Bei Expertentreffen in Region Rosenheim
Blockabfertigung bald jeden Tag? Verkehrsminister Bernreiter warnt vor Dauer-Chaos
Der Transitverkehr zwischen Deutschland und Italien belastet das Inntal an manchen Tagen aufs Äußerste. Besserung ist nicht in Sicht. Derweil sehen Experten die Gefahr des Verkehrskollaps. Besonders eindringlich mahnt Bayerns Verkehrsminister Bernreiter beim Expertentreffen in Aschau.
Aschau – Die Kulisse für den Empfang des bayerischen Verkehrsministers Christian Bernreiter (CSU) anlässlich des Logistik-Symposiums des LKZ Prien in Hohenaschau brachte auch Besucher aus Österreich und Italien ins Schwärmen. Im Rücken die stattliche Festhalle von Hohenaschau, vor Augen der steilragende bewaldete Bergzug mit dem Schloss als Krone. Und dahinter konnte man das Priental erahnen, diese idyllische Verbindung von Bayern nach Tirol. Meist so ruhig und lieblich, dass man eigentlich gar mehr an den Brenner und seine Blechlawinen denken mag.
Doch eben der Brenner spielte trotz vieler anderer Themen, die die Branche umtreiben (Fachkräftemangel!) eine zentrale Rolle in vielen Gesprächen. Es ist dort kaum mehr auszuhalten, bei 14 Millionen Autos und zweieinhalb Millionen Lkw, die sich derzeit pro Jahr über Europas wichtigste Passstraße mühen.
Bayerns Sorge: Tirol macht dicht
Es könnte noch schlimmer werden, nicht nur fürs Wipptal, sondern auch für die Menschen im Inntal. Staus könnten zum Dauerzustand werden. Die entscheidende Frage: Können sich Italien, Deutschland und Österreich im Streit um den Transit und die „Dosierungsmaßnahmen“ der Tiroler einigen? Über 40 Termine haben die Tiroler allein für das Jahr 2024 eingetragen. Doch es drohen erheblich mehr Blockade-Tage. „Wir müssen eine Lösung finden“, sagte Christian Bernreiter. „Sonst droht eine Dauerblockabfertigung.“
Marode Infrastruktur: Überall Sanierungsmaßnahmen
Ein Grund für die pessimistische Prophezeiung: Die Bahn wird sich vorübergehend abmelden und viele Menschen in der Region Rosenheim absehbar ins Auto zwingen. Denn für 2027 plant die Bahn eine Sanierung der Verbindung zwischen München und Salzburg. Für lange Monate wären die Gleise dann unterbrochen.
Ein weiterer, in naher Zukunft liegender Grund ist der wachsende Umfang des Güter-Transits über den Brenner und vor allem der Zustand von Straßen und Brücken. Vor kurzem erst hat die österreichische Autobahngesellschaft Asfinag eine Prüfung abgeschlossen. Sie galt dem Zustand der Luegbrücke, jenem schwer in die Jahre gekommenen Bauwerk kurz vor der Brenner-Passhöhe. Die Ergebnisse werden aktuell ausgewertet, im Sommer könne man dann mitteilen, welche Maßnahmen erforderlich seien, teilte Asfinag-Sprecher Alexander Hochedl auf Anfragen des OVB mit.
Es droht die Totalsperre vorm Brenner-Pass
Für die Brücke gilt höchste Eisenbahn, so viel ist sicher. Sie ist so alt, dass schon vor zwei Jahren viel Stahl verbaut wurde, um den Verkehr „gegen das Versagen einzelner Bauteile“ abzusichern. Die Sanierung drängt also, kam aber bislang nicht in die Gänge. Auch weil der Bürgermeister von Gries am Brenner mit seiner „Blockadehaltung“ den Beginn hinausgezögert habe, wie es seitens der Asfinag heißt.
Man strebe aber einen Beginn 2025 an. Eine Spur in jede Richtung wolle man offenhalten. Außerdem will die Asfinag nach eigenen Worten versuchen, zu bestimmten Zeiten den Verkehr so um die Baustellen herumzuführen, dass jeweils sogar zwei Spuren verwendet werden könnten. Es könne aber auch der Blackout drohen, warnt der Autobahnbetreiber Richtung Grieser Bürgermeister: Weitere Verzögerungen der Wiederrichtung führen unter Umständen zur „Totalsperre mit noch größerem Einfluss auf den europäischen Nord-Süd-Verkehr“.
Blockabfertigung: Ein Streit ohne Ende
Eine Lösung im Dauerstreit um die Blockabfertigung ist bis dahin nicht zu erwarten. Sie sei keine Schikane – „keine böse Aktion gegen Bayern“ – beteuerte Tirols Verkehrspolitiker Zumtobel. Sie sei vielmehr eine Art Notwehr, erfunden, als Tirol durch Staus von bis zu 140 Kilometer Länge der Infarkt drohte. „Es kamen keine Feuerwehr- und Rettungswagen mehr durch“, sagte Zumtobel in Aschau. Er ließ aber auch keinen Zweifel, dass Tirol nicht ohne weiteres von der „Dosierung“ lassen werde. Auch Bernreiters Forderung nach einer Aufweichung des Nachtfahrverbots kam Zumtobel nicht weiter entgegen.
Was taugt das Slot-System?
Bleibt das „Slot-System“, das Ministerpräsident Markus Söder, Christian Bernreiter und ihre Kollegen aus Tirol und Südtirol vor einem Jahr ausgerufen haben. Es könnte nach Ansicht der Politiker den Verkehr besser verteilen und somit das Drosseln des Lkw-Stroms von Tiroler Seite überflüssig machen.
Die Transportunternehmer und Logistiker haben sie damit nicht überzeugt. „Ein Bürokratiemonster“ bemängelte Georg Dettendorfer von der Spedition Johann Dettendorfer gegenüber dem OVB-Reporter. „Das Slot-System ist eine Dosierung, die aufs ganze Jahr ausgedehnt wird“, kritisierte Sabine Lehmann vom Landesverband bayerischer Spediteure während der Podiumsdiskussion beim Empfang. Um Verständnis bat hingegen Südtirols Verkehrslandesrat Daniel Alfreider. Man solle ein System der Zeitfenster doch als Schritt ansehen und „nicht gleich als fertige Lösung“.
Eine Umsetzung ist so schnell nicht zu erwarten
Eine Umsetzung liegt ohnehin in weiter Ferne. Ausgedacht haben sich das System Bayern, Tirol und Südtirol. Doch für die Umsetzung bedarf es der Unterstützung aus Berlin, Wien und Rom. Allerdings: Weder in Italien, noch in Österreich oder Deutschland scheint sich die Politik besonders für die Slot-Lösung zu interessieren. Italiens Außenminister Salvini klagt lieber gleich gegen Österreich. Und die Bilderbuch-Ansichten aus Aschau und Co. können so verführerisch sein wie sie wollen – einen Bundesverkehrsminister Wissing haben sie jedenfalls noch nicht in die Region Rosenheim gelockt.
