Masterplan führt zu heftigem Streit
„Erschüttert“ vom Konzept: Sind die Pläne für die Haager Ortsmitte zum Scheitern verurteilt?
Drei Stunden hitzige Debatte im Haager Gemeinderat. Der Grund: Der Masterplan zur Aufwertung der Ortsmitte. Viele zeigten sich „erschüttert“ von dem Konzept. Was das Gremium zu beanstanden hatte und wie es sich entschieden hat.
Haag – Heftig und lange wurde in der jüngsten Sitzung des Haager Gemeinderats diskutiert. Der Grund: der Masterplan für die Aufwertung der Ortsmitte. Dr. Robert Leiner, Diplom-Geograf der iq Projektgesellschaft, und Rainer Heinz vom gleichnamigen Architekturbüro, waren in der Sitzung anwesend, um die neueste Entwicklung des Konzepts vorzustellen.
„Die Planung ist fertiggestellt, jetzt geht es in die Umsetzung“, erklärte Leiner den Gemeinderatsmitgliedern und den zahlreichen Bürgern, von denen viele an den Workshops zur Aufwertung der Ortsmitte teilgenommen und Ideen erarbeitet haben. Die „mehrheitlich angenommenen Vorschläge“ seien dann in den Masterplan eingearbeitet worden, so Leiner und Heinz. „Wir wollen eine dauerhafte und kooperative Standortentwicklung mit Blick auf die gesamte Ortsmitte“, erklärte Leiner.
Drei grundlegende Bausteine
„Laut einer neuen Studie, die nach der Corona-Pandemie erstellt wurde, ist der Hauptbesuchsgrund ‚Einkaufen‘ stark rückläufig. Die Leute wünschen sich heutzutage einen Wohlfühlort“, so Leiner. Dafür gebe es drei grundlegende Bausteine: Komfort, wie Aufenthaltsflächen und Sitzgelegenheiten, Sicherheit, wobei unter diesem Aspekt der Schutz vor Verkehr gemeint sei, und Atmosphäre, also positive Sinneseindrücke, erklärte der Diplom-Geograf.
Nach den Workshops und der Auswertung der Bürgerbefragung kamen die beiden Experten zu folgendem Ergebnis: „Die Leute wollen einen Wohlfühlort der Gemeinsamkeit und des Miteinanders, an dem sie sich im Alltag aufhalten können und der einen Lebensmittelpunkt für alle Generationen bildet.“ Dabei habe sich herauskristallisiert, dass die meisten den „Raum um den Löwenbrunnen“ – also zwischen Rathaus und Bräuhausplatz – als zentralen Bereich ansehen. Darüber hinaus wäre der Bräuhausplatz eine weitere Möglichkeit, einen Aufenthaltsbereich zu schaffen. „Da dieser aber den Bürgern als Parkplatz dient, wird das Areal höchstwahrscheinlich weiterhin dafür genutzt werden“, meinte Leiner.
Tempo-20-Zone vorstellbar
„Die optimale Lösung für Haag ist eine Änderung der Verkehrsführung“, schlug Heinz vor. „Es fahren viele Lkw durch Haag, vielleicht wäre es möglich, dass die Transporter nur von einer Seite einfahren dürfen und dann auf einer Abbiegespur Richtung Mühldorfer Straße wieder ausfahren müssen“, erläuterte er. „So wird deutlich: Der Kernbereich ist keine durchgängige Verkehrsstraße, zumindest nicht für Lkw. Für Pkw-Fahrer ändert sich nichts“, so Heinz. Außerdem empfahl er, die Geschwindigkeit in der Ortsmitte zu reduzieren, möglich sei beispielsweise eine Tempo-20-Zone. Weiter könne er sich vorstellen, Parkplätze zu streichen, um Baumreihen, beispielsweise in der Wasserburger Straße, zu pflanzen. „Das ändert den Charakter einer Straße komplett“, schloss sich Leiner an.
Die beiden Experten stellten weitere Maßnahmen für die unterschiedlichen Bereiche in Haag vor: Für die Hauptstraße West und Ost könnten sich Leiner und Heinz eine „barrierearme, entschleunigte Neugestaltung mit verkehrsberuhigtem Geschäftsbereich“ vorstellen. Aus dem Umfeld um den Löwenbrunnen soll ein „barrierearmer Fußgängerbereich“ entstehen. In der Wasserburger Straße sei eine „entschleunigte Neugestaltung“ vorgesehen, mit möglicher einseitiger Baumbepflanzung. Für den „Marktplatz West“ könnten sich der Architekt und der Diplom-Geograf eine „einheitliche Gestaltung als Vorplatz“ vorstellen und für den „Marktplatz Ost“ eine mögliche Erweiterung der Grüninsel. Das Parken dort soll nach Möglichkeit reduziert werden. Für das Schloss und den Schlossturm könnte eine „Neugestaltung des Aufgangs und des Vorplatzes mit Anwohnerparken“ infrage kommen, so Heinz und Leiner.
Vorschläge lösen heftige Diskussionen aus
Doch die Vorschläge fanden beim Großteil des Gremiums keinen Anklang, im Gegenteil: Sie lösten im Gemeinderat heftige Diskussionen aus. Vor allem Dr. Florian Haas (PWG) schien zeitweise fassungslos. „Das kann ich nicht als Masterplan akzeptieren. Wir wollen Auswertungen, Fakten, Daten“, schimpfte er. „Ich gebe mich mit dieser kleinen Präsentation nicht zufrieden, die uns hier vorgestellt wird, mit irgendwelchen gelben Post-its darauf“, kritisierte er. „Ich will mehr Fleisch, mehr Inhalt, um darüber abzustimmen“, forderte er.
Dem schloss sich Hans Urban (CSU) an. „Wir diskutieren hier in der Luft. Das ist wirklich alles sehr abstrakt gehalten. Für ein Jahr Arbeit finde ich das zu unkonkret“, beanstandete er. „Sie wollen Schutz vor dem Verkehr, wie soll das denn aussehen? Es gibt bisher kein Konzept dafür, außer, dass Radfahrer auf der Fahrbahn fahren sollen. Beim Marktplatz schlagen sie ‚untergeordnetes Parken‘ vor. Ich kenne nur Parken – oder eben nicht. Außerdem fehlen die Meinungen der Geschäftsleute. Die sind im Masterplan nicht vertreten“, zählte Urban seine Kritikpunkte auf. „Wie sind Sie denn überhaupt auf die Idee mit der Abbiegespur in Richtung Mühldorfer Straße gekommen? Wann wurden diese Vorhaben besprochen, wann darüber abgestimmt?“, richtete er sich an Leiner und Heinz. „Ich war bei jedem Workshop dabei. Mir war das nicht bekannt“, verdeutlichte er.
Falsche Vorstellung vom Masterplan
„Je detaillierter die Pläne werden, desto weniger besteht die Möglichkeit, Lösungen dafür zu finden. Auf die Abbiegespur kann verzichtet werden. Das muss dann der Verkehrsplaner ausarbeiten“, erklärte der Diplom-Geograf. „Der Masterplan liefert einen Einstieg für ein komplettes Bild zur Aufwertung der gesamten Haager Ortsmitte. Sie waren bei den Seminaren dabei“, richtete er sich an Urban. „Da haben Sie gesehen, wie viel schon diskutiert wurde, obwohl es noch nicht konkret war“, erinnerte er. „Mir ist bewusst, dass Sie explizite Lösungen wollen. Das kann der Masterplan nicht leisten. Dann haben Sie eine falsche Vorstellung von diesem Konzept“, so Leiner. Bürgermeisterin Sissi Schätz (SPD) ergänzte, dass die Auswertungen aus den Workshops vorliegen würden. „Wir können die Dokumente nachliefern, damit der Prozess für alle transparent wird“, so die Rathauschefin.
„Wesentliche Entscheidungen hätten schon getroffen werden müssen“, kritisierte Urban weiter. „Vorher hieß es: Es geht in die Umsetzung. Das stimmt nicht, es sind bisher nur Ideen vorgestellt worden“. Auch Klaus Breitreiner (CSU) zeigte sich ebenfalls „erschüttert“ von dem vorliegenden Konzept. „Unser Problem ist nicht der Durchgangs-, sondern der Zielverkehr in Haag“, verdeutlichte er im Hinblick auf die mögliche Abbiegespur. „Außerdem werden die Parkplätze gebraucht. Wir können nicht wahllos Baumreihen pflanzen, dann fallen zu viele Stellflächen weg“, meinte Breitreiner. „Es müssen erst einmal die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Der Masterplan ist eine gute Ideensammlung, aber wir können auf dieser Grundlage nichts beschließen“, sagte er.
Großer Wunsch: Schwerlastverkehr raus aus Haag
Egon Barlag (FWG) merkte an, dass er sich „schon lange wünscht“, dass der Schwerlastverkehr nicht mehr auf der Hauptstraße fährt. Aber durch die Tempo-Zone-20 würde sich die Aufenthaltsqualität im Ort sicherlich nicht verbessern. „Eher frage ich mich, ob der Verkehrsfluss dadurch gestört wird“. Auch Michael Haas (CSU) äußerte deswegen Bedenken. „Im Workshop haben wir in Gruppen einen Konsens erarbeitet, beispielsweise für einen verkehrsberuhigten Bereich. Das bedeutet aber nicht, dass ich meine eigene Meinung kundtun konnte“, beanstandete er. „Von einer Tempo-20-Zone war nie die Rede“, so Haas. „Ich war damals schon gegen den Masterplan“, warf Thomas Eberharter (CSU) ein. „Ich befürchte nach wie vor, dass er in irgendeiner Schublade landet. Wenn schließlich Investitionen getätigt werden müssen, werden sie geschoben und geschoben“, bemängelte er.
Eva Rehbein (SPD) war eines der wenigen Gemeinderatsmitglieder, das Lob für den erstellten Masterplan hatte: „Ich habe genau das erwartet, was Sie heute präsentiert haben“, sagte sie zu Leiner und Heinz. „Sie haben die Anregungen und Ideen aus dem Workshop zusammengefasst. Für mich ist das sehr konkret. Wir müssen das große Ganze im Blick behalten und sollten uns nicht in Details verlieren“, argumentierte sie. „Die Aufenthaltsqualität muss verbessert werden. Das ist Wunsch der Bürger. Es geht ja nun erst in die weitere Planung“, sagte Rehbein. „Ich habe fast befürchtet, dass jeder im Gremium seine eigene Meinung darlegt. Demokratie bedeutet, Kompromisse zu schließen. Wenn sich die Bürger beispielsweise mehr Bäume wünschen und dafür Stellflächen wegfallen, dann sollten wir dem entsprechen. Wir sollten definitiv einen Beschluss fällen, ansonsten fragen sich die Leute, was wir hier überhaupt treiben“, betonte sie.
Ideen von den Haager Bürgern
Dem stimmte Herbert Zeilinger (WFH) zu. „In den Seminaren waren die Bürger dabei und haben ihre Anliegen kundgetan. Die Ideen, die die beiden Experten hier vorstellen, kommen von den Haagern. Natürlich gibt es noch vieles zu besprechen, aber es ist ja noch nichts in Stein gemeißelt“, betonte er. „Im Nachhinein sagen dann die Bürger: Warum ist das nicht beschlossen worden? Warum haben wir unsere wertvolle Zeit geopfert?“, so Zeilinger. „Wir müssen jetzt den Startschuss geben“. Dafür sprach sich auch Siegfried Maier (SPD) aus. „Wir wollen vorankommen mit der Vision von Haag. Und wir wollen sicherlich keinen zweiten Zehentstadel“, sagte er, wobei er darauf anspielte, wie lange die Planung des Gebäudes mittlerweile andauert. „Ich schlage vor, die Diskussion zu vertagen, bis die fehlenden Dokumente und Auswertungen vorliegen“, sagte er.
„Mir tut es schon fast leid, dass sich die beiden Experten hier so verteidigen müssen“, sagte Wolfgang Obermaier (FWG). „Wir wollten den Masterplan“, verdeutlichte er. „Das Konzept ist nur ein Vorschlag, die Umsetzung liegt bei uns. Man hätte im Workshop auch etwas sagen können, wenn man anderer Meinung ist – und nicht danach darüber schimpfen“, meinte er an Michael Haas gerichtet.
Nach drei Stunden langer Debatte entschied der Gemeinderat mit 12:8 Stimmen, den Tagesordnungspunkt zu vertagen. Er wird erneut besprochen, wenn die fehlenden Unterlagen nachgereicht wurden.