OVB-Leserforum
Aiwanger-Diskussion und kein Ende: „Trumpismus“, „Hitlerattitüden“ oder „Menschfreund“?
Die Diskussion um das antisemitische Flugblatt aus Hubert Aiwangers Jugendzeit ist weiter ein Topthema in der Region. Die Meinungen über Bayerns stellvertretenden Ministerpräsidenten gehen weit auseinander.
Klaus Leber (Stephanskirchen): Sicherlich war Hubert Aiwanger in seiner Jugend kein unbeschriebenes Blatt, aber wenn es so schlimm war, warum haben dann die Lehrer und andere diese Verfehlungen nicht der Schulleitung gemeldet?
Aiwanger hat nach 35 Jahren vieles vergessen, dieser Gedächtnisverlust ist bei unserem Kanzler in der Affäre um die Hamburger Warburg Bank Affäre ebenfalls feststellbar, nach nur wenigen Jahren. Wenn Aiwanger jetzt sagt: Wir müssen uns unsere Demokratie zurückholen, so hat er zumindest in Teilen recht, denn Deutschland liegt im Demokratieverständnis an 15. Stelle, die Schweiz und Finnland befinden sich hier an der Spitze.
Die grünen Rechtsfinder kröpfen sich am meisten auf – doch hat diese Partei nicht genug schwarze Schafe in ihren eigenen Reihen? Die Grünen stellen den Wirtschaftsminister, der einmal sagte, er könne mit Deutschland nichts anfangen, der von Wirtschaft – die so langsam den Bach runtergeht – weniger Ahnung hat, der nicht einmal weiß, was eine Pleite ist, sich aber mit Vetternwirtschaft bestens auskennt. Oder der ehemalige Außenminister Fischer, der auf einen Polizisten eingeprügelt hat. Unser Volksvertreter in Berlin, einschließlich Söder, die Ruheständlerin Merkel, bedienen sich ungeniert aus der Staatskasse, mit Hunderttausenden Euro für Styling und Fotoshootings – wie will man das den Wählern erklären? Mir wäre Leistung lieber, statt Schönheit.
Wir haben vier Millionen Arbeitslose, nicht einmal zehn Prozent von ihnen können dem Arbeitsmarkt überstellt werden, obwohl Arbeitskräfte massenhaft gesucht werden. Dank dieser Regierung nimmt die unkontrollierte Einwanderung zu, ungesteuert. Jetzt schlägt der Kanzler noch einen Deutschlandpakt vor. Es scheint, als wenn alles aus den Fugen geraten wäre.
Judith Schäfer (Rosenheim): Hubert Aiwanger bleibt im Amt. Ja, es steht beim Sachverhalt Aussage gegen Aussage – Aiwanger dementiert, das widerwärtige Pamphlet in seiner Schulzeit verfasst zu haben. Beweisen kann man heute nichts mehr. Die Zeugenaussagen sind widersprüchlich. Die Schriftstücke waren in seiner Tasche, das ist unbestritten. Wie formulierte es Josef Schuster, Präsident des Zen tralrats der Juden in Deutschland, so treffend: „Nichts fliegt von selbst in eine Tasche.“ Erschreckend an der Causa Aiwanger ist der Umgang von Aiwanger mit der deutschen Geschichte sowie seine Polemik. Seine populistischen Redeschwalle, die auf der Erdinger Demo den erschreckenden Höhepunkt fanden, zeigen deutlich: Die Grenzen, die ein Politiker ziehen sollte, sind ihm unbekannt und eines Ministers unwürdig. Seine Reaktionen und Entschuldigungen nach der Veröffentlichung weisen in dieselbe Richtung: Statt aufrechte Distanzierung kam immer wieder der Fingerzeig auf die Medien und seine ehemalige Schule. „Hexenjagd“, so nennt es Aiwanger selbst. Man fühlt sich an die Wortwahl des Ex-Präsidenten Trump erinnert: Sie schwimmt mit in der rechtspopulistischen Suppe, die der Gesellschaft scheinbar immer wirkungsvoller eingeflößt wird. Das zeigen auch die Bierzeltauftritte. Die „Fans“ wollen offensichtlich nicht verstehen, was der Unterschied zwischen Schülerstreich und rechtsextremistischem Flugblatt ist. Der Schritt von Aiwanger zur AfD ist nicht weit. Herr Söder war wohl der Ansicht, es wäre das kleinere Übel, Herrn Aiwanger als stellvertretenden Ministerpräsidenten zu behalten. Das wird sich noch als fataler Irrtum herausstellen.
Rosmarie Schober (Rosenheim) Wir sind „im Trumpismus angekommen“, stellt der Politik-Experte Florian Wenzel aus Halfing im OVB-Gespräch fest. Man kann ihm für seine Einschätzungen nur dankbar sein. Ich bin es jedenfalls. Danke auch an die OVB-Heimatzeitungen und ihren Reporter Michael Weiser, die dieses Gespräch ermöglicht haben.
Franz Garnreiter (Rosenheim) Wer von den „normalen Menschen“ kann sich nicht mehr erinnern, wie oft er oder sie den Hitlergruß zeigte oder das Horst-Wessel-Lied sang, Hakenkreuze schmierte und Witze über Fallbeile und Vergasen erzählte? Die meisten wissen das. Die Antwort ist: nie.
Bei Aiwanger aber war ein solches Verhalten offensichtlich so was von normal und alltäglich, dass er sich nach eigener Aussage beim besten Willen nicht mehr erinnern kann, wie oft er solches Nazi-Brauchtum pflegte (an das sich seine Mitschüler durchaus erinnern). Er war halt angehender Jungnazi. Und heute, was hat er seither dazugelernt? Erstens, dass Lügen und Verleumdungen karrierefördernd sind: Lügen und feiges Verleugnen der damaligen Aktivitäten, solange es geht. Und die Aufdeckenden als die Bösen verleumden, die eigenen Untaten dagegen als harmlose Kinderstreiche (er war immerhin fast volljährig) hinstellen.
Zweitens: Aiwanger konzentriert sich jetzt darauf, die „Demokratie zurückzuholen“. Was meint ein Ex-Jungnazi damit? Wann ist sie denn verloren gegangen? Wie soll sie zurückgeholt werden? Was ist dann anders als jetzt, wenn Aiwangers Demokratie herrscht? Aber ein „reines Gewissen“ hat er, unser netter „Hubsi“. Das ist sicher wahr, und das reicht der CSU.
Gunthard Anderer (Feldkirchen-Westerham): Die OVB-Heimatzeitungen haben dankenswerterweise das Herrn Aiwanger zugeschriebene „Flugblatt“ im Original veröffentlicht. Da raus eine frühe antisemitische Einstellung von Herrn Aiwanger abzulesen, ist nur mit Leseschwäche und fehlenden Geschichtskenntnissen zu erklären. Offensichtlich genügt die Gedankenkette: Dachau gleich Judenvernichtung und Verharmlosung gleich Antisemitismus für die jetzt erhobenen Vorwürfe. Es wird ignoriert, dass das KZ Dachau ursprünglich zur „Umerziehung“ von Gegnern des Nazi-Regimes wie Kommunisten, Sozialdemokraten und anderen „Vaterlandsverrätern“ eingerichtet wurde. Mein Großvater war als SPD-Mitglied und aktiver Gewerkschafter neun Monate dort inhaftiert. Die im Flugblatt aufgeführten „Preise“ beschreiben, was politischen Gefangenen in Dachau zustoßen konnte.
Es ist vermutlich nicht mehr festzustellen, was mit diesem Flugblatt vor 35 Jahren bezweckt wurde. Mit Judenverfolgung und Antisemitismus hatte es jedoch nichts zu tun. Wenn die Grünen und andere aufgrund dieses Flugblattes eine Anti-Semitismus-Kampagne gegen Herrn Aiwanger konstruieren, so nähern sie sich in erschreckender Weise den Methoden derer an, die das KZ Dachau errichtet haben.
Hanni Gschwendtner-Schiefner (Bruckmühl): Recht getan, Frau Knobloch! Wie sollte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern diese lapidare Entschuldigung Aiwangers „alles wäre bloß eine Jugendverfehlung gewesen“ annehmen können? Frau Knoblochs Großmutter wurde deportiert und verhungerte im Ghetto Theresienstadt; sie selbst entging nur knapp einer eigenen Deportation. Welches Gymnasium tolerierte vor 35 Jahren solche „Späße“ über das Dritte Reich? Wir brauchen Politiker, die die deutsche Geschichte gewissenhaft verarbeitet haben und sich insbesondere unseren jüdischen Mitbürgern einer besonderen Verantwortung bewusst sind. Politiker, die kein Rückgrat haben und sich als „Opfer einer Schmutzkampagne“ sehen (in voller Trump-Manier) müssen meiner Meinung nach sofort zurücktreten oder suspendiert werden, damit die Bundesrepublik ihr politisches Ansehen im In- und Ausland nicht gänzlich verliert.
Elmar Stein (Bad Aibling): Die Stellungnahme des Herrn Ippen zeugt von Kompetenz und Verantwortungsbewusstsein. Grundsätzlich stimmen wir ihm in seinen Ausführungen zu. Allerdings sind Vergleiche mit Persönlichkeiten wie Henri Nannen, Jahrgang 1913, Günter Grass und Martin Walser, beide Jahrgang 1927 mit Hubert Aiwanger, geboren 1971, fehl am Platz. Wer in der Zeit des Naziregimes jung war, war eben leicht zu verführen. Hingegen ist Hubert Aiwanger in einer Zeit aufgewachsen, in der sich die Gesellschaft, vermutlich auch in Mallersdorf, mit den Gräueltaten des NS-Regimes auseinandergesetzt hat. Und wo sieht Herr Ippen in Bayern einen linken Zeitgeist? Wenn es einen Zeitgeist neben dem „des hamma allweil scho so gmacht“ gibt, dann ist er doch eher grün. Und das ist dringend nötig!
Hans Dieter Schneider (Rosenheim) Mich würde nur interessieren, wann, wo und wie Hubert Aiwangers Wandlung vom Nazi-Sympathisanten mit Hitlerattitüden zum heutigen Demokraten und Menschenfreund geschehen ist. Eine Erklärung, welche Umstände, welche Personen daran maßgeblich beteiligt waren, wäre interessant. Vielleicht könnte ich dann die Veränderung zu einem guten Menschen nachvollziehen und den „Mist“ und das „dumme Zeug“ als jugendliche Verwirrung und Dummheit verzeihen.
Ingrid Wieland (Prien): Bei der Beurteilung von Menschen in Hinblick auf Charakter und Einstellung, insbesondere in der Bewertung Jahre zurückliegender Aussagen, ist mit größter Vorsicht vorzugehen.
Entscheidend ist die jetzige Handlungs- und Denkweise. Ein 17-jähriger Hubert Aiwanger besitzt ein Flugblatt, geschrieben von seinem Bruder Helmut, das die unfassbaren, grausamen Methoden der damaligen Nazi-Konzentrationslager, denen Millionen von Menschen zum Opfer gefallen sind, schriftlich parodiert.
Die Ursachen dafür, Protest gegen Lehreranweisungen. Dies durch einen Vortrag zu kompensieren, oder das Nichtverstehen des Gesamtbildes von sechs Millionen ermordeter Menschen, oder der total verfehlte „schwarze Humor“, sind nach 35 Jahren nicht mehr nachvollziehbar. Dass man auf dem Rücken dieser sechs Millionen Menschen „Spaß“ macht, ist für uns heutzutage total unakzeptabel. Aber, wie eingangs erwähnt, muss die Beurteilung der beiden minderjährigen Brüder Aiwanger den obigen Prinzipien entsprechen, das heißt die unausgereifte Entwicklung ist zu berücksichtigen. Die Aussagen von Robert Habeck vor vielen Jahren in seinem Buch „Patriotismus – ein linkes Plädoyer“, dass er „Vaterlandsliebe stets zum Kotzen fand“ und „mit Deutschland noch nie etwas anfangen konnte“ und „es bis heute nicht“ wisse, sind auch von zweifelhafter Qualität. Auch Habecks Aussagen müssen aber entsprechend bewertet werden. Man kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen, dass er sie so nie mehr wiederholen würde. Gleiches gilt im Prinzip für die Bewertung der Aussagen von Herrn Aiwanger.
Gudrun Baumann-Sturm (Raubling): Den Leserbrief von Herrn Koslalec kann man nicht so stehen lassen. Er entspricht nicht der Wahrheit. Die Tendenz, den Juden die Schuld an Jesus Tod in die Schuhe zu schieben, basiert vor allem auf den Passionsgeschichten der Evangelien.
Historiker belegen: Jesu Exekution war ein Justizmord, ausgeführt allein durch die römische Staatsmacht. Pontius Pilatus stammte aus niederem römischem Adel. Römische Soldaten kreuzigten die Delinquenten. Die vier neutestamentlichen Evangelien sind der Auffassung, dass die jüdische Führung den Tod Christi verlangt hat. Indes lassen bereits Eigenart und geschichtlicher Kontext der Evangelien Skepsis aufkommen. Es zählt zu den unauslöschlichen Vermutungen dieser Welt, dass „das ganze Volk“ der Juden (Matthäus) die Verantwortung für das Todesurteil gegen Jesus übernommen hat, während der Richter Pilatus auf seine Unschuld pochte. Damit begründete das Christentum über Jahrhunderte seine Judenfeindschaft – mit mörderischen Folgen.
Doch die Vorstellung, die jüdischen Behörden oder gar die jüdische Bevölkerung hätten eine Zuständigkeit oder Mitverantwortung für die Verurteilung Jesu, ist historisch und rechtlich nicht haltbar. Zu Lebzeiten Jesu lag die Gerichtsbarkeit bei der römischen Besatzungsmacht. Nur Römer durften Todesurteile verhängen und ausführen. Wie Judas erscheint auch Pontius Pilatus als Werkzeug Gottes. Ohne die Römer gäbe es keinen Heilsplan. Außerdem wollte Jesus getötet werden, um die Menschen von Schuld zu erlösen. Diese Überzeugung ist ein Herzstück des Christentums.