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Erneuerbare Energie

Energiewende im Chiemgau: Zwischen Apokalypse, Desinformation und Pioniergeist

Symbolbild für die Energiewende, links Solaranlagen vor einem Windrad, rechts oben ein Hinweisschild ‚Hochspannung Lebensgefahr‘ und rechts unten das stillgelegte Atomkraftwerk Isar II bei Landshut.
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Auch wenn die Energiewende kaum Thema im Wahlkampf ist, wird sie von den Bürgern lokal oft heftig diskutiert. Was ist die richtige Lösung: Solarenergie (Symbol links) oder viuelleicht sogar die Rückkehr zur Atomenergie (Symbol rechts unten)?

Egal ob eine PV-Anlage in Übersee oder Windräder in Kammer, der Ausbau von erneuerbaren Energien im Chiemgau erregt schnell die Gemüter. Dabei werden einige Fakten zum Thema Energiewende vermischt. Eines ist sicher: Das Thema ist äußerst vielschichtig – ein Überblick.

Chiemgau – Sowohl in Übersee als auch in Kammer scheinen die Fronten zwischen Befürworterinnen und Gegnern von PV-Anlagen bzw. Windrädern verhärtet zu sein. Im Dezember sorgten Vorträge, die den Klimawandel leugnen, für Diskussionen. Die Energiewende ist ein Thema, bei dem viele eine deutliche Meinung haben. Das Thema ist komplex und viele Desinformationen sind im Umlauf.

Zur besseren Einordnung lohnt zunächst ein kurzer Blick auf die aktuellen Zahlen: Im Jahr 2024 erreichten erneuerbare Energien in der öffentlichen Nettostromerzeugung einen Rekordanteil von 62,7 Prozent. Während beim Ausbau der Photovoltaik die Ziele der Bundesregierung übertroffen wurden (13,3 Gigawatt bis November, geplant waren 13), hinkt der Ausbau der Windenergie zurück. Geplant waren 7 GW, bis November kamen nur 2,4 dazu. Dabei war das vergangene Jahr das erste ohne Stromerzeugung aus eigener Kernenergie.

Nachzulesen sind alle Zahlen und Daten auf der Webseite energy-charts.de. Die Seite wird vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg betrieben. In einer Bilanz-Meldung heißt es außerdem: „Durch den steigenden Anteil erneuerbarer Energien und den Rückgang der Kohleverstromung ist die Stromerzeugung so CO2-arm wie nie zuvor, seit 2014 haben sich die Emissionen aus der Stromerzeugung halbiert (von 312 auf ca. 152 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr).“  Der Börsenstrompreis lag 2024 bei 7,8 Cent pro Kilowattstunde und liegt nach dem Rekordjahr 2022 (23 Cent/kWh/Energiekrise nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine) sogar unter dem Preis von 2021 (9,34 Cent/kWh).

Unser Strom ist also so grün wie nie und scheint gleichzeitig günstiger zu werden. Für viel Wirbel haben Anfang Dezember Börsenstrompreise von bis zu 93,6 Cent/kWh. Grund dafür war eine sogenannte Dunkelflaute: Wenig Wind und kaum Sonne sorgten dafür, dass in Deutschland weniger Energie als sonst zur Verfügung standen. Das war ein Grund, weshalb viel Strom importiert wurde. Zur Wahrheit gehört auch, dass in dieser Zeit fast ein Drittel der verfügbaren fossilien Kraftwerke wegen teilweise auch kurzfristig aufgetretener Defekte nicht verfügbar waren. Ob das sogar beabsichtigt war, um den Strompreis in die Höhe zu treiben, untersucht zur Zeit das Bundeskartellamt.

Marian Rappl, Hauptgeschäftsführer des Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW), wurde von den Grünen in Prien, Angela Kind und Ulrich Steiner, zu einem Expertenvortrag eingeladen.

Anfang Februar lud der Priener Gründen-Ortsverein den Experten Marian Rappl, Hauptgeschäftsführer des Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW), ein, um mit ihm über den aktuellen Stand und Probleme der Energiewende zu sprechen. Für ihn sind netzdienliche Speicher (überschüssige Solarenergie wird gespeichert, schnelle Reaktion auf Schwankungen und dadurch aktive Verbesserung der Stabilität und Effizienz des Stromnetzes) das was fehlt. Um während der Dunkelflauten reagieren zu können, seien wasserstofffähige Gaskraftwerke praktisch. „Sie sind sehr schnell regelbar, Kohle ist dafür nicht gut geeignet: Es dauert, bis die Verstromung anläuft.“

Netz und Speicher ausbauen

Rappl sieht eine weitere zentrale Frage im Netzausbau: „Das müssen wir so schnell wie es geht hinbekommen. Wir wollen intensive Diskussionen mit der Politik führen, um dieses Thema zu beschleunigen. Denn nu,r wenn die Netze ausgebaut sind, können wir Strom aus erneuerbaren Energien auch zum Verbraucher bringen.“ Betreiber des Stromnetzes im Chiemgau ist größtenteils die Bayernwerk Netz GmbH, eine Tochter des E.ON-Konzerns. Bis 2026 sollen fünf Milliarden Euro in eine „moderne Netzinfrastruktur in unseren bayerischen Netzregionen“ gesteckt werden. Auch wenn die Erzeugung von Strom günstiger wird, durch den Netzausbau wird der Preis für Konsumenten sich eher nicht nach unten bewegen.

Einen netzdienlichen Speicher möchte Bayernwerk Netz Anfang dieses Jahres ausschreiben, er soll im Landkreis Cham gebaut werden. Diese Speicher können dann helfen, wenn mehr Strom, vor allem durch PV-Anlagen produziert wird, als benötigt wird. Das ist häufig an sonnigen Feiertagen, zum Beispiel Neujahr dieses Jahres, der Fall. Die AfD hatte Mitte Januar zu einer Veranstaltung in Bergen geladen. Auch hier ging es um die Energiewende. Als Experte war Stefan Spiegelsberger, Elektriker und YouTuber, eingeladen. Auch Spiegelsberger schimpfte wie die AfD über die Grünen und Habeck und schürte Ängste zu Stromausfällen.

Stefan Spiegelsberger hält bei einer AfD-Veranstaltung einen Vortrag.

Schon länger warnen Kritiker der Energiewende immer wieder von großflächigen Stromausfällen. Eingetreten sind sie nicht. Bayernwerk Netz schreibt auf OVB-Nachfrage für die Energiesicherheit im Chiemgau: „Weder aktuell noch in der Vergangenheit lag ein erkennbares Risiko für einen nicht kontrollierbaren Stromausfall vor.“ Außerdem zitiert der Versorger die Bundesnetzagentur: Vergangene Ausfallsituationen entstanden „grundsätzlich nicht aus einer zu geringen Versorgung, verantwortlich waren äußere Einwirkungen auf das Stromnetz selbst“. Erst vergangenen Dezember riet das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zur Vorsorge durch mögliche „Cyberangriffe auf IT-Infrastrukturen“.

Stromausfall durch zu viel Sonnenenergie?

Einen Punkt, den neben Spiegelsberger auch Rappl kritisch sieht, sind zu hohe Lasten im Stromnetz. Also die schon angesprochenen sonnigen Feiertage. Auch die beiden großen PV-Unternehmen enpal und 1Komma5° warnen davor, sehen die Politik in der Pflicht.

Redispatch

„Es ist technisch gesehen eine Maßnahme, bei der ein Netzengpass durch ein Stromüberangebot im Übertragungsnetz detektiert und durch gezielte Drosselung oder vollständiges Herunterfahren der Erzeugung ausgewählter Erzeuger die Stabilität des Stromnetzes aufrechterhalten wird.“ Stadtwerke Rosenheim

Die Bayernwerke Netz kennt das Problem ebenfalls: „Trotz einer Aufnahme von 99 Prozent des erzeugten EE-Stroms in 2023 stellen wir mit Redispatch sicher, dass die Einspeisung aus dezentralen Anlagen die vorhandenen Netzkapazitäten nicht überfordert.“ Gleichzeitig betont der Versorger, wie normal solch ein Vorgehen ist: „Steuernde Eingriffe sind in der Netzführung Normalität und nichts Außergewöhnliches. Das gehört zur Energiewende heute. Ohne die Möglichkeit, Anlagen zu regeln, könnte man deutlich weniger Erneuerbare zubauen.“

„Unser Netz ist inzwischen ein wetterabhängiges Großkraftwerk, das so lange geregelt werden muss, bis keine Netzengpässe mehr bestehen. Netzausbau bleibt auf Platz eins der Energiewende-Agenda.“

Bayernwerke Netz GmbH, Tochterunternehmen von E.ON

Als Alternative bringt Spiegelsberger bei der AfD-Veranstaltung genau wie die AfD, Markus Söder, Friedrich Merz sowie die FDP immer wieder Kernenergie in Spiel. VBEW-Geschäftsführer Rappl sagt deutlich: „Niemand aus der Energiewirtschaft wird Isar II wieder anschließen wollen.“ Also neue Kernkraftwerke bauen? Anfang Dezember sagte Jörg Michels, Kernkraftchef von EnBW, Anfang Dezember 2024 der Augsburger Allgemeine. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass das keine wirtschaftlich sinnvolle Lösung wäre. In Großbritannien wird das Atomkraftwerk ‚Hinkley Point C‘ mindestens sechs Jahre später als geplant Strom produzieren, Kosten für den Bau: 54 Milliarden Euro.

Neben diesem Mammut-Projekt auf der Insel, mit den Geldern übrigens 80 wasserstofffähige Gaskraftwerke gebaut werden könnten, in Deutschland würden 30 ausreichen, wird in Europa aktuell nur in Frankreich ein Atomkraftwerk gebaut. Seit 2006 haben sich die Kosten versiebenfacht und wird mindestens zwölf Jahre später fertig als geplant. Der staatliche Atomstromkonzern ist mit rund 65 Milliarden hoch verschuldet.

Energiewende: Viel Desinformation, Hauptquelle sind Soziale Medien

Beim Thema Energiewende ist auch viel Desinformation im Umlauf. Dr. Mario Buchinger, Physiker und Transformations-Experte, beschäftigt sich in seiner Freizeit viel mit dem Thema. Soziale Medien und das Internet seien die Hauptquellen für Desinformation, „soziale Medien schaffen Parallelwelten“, so der in Leutasch, Tirol, lebende Buchinger. Das laut Buchinger gefährliche an Desinformation: „Am Ende führt es immer dazu, dass die falschen Entscheidungen getroffen werden. Das ist für die Gesellschaft gefährlich, das ist für die Demokratie gefährlich, weil dadurch auch ganz maßgeblich Vertrauen zerstört wird.“

Möchte über Desinformation im Zusammenhang mit der Energiewende aufklären: Physiker Dr. Mario Buchinger.

Seine Tipps um im Alltag Desinformation zu erkennen: „Grundsätzlich immer kritisch auf eine Meldung schauen. Wenn etwas extrem überwältigend klingt, so richtig sensationsintensiv, dann ist Vorsicht geboten.“ Außerdem sei wichtig, dass die Informationsquelle nicht Telegram, Facebook und TikTok ist, die sozialen Medien haben nämlich „nicht den Anspruch, Menschen zu informieren, sie haben den Anspruch, Menschen abhängig zu machen und nichts anderes.“ Er sagt aber auch: „Grundsätzlich ist keiner davon gefeilt, auf falsche Informationen reinzufallen.“

Beispiele für Desinformation im Kontext der Energiewende

Windparks erzeugten Dürren, weil sie das Wetter beeinflussen
Buchinger: Das ist völlig frei erfunden. Windparks beeinflussen das Mikroklima in einem unmittelbaren Umfeld des Windparks, was eher zu einer Erhöhung von Regenmengen führen würde und nicht zu einer Abnahme.

Solaranlagen erzeugen thermische Aufwinde, die Wolkenbildung beeinträchtigen und Temperaturen ansteigen lassen
Buchinger: Hier kann es grundsätzlich aufgrund eines reduzierten Albedos (dunkle Flächen von PV) zu einer höheren Abstrahlung von Wärme kommen. Jedoch müssten das enorme Flächen sein. Wäre die Sahara mit 20 % von PV-Modulen bedeckt, entspräche das einer globalen Erwärmung von 0,16K. Diese Erwärmung wäre zwar nicht unerheblich, jedoch ist diese marginal verglichen mit der Erwärmung durch Emission von Treibhausgasen durch fossile Energieträger. Außerdem hat niemand vor, 20% der Sahara mit PV-Modulen zu bestücken.
Erneuerbare Energien sind nicht perfekt, die Konsequenzen fossilier Energien sind aber deutlich schwerwiegender.

Was für Buchinger in der Diskussion um die Energiewende zu kurz kommt: „Unsere wirtschaftliche Zukunft hängt da dran. Also wenn wir diese Transformation nicht schaffen, dann sind wir erledigt.“ Gleichzeitig möchte er das nicht so apokalyptisch darstellen, denn: „Unser Hirn mag keine Veränderungen, aber die Veränderungen, die gerade passieren, sind im Kern nicht schlecht. Wir können die Transformation schaffen, denn die Technologien dafür gibt es. Dann haben wir Wettbewerbsfähigkeit, ein gesünderes Lebensumfeld und eine bessere Gesellschaft. 

Die notwendige Veränderung ist kein Rückschritt, sondern ein Fortschritt. Aber sie wird als negativ gesehen, weil man sich an die Verschwendung und die Schäden der Vergangenheit gewöhnt hat. 

Dr. Mario Buchinger, Physiker und Transformation-Experte

Energiewende „made im Chiemgau“

„Im Moment stockt sie“, sagt Georg Beyschlag über die Energiewende im Chiemgau. Als Gründe nennt er die unklaren politischen Rahmenbedingungen. „Wir können keine gesicherten Finanzierungsmodelle aufstellen“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Bürgerenergie Chiemgau, einer Energiegenossenschaft aus Bernau. Von der Politik würde er sich mehr Zuverlässigkeit und mehr Sachverstand wünschen. „Und zwar auf allen Ebenen. Auch in den Gemeinderäten. Es ist sehr viel Halbwissen und Falschwissen unterwegs. Und es kostet sehr viel Überzeugungsarbeit, das auszuräumen“, sagt Beyschlag, der sich seit den Nullerjahren mit erneuerbaren Energien beschäftigt.

Er drängt vor allem zu schnellerem Handeln: „Dieses Abwarten auf bessere Zeiten, die mit Sicherheit nicht kommen werden, ist gefährlich. Wir bekommen keine besseren Zeiten.“ Zusammen mit Vorstand Felix Weiss möchte er mit der Energiegenossenschaft anpacken. „Man muss jetzt handeln, das ist das Allerwichtigste, sonst verlieren wir den Anschluss in Europa“. Beyschlags Hauptargument: Unabhängigkeit.

„Was mich schon immer unwahrscheinlich beunruhigt hat, ist, dass wir fast drei Viertel von unserer Energie importieren müssen. Und ich finde, das kann sich ein Industrieland wie Deutschland eigentlich überhaupt nicht leisten“, so der Grassauer. In einer Genossenschaft können sich viele engagieren, dazu ist es eine Form, wie es die Leute kennen. „So ist Bayern gerade in den ländlichen Regionen elektrifiziert worden. Um die Jahrhundertwende sind so Wasserräder gebaut worden und der Ort hatte Strom. Genau diesen Pioniergeist, den würde ich mir wieder ein bisschen zurückwünschen“, schließt Beyschlag.

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