Als Bub in Garching von Pfarrer missbraucht
„Es wurde mir zu viel“: Drogen-Rückfall nach Prozess um kirchlichen Missbrauch - Perr verurteilt
Als Bub wurde er in Garching an der Alz von einem Pfarrer missbraucht: Nach wie vor fordert Andreas Perr 300.000 Euro Schmerzensgeld vom Erzbistum - doch jetzt war er wieder vor Gericht, diesmal als Angeklagter. Die Fentanyl-Sucht hat Perr eingeholt. Der 41-Jährige hat ein hartes Urteil zu schlucken.
Traunstein/Garching/Burghausen - Für Andreas Perr ist die Sache klar: „Mein Trauma wurde nie aufgearbeitet. Drum kommt es immer wieder zu Rückfällen.“ Der inzwischen 41-Jährige, der wegen einer Schmerzensgeldklage gegen die katholische Kirche deutschlandweit bekannt wurde, stand am Mittwoch (23. April) als Angeklagter vor dem Traunsteiner Amtsgericht. Der Vorwurf: Zwischen März 2023 und März 2024 hat er sich bei verschiedensten Ärzten Rezepte für 645 Fentanyl-Pflaster erschlichen. Für die Krankenkasse summiert sich der Schaden auf 18.553 Euro.
„Alle sechs Stunden Fentanyl gespritzt“: Drei Jahre Haft für Perr
Perr ist in den Augen eines Gutachters schwer drogensüchtig. Die Pflaster hatte er sich nicht aufgeklebt, sondern sie aufgeschnitten, ausgekocht und sich das Fentanyl gespritzt. Der Stoff gilt als 50-mal stärker als Heroin. „Alle sechs Stunden hab‘ ich gespritzt“, so Andreas Perr vor Gericht. „Jemanden, der das nicht gewohnt ist, haut das sofort tot um“, befand ein Gerichtsmediziner. Und auch Richterin Barbara Dallmayer meinte: „Sie haben extrem Glück, dass sie heute noch hier sitzen.“ Trotzdem musste sie den 41-Jährigen verurteilen - zu Gefängnis, ohne Bewährung.
Drei Jahre Haft verhängte das Amtsgericht Traunstein wegen Drogenbesitzes, Erschleichen von Betäubungsmittel-Verschreibungen und Betrugs. Tatsächlich hatte Perr, der inzwischen in der Nähe von Burghausen lebt, ein Rezept für Fentanyl-Pflaster. Denn seit einem Sturz leidet er unter chronischen Schmerzen am Sprunggelenk. „Aber das Rezept galt eben nur für eine Arztpraxis und nicht für neun gleichzeitig“, so die Richterin. Vor allem in den Landkreisen Altötting, Traunstein und Mühldorf besorgte sich Perr illegalerweise die Pflaster. Sogar der Staatsanwalt war sich sicher: Er konsumierte nur selbst, dealte nicht mit den Pflastern.
Wegen Missbrauch durch Garchings Pfarrer in Sucht gerutscht
„Durch den Prozess gegen das Erzbistum München-Freising bin ich wieder rückfällig geworden“, sagt Perr: „Das wurde mir zu viel.“ Im Alter von zehn, elf Jahren wurde er 1994 vom Pfarrer in Garching an der Alz sexuell missbraucht, als Ministrant. Deshalb sei er später in die Rauschgiftsucht gerutscht. Schon mit 17 war Heroin Andreas Perrs „Hauptdroge“. Später, im Jahr 2012, entdeckte er Fentanyl - jener Stoff, mit dem die seit Jahren grassierende Opiod-Krise in den USA in Verbindung steht. 300.000 Euro Schmerzensgeld fordert Perr von der katholischen Kirche. Der Prozess am Landgericht ist noch immer nicht abgeschlossen.
Perrs Anwalt Andreas Schulz ging noch einen Schritt weiter: Die bayerische Justiz trage eine historische und moralische Verantwortung. Denn jener Pfarrer, der 1994 Andreas Perr missbrauchte, wurde schon acht Jahre zuvor in Ebersberg verurteilt, weil er sich als Geistlicher an Minderjährigen verging - aber nur zu Bewährung und einer Geldstrafe. Die Erlebnisse als Kind wertete das Traunsteiner Amtsgericht am Mittwoch als strafmildernd. Richterin Dallmayer sprach von einem „schweren Schicksal“, bei dem „alles zusammenkommt“. Aber frühere Fehler der bayerischen Justiz auszubügeln, dazu sei der Prozess nicht da.
Auch verschreibende Ärzte stehen in der Verantwortung
Ganze 15 Vorstrafen hat Andreas Perr in seinem Register - viele wegen seiner Drogensucht, die letzten beiden wieder wegen der Beschaffung von Fentanyl.. Konkret im jetzigen Fall wurde er im November 2024 beim Konsumieren am Münchner Hauptbahnhof erwischt. So kam die Sache ins Rollen. Auch wenn Perr immer wieder arbeitete und auch drogenfreie Jahre durchlebte: Alle Therapien blieben erfolglos, Bewährungen wurden nicht durchgestanden, immer neue Strafen kamen hinzu. Deshalb sprach sich das Gericht auch gegen die Einweisung in eine Entzugsanstalt aus: „Wir sehen da keine Erfolgschancen.“
Kritik wurde vor Gericht aber auch an den Ärzten laut. „Sie wussten, dass er suchtkrank war. Und trotzdem wurde es ihm verschrieben“, so beispielsweise der Staatsanwalt. Das sei keine Hilfe der Ärzte gewesen, sondern „schon nah am Tötungsdelikt“. Auch der Rechtsmediziner meinte: Die Mengen an Fentanyl, die dem Angeklagten verschrieben wurden, seien „exorbitant hoch“ gewesen - „das muss den Ärzten doch aufgefallen sein“. Perr selbst wäre eine stationäre Traumatherapie mit Substitution am liebsten. „Ich will mein Leben wieder in geordnete Bahnen bringen. Aber alleine werde ich es nicht schaffen.“ (xe)