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Felsenfest war einmal

Bergsturz bei Galtür: „Jetzt ist alles weg. Das Kreuz, der Gipfel, die ganze Flanke“

Fluchthorn
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Bei einem massiven Bergsturz im Bundesland Tirol ist ein Alpengipfel samt Gipfelkreuz verschwunden.

Tausende Tonnen Gestein brachen am Sonntag (11. Juni) vom Fluchthorn ab. Grund dafür war tauender Permafrost. Solche Ereignisse werden aufgrund des Klimawandels häufiger. Und damit zur großen Gefahr für Alpinisten.

Von Benedikt Mair

Galtür/Innsbruck – Dort, wo heute nichts mehr ist, stand Michael Larcher noch im vergangenen Jahr. Während der Karwoche führte er eine Gruppe von Alpinisten zum Südgipfel des Fluchthorns, bestaunte das Kreuz, genoss den Ausblick ins darunterliegende Jamtal.

„Da kommt dann der Wunsch auf, dass die Berge immer so bleiben, wie sie sind“, meint Larcher, der beim Österreichischen Alpenverein (ÖAV) die Abteilung für Bergsport leitet. Die Realität sieht anders aus. „Denn jetzt ist alles weg. Das Kreuz, der Gipfel, die ganze Flanke.“ Und wenn er das sagt, klingt Wehmut mit.

Tausende Tonnen stürzen ins Tal

Am Sonntagnachmittag, kurz nach 15 Uhr, werden alle, die sich im zu Galtür gehörenden Hochtal im hinteren Paznaun aufhalten, von einem ohrenbetäubenden Lärm aufgeschreckt. Vom 3400 Meter hohen Fluchthorn im Silvrettagebiet brechen Tausende Tonnen Gestein ab, stürzen ins Tal. Ein Bergretter filmt mit.

Erst im Laufe des Montagvormittags, nachdem die Experten des Landes Tirol das Gebiet per Hubschrauber erkundeten hatten, wird das ganze Ausmaß deutlich. 100.000 Kubikmeter Material abgebrochen. Vermutlich weit mehr, wie viel genau, müssen erst weitere Messungen zeigen. Eine zwei Kilometer lange Mure. Wie durch ein Wunder gibt es keine Verletzten. Oder Schlimmeres.

„Es war in den vergangenen Jahren sicher das größte Ereignis dieser Art“, sagt Thomas Figl, Leiter der Landesgeologie. Ausgelöst habe es der auftauende Permafrost, festgestellt wurden in der Gegend freigelegte Eisflächen, weshalb weitere Abbrüche nicht ausgeschlossen werden können. Der Bereich rund um den Felssturz sei großräumig gesperrt worden, wie auch der Steig, der von der nahe gelegenen Jamtalhütte dorthin führt. Zusätzliche Maßnahmen oder allfällige Verlegungen von Wegen sind denkbar.

„Hinter solchen Bergstürzen steckt das Permafrostproblem“

„Hinter solchen Bergstürzen steckt das Permafrostproblem“, weiß Barbara Schneider-Muntau, Leiterin der Arbeitsgruppe für numerische und experimentelle Bodendynamik an der Uni Innsbruck. „Durch so genannte Frostsprengungen werden die Klüfte im Felsen vergrößert, das Gestein beschädigt, vom Eis aber zusammengehalten und stabilisiert. Taut das, weil die Temperaturen steigen, geht das Material ab“, sagt sie. Zu Ereignissen wie jenem in Galtür komme es derzeit noch eher selten. Durch den Klimawandel ändere sich das laut Schneider-Muntau. „Das wird uns vermehrt treffen. Allen voran im alpinen Gelände.“

Überall, wo wir hinschauen, wissen wir Bescheid. Fakt ist, dass derzeit vielerorts nicht hingeschaut wird.

Barbara Schneider-Muntau (Universität Innsbruck)

Aber wo passiert es als Nächstes? Kann das vorausgesagt werden? „Überall, wo wir hinschauen, wissen wir Bescheid“, sagt die Forscherin der Uni Innsbruck. „Fakt ist, dass derzeit vielerorts nicht hingeschaut wird.“ Das gelte speziell für das Hochgebirge und werde zum Risiko für jeden, der sich dort bewege. Schneider-Muntau glaubt, dass ein Land wie Tirol gut daran täte „flächendeckend und regelmäßig zu überwachen. Dann ließe sich der Zeitpunkt solcher Ereignisse auf Wochen oder Monate eingrenzen.“ Ob solche Maßnahmen ergriffen würden, sei aber letztendlich eine Kostenfrage.

So etwas zeigt, dass es am Berg eine höhere Macht gibt, die über den Ausgang einer Tour entscheidet.

Michael Larcher (ÖAV, Leiter Abteilung Bergsport)

Es ist um einiges gefährlicher geworden in den Bergen, meint auch Michael Larcher vom Österreichischen Alpenverein. Der Fels werde brüchiger, Starkregen könne Muren begünstigen. Die Zahl der Wegsperren, schätzt er, stieg in den vergangenen Jahren an. „Ich fürchte mich vor dem klassischen Steinschlag tatsächlich mehr als vor den großen, aber in der Gesamtheit seltenen Vorkommnissen.“

Bergsteiger müssen auf aktuelle Entwicklungen reagieren

Bergsteiger wären jedenfalls gut beraten, beim Planen ihrer Touren hellhörig zu sein, Naturgefahren mitzudenken und auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. „Ein Gefahrenzonenplan im Hochgebirge wäre aus Sicht von uns Alpinisten sicher wünschenswert“, meint er. „Der Aufwand, um einen solchen zu erstellen, steht aber vermutlich in keiner Relation zur doch recht geringen Zahl jener Menschen, die dort oben bedroht sind.“

Auch Landesgeologe Figl vermutet, dass Felsabbrüche und Bergstürze künftig häufiger auftreten. Er bezeichnet diese als eine „Naturgefahr, mit der wir leben müssen“. Von Kontrollen des gesamten hochalpinen Raums hält er wenig, dafür gebe es weder genug Personal, noch sei ein Konzept dafür entwickelt worden. „Das liegt derzeit einfach nicht in unserem Fokus“, sagt er. „Wir konzentrieren uns mehr auf den Dauersiedlungsraum, da gibt es genug zu tun.“

Vorfall bringt ins Grübeln

Wer Gipfel und Grate besteigt, durch Felsen klettert, sich dort bewegt, wo viele nicht hinkommen, habe immer schon mit gewissen Unsicherheiten rechnen müssen, sagt ÖAV-Experte Michael Larcher. „Alpinistinnen und Alpinisten suchen sich ja auch bewusst Gegenden aus, in denen aus genau diesem Grund wenig Menschen unterwegs sind.“ Ein Wagnis, das alle, die diesen Sport betreiben, aus freien Stücken eingingen. Der Abbruch von Zigtausenden Kubikmetern Gestein am Fluchthorn und die Tatsache, dass niemand zu Schaden kam, bringt ihn dennoch ins Grübeln. „So etwas zeigt wieder einmal, dass es am Berg eine höhere Macht gibt, die über den glücklichen Ausgang einer Tour entscheidet.“

Spektakuläre Fels- und Bergstürze der vergangenen Jahre

24.12.2017, Vals: Bis zu 50 Meter hoch wurde die Landesstraße in Vals von Geröll verschüttet. 120.000 Kubikmeter Material stürzten ins Tal. Mehrere Häuser wurden evakuiert. Wie durch ein Wunder gab es keine Verletzten.

23.08.2017, Bondo: Drei Millionen Kubikmeter Gestein brachen vom Piz Cengalo bei der Ortschaft Bondo in der Schweiz ab. Acht Bergsteiger werden verschüttet und sterben. Das Dorf im Tal wird teilweise zerstört.

22.03.2012, Telfs: Kurz vor Mitternacht brachen unterhalb der Alplkopf-Hochwand bis zu 800.000 Kubikmeter Fels ab. Eine kilometerlange Schotterschneelawine wälzte sich durch das Hochtal hinab. Siedlungsgebiet war nicht betroffen.

28.07.1987, Morignone: In der Lombardei in Italien zerstört ein gigantischer Bergsturz das Dorf Morignone. 53 Menschen sterben, 1500 wurden obdachlos. Die Ortschaft wird nach der Katastrophe nicht wieder aufgebaut.

0.07.1999, Schwaz: Gewaltige Felsstücke stürzten vom Eiblschrofen oberhalb von Schwaz ins Tal. 300 Menschen konnten ihre Häuser über Wochen nicht betreten. Der Berg ist heute immer noch in Bewegung.

03.10.1963, Longarone: Ein massiver Bergsturz lässt den Stausee oberhalb des Vajont-Tales in der italienischen Provinz Belluno über die Ufer treten. Die Stadt Longarone und mehrere Dörfer werden zerstört. Mehr als 1900 Menschen sterben.

Dieser Artikel wurde zur Verfügung gestellt von der Tiroler Tageszeitung.

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