Klimawandel: Wenn die Berge zu bröckeln beginnen
Nach Bergsturz in Galtür und Brienz: Droht dieses Schicksal auch Watzmann oder Kampenwand?
Ohrenbetäubender Lärm- eine gewaltige Lawine aus Schutt und Geröll – Am Sonntag (11. Juni) kollabierte in Galtür in Tirol ein ganzer Berggipfel. Das Fluchthorn gibt es jetzt nicht mehr. 100.000 Tonnen Gesteinsmaterial bahnten sich ihren Weg ins Tal. Ursache könnte der Klimawandel sein. Sind unsere Berge tickende Zeitbomben? Wir haben beim Wasserwirtschaftsamt Traunstein nachgefragt.
Traunstein – Rock ’n’ Roll im Gebirge: Wenn Felsen oder sogar ganze Berggipfel ins Rollen geraten, kann das katastrophale Auswirkungen haben. Bei dem Bergsturz in Galtür kam zum Glück kein Mensch zu Schaden. Auch in Brienz in der Schweiz wurde bereits im Mai ein ganzes Bergdorf evakuiert, weil die Südflanke des Berges Piz Linard ins Rutschen geraten war. Donnerstagnacht (15. Juni) war es so weit. Die Felsmassen stürzten in den Ort und verfehlten nur knapp die Dorfschule. Laut der Bergsturz Datenbank ELS-DAT (European Landslide Database) starben in Europa zwischen 1995 und 2015 mindestens 1.730 Menschen an den Folgen von Bergrutschen. Sind wir in den nördlichen Kalkalpen auch betroffen?
Jüngste Bergstürze – Folgen des Klimawandels?
„Da haben wir in Bayern das Glück, dass wir nicht so viele Bereiche haben. Vielleicht in den obersten Regionen der Berchtesgadener Alpen, aber da ist dann auch keine direkte Besiedlung.“ Bernhard Lederer, Leiter des Wasserwirtschaftsamtes Traunstein, erklärt, warum wir in den bayerischen Alpen von Großereignissen wie in Galtür weniger betroffen sind. Denn – Wissenschaftler vermuten hinter den jüngsten Bergsturzereignissen als Auslöser den Rückgang des sogenannten Permafrostes. Der tritt erst ab einer gewissen Höhe auf.
Kein relevantes Permafrost-Vorkommen in unserer Region
Laut Definition versteht man unter Permafrost einen Dauerfrost im Boden oder Gestein mit unterschiedlicher Mächtigkeit. Mindestens zwei Jahre muss der Untergrund Temperaturen unter dem Gefrierpunkt ausgesetzt sein, damit Permafrost entstehen kann. In unserer Region ist selbst auf den hohen Gipfeln, wie dem Watzmann, die Wahrscheinlichkeit einer großen Permafrostverbreitung gering.
Zwar können die Temperaturen ab 2.200 Metern Höhe kalt genug sein, um Permafrost entstehen zu lassen. Aber auch die Exposition der Berghänge spielt eine Rolle. Ist der Hang gen Süden gerichtet und der Sonne ausgesetzt, verschiebt sich die Permafrostgrenze entsprechend nach oben. Das tut sie aber mittlerweile auch im Zuge der globalen Klimaerwärmung – mit gefährlichen Folgen.
Bewegte Bergwelten - auch schon vor 10.000 Jahren
Der Permafrost hält die Bergspitzen wie eine Art Kleber zusammen. Taut der Permafrost durch Erwärmung, verlieren die Felsmassen ihren Halt und die Schwerkraft nimmt ihren Lauf. Es kommt zu Bergstürzen und Hangrutschungen, wie in Brienz oder Galtür. Neu ist das Phänomen der Bergstürze, ausgelöst durch den Rückgang des Permafrostes, nicht.
Vor ungefähr 10.000 Jahren, am Ende der letzten Eiszeit, kletterten die Temperaturen stetig an. Und auch damals kamen dadurch die Berge ins Rollen. Der berühmte Flims-Bergsturz in der Schweiz ist mit einem Volumen zwischen neun und zwölf Kubikkilometern freigesetztem Material das größte alpine Bergsturzereignis. Zeugnisse von gigantischen Bergstürzen können wir aber auch ganz in unserer Nähe finden. Der Hintersee und der Zauberwald bei Ramsau sollen auch durch einen Bergsturz entstanden sein. Auch hier vermuten Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen Gletscherschmelze, Permafrostrückgang und dem Kollaps des Berges.
Wenn die Erde bebt: Hangrutschungen in Italien und der Türkei
In anderen Regionen Europas können zudem Erdbeben Auslöser von Bergstürzen sein. Nach den schweren Beben in der Türkei im Februar zum Beispiel wurden unzählige Bergrutsche gemeldet. Auch Italien wird durch die Kollision der zwei tektonischen Platten, Afrika und Europa, immer wieder durchgerüttelt und Erdrutsche sind oft die Folge. Bayern hingegen liegt in einem tektonisch ruhigen Gebiet. Können wir uns also in Sicherheit wägen? Keine Erdbeben, kein Permafrost, kein Problem?
Felssturz, Steinschlag und Muren – die “kleinen Brüder“ vom Bergsturz – drohen auch bei uns
„Steinschlag und Steinschlaggefahr, da gibt es natürlich gewisse Bereiche. Es können Muren und Lawinen bei uns auftreten, wir haben die klassischen Wildbachgefahren.“ Und diese Gefahren seien nicht zu unterschätzen. Bernhard Lederer erinnert an die Zerstörung der Bob- und Rodelbahn am Königssee. Nach dem folgenschweren Unwetter vom Juli 2021 wurde sie durch den Abgang einer Mure verschüttet. Zurück blieb ein einziges Trümmerfeld – und Schaden in zweistelliger Millionenhöhe.
Die Häufigkeit von Naturkatastrophen wird zunehmen
Man müsse sich im Zusammenhang mit dem Klimawandel auch bei uns in der Region auf eine Zunahme von Naturgefahren einstellen, so Lederer. Es käme immer öfter zu extremen Wetterereignissen: Starkniederschlag, gefolgt von Dürre. Eine gefährliche Kombination: Der trockene Boden nimmt kein Wasser auf, die Wassermassen werden oberflächlich abgespült: „Das klassische Hochwasser, aber auch Muren, und auch die Gefahr von Lawinen könnte zunehmen. Denn auch da werden die Niederschläge heftiger in kürzerer Zeit. Es wird auch künftig schneien, der Schnee wird vielleicht nicht mehr so lange liegen bleiben, aber dafür in kürzerer Zeit viel herunterkommen.“
Bröckelige Angelegenheit: Beispiel Steinschlag im Zuge des Klimawandels
Laut Lederer ist noch keine signifikante Zunahme der verschiedenen Ereignisse in der Region dokumentiert. Am Beispiel von der Entstehung von vermehrtem Steinschlag wird aber deutlich: Es wird bröckliger in den Bergen. Wenn die Temperaturen zunehmen und auch im Winter öfter über dem Gefrierpunkt liegen, kann es durch einen sogenannten Frost-Tau-Wechsel gefährlich werden: Eis schmilzt, sickert in Felsspalten, friert dort wieder ein und sprengt die Felswände regelrecht auseinander. Felsstürze und Steinschlag sind die Folge.
Wie schützen wir uns vor der schlummernden Gefahr?
Und was können wir tun, um uns zu schützen? Bernhard Lederer rät zunächst dazu, sich gut zu informieren, bevor man in die Berge geht: „Das erste ist, sich informieren, wo Gefahrenbereiche sind. Da hat man im Internet die Möglichkeit, auf den Seiten des Bayerischen Landesamt für Umwelt, im Umweltatlas nachzuschauen.“ Außerdem wäre es schlau, bei einer bekannten Steinschlagrinne eben keine Sitzbank aufzustellen, so Lederer weiter, sondern lieber ein Schild, dass man hier schnell durchgehen sollte.
Baumaßnahmen gäbe es natürlich auch. Aber Bernhard Lederer gibt zu bedenken, dass diese sehr aufwendig und teuer seien: „Im Bereich Steinschlag gibt es zum Beispiel Steinschlagnetze, mit denen man den Steinschlag aufhält und die Straßen schützt. Die müssen aber nicht nur gebaut, sondern auch erhalten werden. Das ist dann Aufgabe des Betreibers des Weges oder der Straße.“ Frühwarnsysteme gäbe es vor allem im Bereich Hochwasser im Landkreis Traunstein. Bekannte Murenbahnen oder Hangleitungen würden aber auch überwacht werden. Zumindest die Gefahr eines gigantischen Bergsturzes wie in Tirol ist bei uns sehr unwahrscheinlich.