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Wenn die Baby-Boomer alt werden

Wasserburgs Senioren-Referentin: „Größtes Risiko für die Pflege alter Menschen ist die AfD“

Friederike Kayser-Büker ist Seniorenreferentin in Wasserburg. Sie setzt sich ein für ein Altern in Würde.
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Friederike Kayser-Büker ist Seniorenreferentin in Wasserburg. Sie setzt sich ein für ein Altern in Würde.

Personalmangel, Aufnahme-Stopps, Kostenexplosionen: Bereits jetzt gilt die Altenpflege als überlastet. Dabei kommt die große Welle der Klienten erst: wenn die Baby-Boomer alt werden. Zu ihnen gehört auch Wasserburgs Seniorenreferentin Friederike Kayser-Büker. Ein Gespräch über das Altern in Würde und ein Unwort, das sie nicht mehr hören will.

Wasserburg − „Jetzt reicht das Angebot gerade so noch aus, doch wie wird es sein, wenn die Baby-Boomer pflegebedürftig werden?“ fragt sich Friederike Kayser-Büker. Seit 15 Jahren arbeitet sie in Wasserburg ehrenamtlich als Seniorenreferentin. Die 58-Jährige kennt die Versorgungslage deshalb gut. Auch die Pflegebedarfsplanung, fortgeschrieben 2022, zeige auf, dass der Landkreis Rosenheim gut aufgestellt sei, mit etwa 50 stationären und 32 ambulant tätigen Einrichtungen. Und trotzdem: Im 123 Seiten umfassenden Bericht ist auch von Schwierigkeiten die Rede: von Wartelisten, stark steigenden Zahlen von Hochbetagten mit viel Pflegebedarf, von „erheblichen Problemen, Pflegekräfte zu finden“, von nicht belegten Plätze, weil es schlichtweg am Personal fehlt.

Friederike Kayser-Büker.

Diese Situation wird sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen, ist Kayser-Büker überzeugt. Das liege an der demografischen Entwicklung. Die Baby-Boomer gehen in Rente und werden älter, es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie Hilfe benötigen. Die Familienstrukturen haben sich außerdem stark verändert, weiß die Seniorenreferentin von Wasserburg. Dass sich die Jüngeren um die Älteren kümmern würden, sei schlichtweg oft nicht mehr möglich. Den ungeschriebenen Generationenvertrag gebe es nicht mehr.

Wunsch: möglichst lange daheim leben

Da kann einem Vertreter der Bevölkerungsgruppe, deren Mitglieder in den 60er Jahren geboren wurden, angst und bange werden, gibt Kayser-Büker angesichts der bereits jetzt schon auftretenden Probleme offen zu. Bei ihren Gesprächen mit älteren Menschen in Wasserburg stellt sie immer wieder fest, dass sie vor allem einen Wunsch haben: möglichst lange daheim bleiben. „Bei diesem Thema sollten wir ehrlich bleiben und uns fragen, was wir selbst im Alter wollen. Vermutlich zu Hause in der vertrauten Wohnung leben.“ Es werde zwar ständig nach sogenannten Seniorenresidenzen gerufen, „doch wer will da wirklich rein?“ In der Realität sei das Heim für viele Menschen die letzte Station für den Fall, dass es wirklich nicht mehr anders gehe. Deshalb sinke die Aufenthaltsdauer in den Einrichtungen stetig weiter ab.

Die Referentin appelliert aus diesen Gründen dafür, schon in mittleren Jahren bei jeder Sanierung in der Wohnung oder beim Eigenheim an Maßnahmen für die Barrierefreiheit zu denken. Will heißen: kein neues Bad ohne bodengleiche Dusche, nennt sie als Beispiel. Für den barrierefreien Umbau gebe es viele Beratungsangebote und auch Fördergelder. Außerdem rät sie, sich intensiv um stabile Freundeskreise und Nachbarschaften zu bemühen. „Dann findet sich auch jemand, der in Krisen, in denen die Mobilität eingeschränkt ist, den Einkauf vorbeibringt.“

„Erschütternde“ Einsamkeit

Eine Pflegekraft aus dem osteuropäischen Raum, die daheim betreut, könnten sich jedoch nur wenige leisten. Die Renten seien oft nicht groß genug, vor allem bei Frauen. Die Lebensunterhaltungskosten würden steigen. „Viele müssen mit jedem Euro rechnen, da bleibt wenig Geld über für all diese Dinge, die den Alltag schöner machen“, bedauert Kayser-Büker. Sie berichtet von Betagten, die sich einen Theaterbesuch nicht mehr leisten können, von Senioren, die beim Lebensmitteleinkauf jeden Cent umdrehen würden oder nicht mehr mobil seien, weil sie kein Taxi bezahlen könnten. „Erschütternd“ findet sie außerdem die Einsamkeit vieler älterer Menschen. Vor allem, wenn sie verwitwet seien oder keine Angehörigen in der Nähe hätten, würden sie oft in die Isolation rutschen. Deshalb seien Angebote wie die Seniorennachmittage der AWO und des BRK in Wasserburg besonders wichtig. Ebenso wie der Fahrservice der Stadt, „den ich als echtes Geschenk empfinde“: Er ermögliche Senioren, rauszukommen aus ihren vier Wänden.

Den größten Anteil der sogenannten „Care-Arbeit“ für pflegebedürftige Menschen würden nach wie vor ambulante Dienste oder die Angehörigen übernehmen. Um sie zu entlasten, sei der Ausbau von Angeboten für die Tages- und Kurzzeitpflege dringend vonnöten. Auch bei den ambulanten Angeboten ist der Landkreis gut aufgestellt, findet sie. Es gebe viele Einrichtungen, die sehr professionell arbeiten würden, auch kurzfristig einsatzbereit seien und bis weit aufs Land hinausfahren würden. Doch auch sie hätten sehr zu kämpfen: mit steigenden Kosten etwa für den Sprit, mit ausufernder Bürokratie durch viele Dokumentationspflichten und extrem eng getakteten Zeitplänen.

Unwort „Überalterung“

Viele Mitarbeiter sind in den ambulanten und stationären Einrichtungen außerdem am Ende ihrer Kräfte, berichtet Kayser-Büker. „Kein Wunder“, sagt sie, „Nachtdienste, die Notwendigkeit, einzuspringen, wenn Kollegen erkrankt sind, ein typisches Phänomen in der Altenpflege, das oft ein Kündigungsgrund ist.“ Sie verweist zudem auf die Tatsache, dass viele Fachkräfte in der ambulanten und stationären Pflege aus der Boomer-Generation stammen und bald in den Ruhestand gehen. Deshalb ist die Pflege nach ihrer Überzeugung nicht ohne Personal aus dem Ausland zu stemmen. Es übernehme bereits über 30 Prozent der Aufgaben in der Altenpflege, berichtet sie. „Das größte Risiko für die Versorgung alter Menschen ist deshalb die AfD“, betont Kayser-Büker mit Blick auf die bekannt gewordenen „Remigrationspläne“ aus rechtsextremen Kreisen.

Ein weiteres Unwort, bei dem Kayser-Büker richtig sauer werden kann: „Überalterung“ der Gesellschaft. „Dieser Begriff spricht uns jetzt schon ab, dass wir einmal in Würde altern können“, sagt sie. Und erhebt noch einmal für die Baby-Boomer die Stimme: Sie hätten alle viel gearbeitet in den vergangenen Jahrzehnten, Kinder groß gezogen, noch erlebt, was es heiße, um eine Lehrstelle oder einen Studien- und Arbeitsplatz kämpfen zu müssen. „Wir waren immer zu viele, wir haben gelernt, mit dem Mangel umzugehen.“ Auch diese Generation habe es verdient, Unterstützung zu bekommen, wenn die Selbstfürsorge nicht mehr ausreiche.

„Wir müssen ins Tun kommen“

Kayser-Büker fordert, dass die Seniorenarbeit nicht länger vor allem in erster Linie dem Ehrenamt überlassen werden dürfe. Die Politik neige dazu, dies wegzuschieben und zu delegieren, etwa in Richtung der Seniorenbeauftragten. Im Fokus ständen neue Kitas, nicht neue Seniorenheime. Die Frage, ob eine Kommune ausreichend Pflegeplätze für Ältere habe, werde oft weggedrückt. „Dabei steht jetzt schon fest: Das, was da ist, reicht auf Dauer nicht aus.“ Die Referentin fordert: „Wir müssen ins Tun kommen.“ Alles, was gebaut werde, müsse barrierefrei ausgelegt sein. Schaffe eine Kommune neue öffentliche Räumlichkeiten, müsse sie darüber nachdenken, ob hier nicht auch zu günstigen Konditionen Ansiedlungsmöglichkeiten für Pflegedienste geschaffen werden könnten. „Das ist genauso wichtig wie ein neues Feuerwehrhaus.“

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