Besorgniserregende Bilanz aus Rumänien
Angst geht um - Experte aus Traunstein: Interesse an Bären-Abwehrspray immer größer
„Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der erste Mensch zu Schaden kommt. Dann wird das Gejammere groß sein und der Schutz von Wolf und Bär wird bei uns infrage gestellt werden“ – ein Kommunalpolitiker aus dem südlichen Landkreis Traunstein, der nicht genannt werden will, fasst zusammen, was viele Naturfreunde und Bergwanderer derzeit bewegt: Sind wir in unseren Wäldern noch sicher? Müssen wir Angriffe von Wolf und Bär fürchten?
Traunstein - „Die Nachfrage nach Bären-Abwehrspray ist in letzter Zeit sprunghaft gestiegen“, berichtet Hans-Georg Schillinger, Inhaber des gleichnamigen Jagdwaffen-Spezialgeschäfts in Traunstein. Das zeigt, dass die Angst vor Wolf und Bär in der Region nach den letzten Berichten über die Sichtung solcher Tiere sowie deren Angriffe auf Weidevieh immer größer wird.
Bären-Abwehrspray?
„Das ist ein Pfefferspray, wie es mancher Spaziergänger auch zur Abwehr von aggressiven Hunden oder Frauen bei Partys in der Handtasche mit sich tragen, um sich vor aufdringlichen Männern zu schützen“, sagt Schillinger. Der Büchsenmachermeister, der selbst Jäger ist und es von Berufs wegen jährlich nicht nur mit hunderten, sondern eher mit tausenden von Jägerkollegen zu tun hat, weiß aufgrund seiner täglichen Kundenkontakte besser als die meisten, wie die Menschen über Wolf und Bär denken.
Das Abwehrspray ist eine XXL-Dose mit fast einem halben Liter Inhalt im Vergleich zu 15 Milliliter, welche im Döschen in der Frauenhandtasche liebestolle Freier oder schlecht erzogene Hunde bremsen sollen.
Davonlaufen ist zwecklos
Und der Druck in der Flasche ist natürlich deutlich größer. Bis zu sieben Meter reicht der Strahl des Sprays, was allerdings nur ein Wimpernschlag zwischen Rettung und Tod ist. Ein Bär in vollem Lauf sprintet locker mit Tempo 50, wenn er angreift. Der schnellste Hundert-Meter-Läufer aller Zeiten, Usain Bolt aus Jamaika, schaffte bei seinem Weltrekord (9,58 Sekunden) nicht einmal 38 km/h. „Wer ist so cool, den richtigen Moment abzuwarten, um auf den Sprayknopf zu drücken?“
Aber was gibt es an Alternativen, wenn man bei seiner Berg- oder Waldwanderung einem Bären begegnet? Politiker von Bündnis 90/ Die Grünen und Naturschützer weisen immer wieder auf einen Ratschlag von Verhaltensforschern hin: sich langsam rückwärts bewegen statt fluchtartig davonzurennen und so den Beutetrieb des Bären zu wecken. Wer vor lauter Angst und Panik dennoch davonläuft, kann sich das Ergebnis leicht ausrechnen, wenn er den obigen Vergleich zwischen Spitzentempo von Mensch und Bär analysiert. „Sich flach auf den Boden legen und tot stellen“.
Auch dieser Ratschlag wird immer wieder von Menschen erteilt, die sich gegen den Abschuss von Wolf und Bär aussprechen. Leider lässt der Ratschlag Hinweise vermissen, wie man sich verhalten soll, wenn der Bär sich anschickt, einem den ersten Arm abzubeißen. Das Problem der Konfrontation mit den großen Beutegreifern wird unweigerlich kommen, denn Wolf und Bär vermehren sich wie jedes andere Lebewesen auch.
Und dort, wo die Zahl der Individuen steigt, wird der Lebensraum knapp und die Tiere suchen sich einen neuen. Spätestens wenn dann der Konflikt mit dem Menschen ausbricht, wird man froh sein, dass es Jäger gibt, welche regulierend eingreifen. Das wird höchstwahrcheinlich schon bald in Norditalien und Kroatien so sein und dann auch in Österreich, der Schweiz und Deutschland.
Tierarzt Paul Schüller: Immer mehr Tote und Verletzte
In Rumänien zum Beispiel ist man längst soweit. Paul Schüller, ein gebürtiger Rumäne, der mehrere Jahre in Trostberg als Tierarzt gearbeitet hat, und der jetzt wieder in seinem Heimatland lebt, setzte die Redaktion dieser Tage über eine Statistik des Landwirtschaftsministeriums seines Heimatlandes in Kenntnis. Demnach sind seit 2021 bis heute in Rumänien 16 Menschen bei Angriffen von Bären ums Leben gekommen. 120 Personen mit schweren und schwersten Verletzungen durch Bärenangriffe sind in der Statistik ebenfalls erfasst.
Die Zahl ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, haben es die Rumänen gelernt, in friedlicher Co-Existenz mit Bären zu leben. Der sprunghafte Anstieg der Unfälle, so Paul Schüller, sei auch darauf zurückzuführen, dass immer mehr Städter aufs Land ziehen und bewährte Verhaltensregeln missachten.
Nebeneinander von Bär und Weidehaltung?
Die in der Region verantwortlichen Kommunalpolitiker haben eine weitgehend übereinstimmendeMeinung. So sagte zum Beispiel Traunsteins Landrat Siegi Walch erst vor gut einer Woche: „Wir nehmen den Nachweis eines Braunbären im Landkreis Traunstein sehr ernst. Klar ist: Ein Nebeneinander von großen Beutegreifern und Weidehaltung ist schlicht und ergreifend nicht möglich.“
„Vielleicht dauert es nur noch wenige Jahre, und die Menschen werden froh sein, dass es Jäger gibt, welche die großen Beutegreifer dezimieren.“ Davon ist ein heimischer Jäger überzeugt, der nicht mit Namen genannt werden will. Heute sei es noch so: „Wenn ich einen Bären oder Wolf schieße und fanatische Naturschützer wissen, dass ich es war, dann zünden sie mir das Haus an.“ Dass man sich mit dem Bären-Abwehrspray vor Angriffen schützen kann, ist ein Trost, wenn auch nur ein schwacher. Schafe und andere Weidetiere auf der Alm, die auch bei uns im Chiemgau vermutlich immer öfter Opfer der großen Beutegreifer sein werden, tragen nun einmal keine Dose mit Pfafferspray bei sich.
Opfer ist aber nicht nur das Tier, für das der Besitzer Schadenersatz bekommt, sondern der Bauer, der seine Zuchttiere über Generationen selektiert und ihre Qualität durch gezielte Zuchtauslese optimiert hat. Dass er zum Kilopreis für dieses Bären- bzw. Wolfsfutter abgespeist wird, muss jeder vernünftig denkende Mensch als zynisch und erniedrigend empfinden.
Klaus Oberkandler