Nach plötzlicher Schließung in Rosenheim
Zahnarzt-Situation in der Region spitzt sich zu – mit Folgen für die Patienten
Nach der überraschenden Schließung der Zahnarztpraxis „Rosenmund“ in Rosenheim ist die Sorge bei Patienten groß: Wie schwer ist es, einen neuen Zahnarzt zu finden? Warum ist ein Besuch so teuer? Und vor welchen Problemen stehen die Ärzte selbst? Ein Rosenheimer Zahnarzt gibt einen Einblick.
Rosenheim – Dr. Jan Dierfeld ist niemand, der sich gerne beschwert. Das macht er während des Gesprächs gleich mehrmals deutlich. Trotzdem gibt es einige Punkte, die den Zahnarzt und freien Obmann für den Landkreis Rosenheim stören. Im OVB-Exklusivinterview spricht er darüber, warum die Gebührenordnung dringend angepasst werden muss, wieso es einen Bürokratieabbau braucht und warum er sich von der Politik im Stich gelassen fühlt.
Wo schmerzt der Zahn?
Dr. Jan Dierfeld: In der Zahnmedizin schmerzt es an unterschiedlichen Stellen. Ein großes Problem neben dem Rückgang der Praxen durch den Rentenbeginn der Babyboomer und den Fachkräftemangel ist sicherlich die Gebührenordnung. Alle Punkte merken nicht nur die Zahnärzte und Zahnärztinnen, sondern auch die Patienten. Die Gebührenordnung ist 1988 in Kraft getreten und bis auf eine Novellierung 2012 unverändert geblieben. Die 2011 beschlossene Anpassung war innerhalb kürzester Zeit von der Inflation aufgebraucht. Der zu Grunde gelegte Punktwert von 1988 von elf Pfennig existiert umgerechnet in Euro unverändert bis heute. Dieser Wert sollte inflationsbedingte Preissteigerungen abbilden und entsprechend angepasst werden. Er wurde nur nie in Kraft gesetzt.
Wieso?
Dierfeld: Leider entzieht sich hier der Gesetzgeber komplett seiner Verantwortung. Rechtsanwälte, Veterinäre und Steuerberater haben in der Vergangenheit Anpassungen ihrer Gebührenordnungen erfahren. Im ärztlichen und zahnärztlichen Bereich müsste der Gesetzgeber, sprich die Bundesregierung, eine Änderung beschließen. Seine Fürsorgeverantwortung gegenüber den im Gesundheitswesen tätigen Menschen wird der Staat jedoch nicht gerecht; in der Vergangenheit ist dieser Pflicht keine Regierung je nachgekommen.
Trotz der Pandemie? In dieser Zeit ist doch jedem bewusst geworden, wie wichtig das Gesundheitssystem ist.
Dierfeld: Nach Corona sollte unbedingt im Gesundheitswesen etwas für eine positive Entwicklung für die Beschäftigten getan werden – da waren alle einig. In dieser Zeit ist uns bewusst geworden, wie wichtig das Gesundheitswesen ist. Passiert ist nichts.
Hört sich an, als ob Sie und ihre Kollegen dadurch vor massiven Problemen stehen.
Dierfeld: Das ist richtig. Da der Punktwert in der privaten Gebührenordnung nie aktiviert wurde, ist die einzige Möglichkeit, die wir haben, um die Inflation auszugleichen, über den Faktor zu gehen. Dabei handelt es sich um eine Zahl, die der Zahnarzt verwendet, um die Grundkosten einer zahnärztlichen Leistung anzupassen. Für schwierige Behandlungen kann das berechnete Honorar sogar über dem 3,5-fachen Satz liegen.
Dann wird es für die Patienten teurer.
Dierfeld: Arzt- sowie Zahnarztpraxen unterliegen den gleichen wirtschaftlichen Bedingungen wie Unternehmen. Mit dem Unterschied, dass hier die Gesundheit des Menschen im Mittelpunkt steht. Ärzte müssen den Patienten die bestmögliche Versorgung zukommen lassen, dürfen dabei aber den wirtschaftlichen Aspekt nicht aus den Augen verlieren. Miete, Material- , Geräte- und Lohnkosten müssen gedeckt werden.
Heißt im Umkehrschluss?
Dierfeld: Durch die Anpassung der Gebührenordnung durch den Gesetzgeber an die steigenden Kosten würden die Kosten für den Patienten nicht steigen. Da dies aber nicht der Fall ist, muss der Patient mehr zuzahlen. Ohne diese Zuzahlungen ist eine Praxis nicht mehr rentabel. Ein Grund auch für die sinkende Zahl der Praxisneugründungen. Das finanzielle Risiko ist vielen jungen Ärzten zu groß. Es ist nicht sicher, dass die Kosten, die eine Praxiseröffnung beinhaltet, wieder erarbeitet werden können. Hier lassen uns die Politiker komplett im Regen stehen
Es heißt immer wieder, dass die Zahnärzte zu viel Geld verlangen.
Dierfeld: Bei näherer Betrachtung ist diese Kritik nicht haltbar. Einnahmen sind nicht gleichzusetzen mit dem Gewinn, sprich was dem Zahnarzt übrig bleibt. In den vergangenen zehn Jahren sind die Einnahmen der Zahnärzte um 30 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist aber auch die Inflation um etwa 30 Prozent gestiegen. Heißt: Wir konnten zwar 30 Prozent mehr Umsatz erwirtschaften, weil wir mit den Preisen nach oben gegangen sind. Wir haben dabei aber erstmal keinen Cent mehr verdient, da die Kosten in gleichem Maße gestiegen sind. Ohne diese Erhöhungen hätten wir die höheren Ausgaben gar nicht erst stemmen können.
Hört sich nicht an, als ob eine Besserung in Sicht ist.
Dierfeld: Und das hat Folgen für alle Patienten. Sollte die neue Regierung die Gebührenordnung nicht ändern, sehe ich zeitnah keine Besserung, unabhängig davon, ob jemand gesetzlich oder privat versichert ist. Beide müssen jetzt mit Eigenanteilen rechnen. Die Regierungen wälzen das volle finanzielle Risiko auf die Zahnärzte und damit vor allem auf die Patienten ab.
Spielt es eine Rolle, zu welchem Zahnarzt ich gehe?
Dierfeld: Nein. Seriös arbeitende Praxen, die hochwertige Zahnheilkunde anbieten wollen, kommen mit den anfallenden Kosten nicht mehr zurecht und müssen die Preise anziehen. Die Ursache liegt bei der Regierung, die Patienten, die nur die höheren Preise sehen, verorten jedoch die Schuld leider bei den Behandlern. Betrachtet man im Vergleich die Preissteigerungen bei den Lebensmitteln, kann man sehr schnell die vorhergehenden Argumente nachvollziehen.
Gibt es einen Zahnarztmangel?
Dierfeld: Die Situation unter den Praxen in Stadt und Landkreis Rosenheim unterscheidet sich. Der Stadtbereich Rosenheim weist eine sehr gute zahnärztliche Versorgung auf. Im ländlichen Bereich zeigt sich jedoch ein etwas anderes Bild. Hier ist eine wesentlich geringere Zahl an Zahnärztinnen und Zahnärzten tätig. Dies gab im vergangenen Jahr den Anlass dazu, den zahnärztlichen Notdienst Bereich Bad Aibling-Rosenheim-Inntal zusammenzulegen. Für die Patienten bedeutet dies, dass sie im Falle eines notwendigen Besuches im Notdienst gegebenenfalls längere Wege auf sich nehmen müssen.
Keine guten Aussichten.
Dierfeld: Das ist richtig. Die Zahl der im Inntal tätigen Zahnärzte ist so stark rückläufig, dass die Notdienstversorgung der Bevölkerung nur noch schwer zu erbringen ist. Zudem ist eine hohe Zahl der momentan tätigen Zahnärzte auf dem Weg ins Rentenalter. Dadurch wird sich in absehbarer Zukunft meines Erachtens ein Mangel ergeben. Schon jetzt spüren wir das im Praxisalltag. Es häufen sich Anrufe von Patienten, die einen neuen Behandler suchen, weil ihr bisheriger Zahnarzt aufgehört hat zu praktizieren und die Praxis auch nicht von einem Nachfolger übernommen wurde.
Was also tun?
Dierfeld: Die Gründung einer Praxis sollte wieder attraktiver werden. Die Arbeitszeiten eines Praxisinhabers oder einer Praxisinhaberin sind enorm und nur bedingt familienfreundlich. Die Behandlungszeiten sind leider nicht gleich Arbeitszeit. Der bürokratische Aufwand ist in den letzten Jahren extrem gestiegen. Auch im medizinischen Bereich wäre eine Entbürokratisierung dringend notwendig. Die genannte finanzielle Unsicherheit, die eine Übernahme oder Neugründung bedeutet und in die der Gründer mit seinem Privatvermögen deckt, schreckt ebenfalls ab.
Mit Folgen?
Dierfeld: Ja. Das führt dazu, dass die Anzahl größerer Praxisstrukturen die finanziell eine stabilere Basis haben und insbesondere medizinischer Versorgungszentrum (MVZ) mit mehr angestellten Zahnärzten steigen wird. Hier gibt es eine steigende Zahl von MVZ, die von Investoren geführt werden – sogenannte iMVZ (investorengetragene medizinische Versorgungszentren).
Was heißt das konkret?
Dierfeld: Aufgrund der politischen Rahmenbedingungen wurde es möglich, dass Organisationen oder Unternehmen Zahnarztpraxen kaufen und weiter betreiben. Das heißt, die Praxis gehört keinem Zahnarzt mehr, sondern einem Großkonzern, der die Praxis betreibt und die Gewinne abschöpft. Die Investoren sind daran interessiert, mit der gekauften Praxis nicht nur den bezahlten Preis zu erwirtschaften, sondern auch Gewinn zu machen. Die Geldgeber, die hinter diesen Zentren stehen, sind renditeorientiert. Sie wollen einen finanziellen Benefit aus den Versorgungszentren ziehen und nicht draufzahlen. Der steuerliche und juristischen Sitz dieser Unternehmen befindet sich zudem häufig im Ausland.
Das hört sich alles sehr düster an. Wie ist die Situation bei Ihnen?
Dierfeld: Ich bin seit zehn Jahren in meiner Praxis niedergelassen und habe in den vergangenen Jahren Phasen erlebt, in denen ich keine weiteren Patienten betreuen konnte. Wir sind gewillt, so viele Patienten wie möglich zu behandeln und zu versorgen. Zeitweise müssen wir Patienten auf unsere Warteliste verweisen. Wir hatten bereits auch einige Monate einen Aufnahmestopp. Seit Ende letzten Jahres unterstützt mich ein Assistenzzahnarzt, wodurch es mir möglich ist, dem Patientenaufkommen besser gerecht zu werden.