Eltern reagieren auf Entwicklung
Nach Streichung einer Klasse in Fürstätt: Warum sich jetzt sogar die Regierung einschaltet
Es ist eine Wendung, mit der wohl kaum jemand gerechnet hat: Nur wenige Tage nachdem an der Grundschule Fürstätt eine komplette erste Klasse gestrichen werden musste, hat sich jetzt die Regierung eingeschaltet. Was das für die Schüler bedeutet – und warum trotzdem nicht alle Eltern glücklich sind.
Rosenheim – Das Unverständnis ist groß. Auch Tage danach. „Wir können immer noch nicht nachvollziehen, warum diese Entscheidung getroffen wurde“, sagt Benedikt Jancso, Vorsitzender des Elternbeirats. Am Dienstag, 12. September, wurden die Kinder in vier Klassen eingeschult. Einen Tag später wurde den Eltern mitgeteilt, dass eine komplette Klasse gestrichen werden soll.
76 statt 86 Schüler wurden eingeschult
„Aufgrund falsch vorliegender Anmeldezahlen wurde fälschlicherweise zunächst davon ausgegangen, dass nach den allgemeinen Klassenbildungsrichtlinien vier und nicht drei Klassen zu bilden sind“, teilt eine Sprecherin des Kultusministeriums auf OVB-Anfrage mit. So sei ursprünglich mit 86 Schülern und vier Klassen geplant worden. Weil am ersten Schultag lediglich 76 Kinder eingeschult wurden, fiel eine Klasse weg. Denn die Bildung einer vierten Klasse ist erst ab 85 Schülern möglich.
„Wegen der geänderten Schülerzahl werden in Jahrgangsstufe 1 der betreffenden Schule nun insgesamt ganz regulär drei Klassen mit jeweils 26 Schülerinnen und Schülern eingerichtet“, ergänzt die Ministeriumssprecherin. Was auf dem Papier logisch klingt, hat bei den Mitglieder des Elternbeirats für Kopfschütteln gesorgt. „Der Schock sitzt bei einigen immer noch tief“, sagt Benedikt Jancso.
Schule befindet sich in Einzugsgebiet
Aus diesem Grund wendeten sich die Eltern mit gleich mehreren Schreiben an das Kultusministerium. Sie kritisierten die Entscheidung, baten darum, dass die ursprüngliche Aufteilung beibehalten wird. Denn die Schule befinde sich nicht nur in einem Einzugsgebiet, was bedeute, dass im Laufe des Schuljahrs immer wieder neue Schüler hinzukommen. Auch der Migrationshintergrund in der ersten Jahrgangsstufe liege bei über 50 Prozent. In solchen Fällen gibt es die Vorgabe, dass die Schülerzahl auf 25 begrenzt werden soll. Doch genau dieses Detail scheint an der Grundschule in Fürstätt keine Beachtung zu finden. Jedenfalls wenn man bei den Eltern nachfragt.
Etwas anders äußert sich die Sprecherin des Ministeriums. So werde der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund durchaus gewürdigt. „Die Schule erhält im kommenden Schuljahr für die Jahrgangsstufe 1 sechs zusätzliche Unterrichtsstunden, um zeitweise Teilungen und Differenzierungsmaßnahmen zu ermöglichen“, erklärt sie. Des Weiteren stehen sechs weitere Lehrerwochenstunden für die drei Klassen für Sprachförderangebote zur Verfügung. Auch stehe der Schule – neben der Förderlehrkraft und der Drittkraft für Sprachförderung – eine weitere Fachkraft zur Verfügung.
Unterstützung von März und Artmann
Und damit nicht genug. Sowohl Oberbürgermeister Andreas März (CSU) als auch dessen Stellvertreter Daniel Artmann (CSU) nahmen sich dem Thema an und versuchten, eine Verbesserung zu erzielen. Mit Erfolg. So gab Staatsminister Dr. Florian Herrmann jetzt in einem Schreiben bekannt, dass es zusätzlich zu den zwölf Wochenstunden gelungen sei, für jede erste Klasse eine weitere Wochenstunde zur Sprachförderung bereitzustellen. Voraussetzung hierfür ist, dass sich Personal findet und der Förderbedarf in den Klassen gegeben ist. Auch konnte über das Programm „Gemeinsam Brücken bauen“ zum Abbau von pandemiebedingten Defiziten eine zusätzliche Fachkraft mit fünf Wochenstunden gefunden werden, die die Jahrgangsstufe 1 zusätzlich unterstützen soll.
„Sprache ist das A und O, der Schlüssel zu Integration. Damit die gelingen kann, braucht es mehr individuelle Förderung und direkte Ansprache – zumal in größeren Klassenverbänden“, sagte Oberbürgermeister Andreas März. Wertvoll seien in diesem Zusammenhang die weitere Wochenstunde zur Sprachförderung sowie die zusätzlichen fünf Fachkraft-Wochenstunden für die erste Jahrgangsstufe.
Probleme nach wie vor vorhanden
„Wir freuen uns sehr, dass sich Andreas März und Daniel Artmann für uns einsetzen. Wir können die Unterstützung gut gebrauchen“, sagt Benedikt Jancso. Trotzdem würden die zusätzlichen Angebote einen „guten Teil der erwarteten Herausforderungen“ nicht lösen.
„Gift für Integration und Bildung“
„Es ist eine Tatsache, dass der Wegfall einer Vollzeitlehrerin nicht durch Extrastunden ersetzt werden kann“, heißt es vonseiten des Elternbeirats. Große Klassen mit einem hohen Migrationsanteil seien nicht förderlich für Integration und Bildung, sowie die Lehrerschaft. Durch die Auflösung einer Klasse habe man die Chance verpasst, den Anforderungen der Kinder und der Lehrer gerecht zu werden. „Die Qualität der Bildung und der individuellen Betreuung der Schüler sollten immer im Vordergrund stehen“, so die Mitglieder des Elternbeirats und weiter: „Wenn Lehrer bereits am Limit arbeiten, werden die Bedürfnisse der Schüler vernachlässigt.“
Schulleiter Kai Hunklinger sieht nicht nur die Lehrer an der Belastungsgrenze, sondern auch die Schüler. „Kinder weisen nach meinen Beobachtungen durch alle Jahrgangsstufen immer weniger Sozialkompetenz, Grunddisziplin, Wortschatz, Frustrationstoleranz sowie Leistungsbereitschaft auf“, sagt er auf OVB-Anfrage. Auch würde kaum noch jemand zu seinem Fehlverhalten stehen.
Konflikte zwischen Lehrern und Eltern
Hinzu kommt, dass einige Eltern den Wunsch haben, dass sich die Schule nach dem Kind richtet – und nicht umgekehrt. „Das macht den pädagogisch-erzieherischen Anteil der Lehrer nicht nur größer, sondern führt auch vermehrt zu Konflikten, da Lehrkräfte und Eltern zunehmend uneins über Erziehungsmethoden und –ziele sind“, erklärt Hunklinger. Da der Anteil der Wissensvermittlung gleichgeblieben, der erzieherische Anteil jedoch stark gestiegen ist, ergebe sich logischerweise eine Mehrbelastung für die Lehrer.
Schulleiter präferiert kleine Klassen
Den Schülern geht es ihm zufolge ähnlich. „Sie sind täglich den Energien ausgesetzt, welche in den Klassen herrschen“, sagt der Schulleiter. So sei es in einer „ausgeglichenen und disziplinierten Klasse mit sozialverträglich agierenden Kindern“ eigentlich kein Problem, das auch 30 Kinder miteinander lernen. Doch genau das sei nicht mehr durchgängig der Fall. Aus diesem Grund wären auch ihm – trotz aller Zusatzstunden – kleine Klassen „wesentlich lieber“.
Zumindest für dieses Schuljahr scheinen sich Eltern und Lehrer von diesem Wunsch verabschieden zu müssen. „Für das kommende Jahr würden wir uns bessere Rahmenbedingungen wünschen“, sagt Benedikt Jancso.