jahrelang ohne Folgen gegen Windräder Stimmung machen. Jetzt sind Rückgrat und klare Kante gefragt – im Interesse Bayerns. Das verlange ich auch vom Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Markus Söder!“, hatte Florian von Brunn, SPD-Fraktionschef im Landtag in seiner Stellungnahme zum Thema betont und kritisierte auch Bayerns Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler): „Er ist lieber auf Demos, als sich um die wichtigen Zukunftsfragen zu kümmern. Er schadet damit Bayern.“
„Wenn Hubert Aiwanger wenige Tage vor dem Bürgerentscheid sagt: ‚Vielleicht machen wir mal eine Veranstaltung. Ich hör mir die Gegner auch gern an‘, dann stellt sich die Frage, ob er oder sein Chef Söder erst vor wenigen Tagen von dieser über ein Jahr in Altötting erstarkten Gegenwind-Bewegung erfahren haben? CSU-Generalsekretär Martin Huber, Kreisrat in Altötting, hat bei den Veranstaltungen genauso mit Abwesenheit geglänzt wie sein CSU-MdB-Kollege Stephan Mayer, der der Ampel täglich Deindustrialisierung vorwirft“, kam wiederum die Kritik vom Co-Kreisvorsitzenden der Grünen Peter Áldozó.
Formierung von Bürgerbeteiligung grundsätzlich begrüßenswert
„Den Schuh muss sich die CSU anziehen: Sie hat zuvor jahrzehntelang beim Thema Windkraft gebremst und jede Menge Gegenargumente in die Welt gesetzt, die jetzt wieder aufgegriffen werden. Die Freien Wähler sind dagegen bei dem Thema immer wieder hin und her geschwankt“, kommentiert das Dr. Gross, „Es ist aber auch schlicht ein Thema, das leicht zu politisieren ist: Es geht immerhin um Bauten, welche dann die Landschaft dominieren werden. Nicht ohne Grund drängt ja Bayern beispielsweise auch bei den Stromtrassen auf die teureren aber optisch weniger Eindruck machenden unterirdischen Lösungen.“
Das führt schließlich zur Aktivität der Bürgerinitiative „Gegenwind“. „Die BI bedankt sich bei allen Mehringer Bürgerinnen und Bürgern, die beim Bürgerentscheid für die Erhaltung ihrer Heimat, ihrer wunderschönen Landschaft und des so wichtigen Forstes gestimmt haben“,hieß es in deren Stellungnahme zum Abstimmungsergebnis, „Damit haben sie sich ein Stück Demokratie zurückgeholt und gegenüber den Entscheidungsträgern klar zum Ausdruck gebracht, dass weitreichende Entscheidungen nur Sinn machen, wenn auch die Bürgerinnen und Bürger in den Entscheidungsprozess mit einbezogen werden.“
Kritik an BI
„Wie ich schon vor fünf Jahren sagte: Alleine aus demokratietheoretischer Perspektive ist die Formierung von Bürgerbeteiligung in einer solchen Weise nur zu begrüßen!“, betont Dr. Gross, „Aber auch damals schon habe ich darauf hingewiesen, dass besonders in Zeiten des Internets nun Falschinformationen besonders rasch verbreitet werden können und eine hartnäckige Existenz haben.“ Zudem sei es zumindest als kritisch zu betrachten, das die BI überwiegend von einer politischen Richtung beeinflusst zu sein scheine.
„Seit über einem Jahr kommen zwar von der bayerischen Regierungsspitze vollmundige Ankündigungen, insbesondere auch während des Wahlkampfs. So bezeichnete Söder das Projekt sogar als ‚Größtes Windparkprojekt Deutschlands‘, doch kurz darauf ließ man die betroffenen Landgemeinden wieder allein mit einer von der AfD durchdrungenen „Gegenwind-Bewegung“. Während die ‚Heimatabgeordneten‘ der CSU mit Grünen-Bashing und Gender-Verbotsforderungen beschäftigt waren und bei öffentlichen Windkraftveranstaltungen mit Abwesenheit glänzten, während der Landrat und sein Klimaschutzmanager in der Öffentlichkeit unterm Wahrnehmungsradar standen, während sich diese sonst so lautstarken Kräfte der Bayerischen Politik keine Sekunde um Beteiligungsmodelle für Bürger, Genossenschaften beziehungsweise Kommunen kümmerten, konnte dieses Vakuum nach und nach die Gegenwind-Bewegung füllen. Die Bürgermeister wurden und werden nach wie vor im Regen stehen gelassen. Die Gemeinde Marktl ist als nächstes dran“, heißt es weiter von Grünen-Politiker Áldozó
„So eine Diskussion beziehungsweise Abstimmung wird halt geradezu unfair, wenn eine Seite ohne Konsequenzen für sich Behauptungen aufstellen oder sogar Falschaussagen machen kann, welche dann das Ergebnis maßgeblich beeinflussen“, schließt Dr. Gross seine Betrachtungen, „Abschließend muss man sagen: Ja, die Staatsregierung muss sich hier viel Kritik gefallen lassen. Aber am Ende wurde hier höchstwahrscheinlich ein Thema auf Gemeindeebene entschieden, das mindestens für den ganzen Landkreis Relevanz hat.“
hs

