Wasserburgerin zu Gast bei Schlager-Ikone
Katja Ebstein: „Glück kann man nicht dehnen“ – Über ein Künstlerinnen-Leben mit Herz und Haltung
Katja Ebstein ist eine Ikone des Schlagers. Und eine Persönlichkeit, die als Star nicht in Schubladen gesteckt werden kann. Wasserburgs Bestseller-Autorin, die Schauspielerin Marie Theres Relin, ist mit der Musikerin befreundet. Ein Gespräch über Glück, ein Leben als „radikaler Demokratin“, Lieblingsorte – und die Männer.
Wasserburg – „Mit Katja Ebstein ein Interview zu führen, ist eine Herausforderung. „Die Frau, die weit reist im Kopf“, wurde sie einmal von einem kanadischen Ureinwohner betitelt. Das wäre auch in einem Satz die Zusammenfassung ihres Buches. Auf 250 Seiten beschreibt sie in „Das ganze Leben ist Begegnung“ eindrucksvoll Zeitgeschichte und sich selbst. Eine Künstlerin mit Herz und Haltung. „Alt ist man nur, wenn man glaubt, nicht mehr kämpfen zu können“, sagt sie aus Überzeugung. Katja ist jung, neugierig und direkt geblieben. „Du musst tiefer sprechen, Mariechen, dann nimmt man dich ernst“, meinte sie auffordernd zu mir, als ich sie besuche. Eine Herzensfreundin, die einfach erscheint, wenn man sie braucht, beispielsweise bei meiner allerersten Region18-Retro für Hannelore Elsner.
Nun stehe ich mit einer Überraschung vor Katja Ebsteins Tür: Eine Geburtstagstorte – über Nacht gebacken von der Wassserburgerin Christine Deliano – zu Ehren von Katjas verstorbenen Mannes Klaus Überall, der im vergangenen Jahr 100 geworden wäre. „Ich hab den Geburtstag natürlich fast vergessen“, sagt sie später sichtlich berührt zu ihrer Schwester am Telefon „und dann kommt so eine kleene Torte raus, mit Klaus 100. und einer Rose drauf.“
Katja Ebstein: seit 55 Jahren als Sängerin und Schauspielerin auf der Bühne
Trotz zwanzig Jahren Altersunterschied, haben wir zwei einige Parallelen. Natürlich nicht in puncto Karriere. Katja Ebstein steht seit 55 Jahren als Sängerin und Schauspielerin auf der Bühne und veröffentlichte mehr als 30 Alben. Sie ist ein Weltstar, ohne je als Star gewirkt zu haben. Nie hat sie Noten gelernt, berichtet sie. „Aber ich konnte immer richtig singen, traf immer den Ton.“ Ein absolutes Gehör hat sie auch in Sprachen. „Wunder gibt es immer wieder“ sang sie sogar auf Japanisch. Neben den Gesangssprachen Spanisch und Italienisch findet sie fürs Singen Brasilianisch „einfach genial“. „Diese ganze nasale Kiste, da musst du nicht prononcieren, das schleimt dir im Mund herum und kommt richtig raus.“ Die deutsche Sprache ist für sie aber die reichste.
Im Gespräch kommen wir vom Hundertsten ins Tausende, eine Reise im Kopf eben. Natürlich geht es auch um Männer. „Dieses „Testosteron-geplagt-sein“, wenn das in einem gesunden Körper steckt – das ist ’ne richtige Hypothek! Wie kämpft man mit der Moral dagegen an?“, sagt Katja. Darüber hatte ich noch nie nachgedacht. „Das Verstehen ist ja auch ein Prozess, dass du über dem stehst, was die Natur dir eigentlich eingegeben hat.“
Katja Ebstein: „Ich bin eine radikale Demokratin“
Katja hinterfragt alles und hat ein politisches Bewusstsein. „Zuerst bin ich Bürger, dann kommt mein Beruf. Denn ich trage eine Mitverantwortung, gleichgültig darf man nicht sein. Ich bin eine radikale Demokratin und mein Wunsch ist es, dass die Jugend wieder politischer wird. Das wäre ein Hoffnungsschimmer am Himmel der Gleichgültigkeit!“
Katja Ebstein war immer politisch aktiv. Von der Studentenbewegung der 1960er Jahre über 1972 den Wahlkampf Willy Brandts bis zur Friedensbewegung. „Ich wäre nie in die Politik gegangen, weil die Leute um Kopf und Kragen gebracht werden“, so ihr Resümee „Als Idealträger hast du keine Chance gegen diese ganzen Polit-Köppe, die nur die Macht sehen. Ziel wäre es, die Umstände zu verbessern.“ Katja Ebstein findet gut, was Bundeskanzler Scholz macht. „Alle hauen auf diesem kahlen Kopf herum. Er aber nimmt seinen Kanzler-Vertrag ernst und versucht Schaden vom deutschen Volk abzuhalten. Er will Putin keinen Grund geben und denkt auch an die 20 Millionen Russen vom letzten Krieg, da kann man als Deutscher nicht einfach so mit einer Rakete wieder hineinschießen.“ Und ihr Aufruf gilt allen Parteien: „Frieden - und kein Krieg in Deutschland.“
Katja Ebstein: Flüchtlingskind aus Niederschlesien
Der Krieg hat in ihrem Leben Spuren hinterlassen. Als vertriebenes Flüchtlingskind aus Niederschlesien, heute Polen, wuchs sie in Armut auf. Vier Erwachsene und zwei Kinder teilten sich eine Zwei-Zimmer Wohnung in Berlin, der Vater wurde durch Kriegsschädigung berufsunfähig. Dennoch war ihr die Familie „eine nie versiegende Quell aus Wärme und Liebe“.
„Berlin ist für mich wie Haut“, bezeichnet Katja ihre Stadt. „Wir waren eine Insel im roten Meer, alles rundherum war DDR und ohne Mauer waren es nur Grenzen. Aber auf die Mauer waren wir ziemlich sauer, das wollten wir nicht. Der Berliner kann sich nicht einmauern lassen. Eine Zumutung, ein Inseldasein. Aber Berlin, kann mir keiner schlecht reden. Det is mein Zuhause.“
Insel Amrum als geschützter Raum
Unter die Haut „kroch“ ihr die Insel Amrum, wo sie ein Haus hat und lebt, wenn sie nicht bei München wohnt. „Da bin ich weg von allem und zusammengestutzt aufs Normalmaß menschlicher Existenz. Die Insel, ein geschützter Raum.“ Schon als Kind wurde sie zur Erholung auf die Insel geschickt. „Ich sah aus wie ein Hungerhaken, weil ich nach den vielen Impfungen nicht mehr essen konnte“, erzählt sie. „Meine zweite Schwester ist an Diphtherie gestorben. Es gab keine Mittel, die Kleine ist auf dem Arm meiner Eltern erstickt. Als Nachkömmling sollte ich es besser haben und wurde gegen alles geimpft. Bis zum dritten Lebensjahr hatte ich noch Pausbacken und dann sah ich aus wie eine Lungenkranke. Mit den Impfungen entwickelte ich die Krankheiten, auch als Erwachsene“, ist sie überzeugt.
Katja stieg auf alternative Heilungsmethoden um, darunter auch die Urin-Therapie. „Was bei Halsschmerzen hilft, ist, mit deinem eigenen Urin zu gurgeln. Das haben die Soldaten im Krieg gemacht. Auch Wunden können damit desinfiziert werden.“ Ich verziehe das Gesicht. „Das wird unter „I und bäh“ abgetan, „das ist doch ekelig!“ Nein, ist es nicht, denn dann ekelst du dich ja vor deinem eigenen Körper.“
Warum Wale für Katja Ebstein so wichtig sind
Mein Blick fällt auf eine Autogrammkarte und ich wechsle das Thema. „Ich konnte nicht leiden, wie ich aussah, wenn mich jemand fotografiert hat“, sagt Katja, „Aber ich hatte einen super Fotografen von Anfang an. Er setzte meine anfängliche Langweiligkeit, Verklemmtheit und Aversion in Szene. Ich wurde „geadelt“ und plötzlich hab ich gedacht: „Och, sieht ja gar nicht so schlecht aus.“
Ich springe in meinem Gedanken und frage sie nach dem Wal, den sie in ihrem Buch beschreibt. „Wale, das sind Tiere, die haben das Archaische dieses Planeten inhaliert und sich immer weiterentwickelt. Ich bin zu hundert Prozent überzeugt, dass es denkende Wesen sind und dass diese großen Tiere für sich Entscheidungen treffen können. Blauwale sieht man nirgendwo, die haben sich ein Refugium gesucht, wo man sie nicht mehr jagen kann. Auch ein Grauwal, fast 30 Meter lang, der ist wie ein dreistöckiges Haus, wenn du ihn senkrecht stellst. Was das für ein Wesen sein muss! Für mich sind das Phänomene. Der Wal ist übrigens mein schamanisches Krafttier.“
„Glück kann man nicht dehnen und auch nicht festhalten“
Ein Glücksmoment! „Glück“, sagt sie „das ist der Moment, dann ist er wieder vorbei. Glück spricht sich kurz“. Katja formt ihren Mund spitz und wiederholt, „Glück – kann man nicht dehnen und auch nicht festhalten. Aber man kann es nachhallen lassen und es im Bewusstsein leben. Das ist ein Faszinosum, dass der Mensch in der Lage ist, etwas in sich weiterzubewegen. Stell dir mal vor, wenn wir keine Vorstellungskraft hätten? Das wäre furchtbar! Die Imagination hilft, Momentaufnahmen zu bewahren. Bis zum nächsten Mal oder auch nicht. Und das finde ich sehr tröstlich“, sagt sie.“

