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Vortrag zum Thema in Rosenheim

Nimmt Antisemitismus zu? Experte über Judenfeindlichkeit im Alltag – und was man dagegen tun kann

Antisemitismus gibt es nahezu überall. Auch in Rosenheim.  Doch wie kann man Antisemitismus erkennen? Antworten dazu liefert der Antisemitismus-Experte Dr. Axel Töllner.
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Antisemitismus gibt es nahezu überall. Auch in Rosenheim. Doch wie kann man Antisemitismus erkennen? Antworten dazu liefert der Antisemitismus-Experte Dr. Axel Töllner.

Antisemitismus gibt es nahezu überall. Auch in Rosenheim. Es bedeutet: Hass auf Juden, weil sie Juden sind. Doch wie kann man Antisemitismus erkennen? Und was braucht es, um gegen ihn vorzugehen? Antworten dazu liefert der Antisemitismus-Experte Dr. Axel Töllner im OVB-Exklusivinterview.

Rosenheim – Axel Töllner ist evangelischer Pfarrer und seit 2014 Beauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für den christlich-jüdischen Dialog. Er hat selbst ein Jahr lang in Jerusalem gelebt. Am Dienstag, 1. April, ist er zu Besuch in Rosenheim. Er erklärt, wie man Antisemitismus aufdecken und sachlich über das Thema reden kann. Aber auch, wie es gelingen kann, andere auf antisemitische Tendenzen in ihren Äußerungen hinweisen. Erste Tipps gibt er bereits vorab im OVB-Interview.

Was haben Sie während Ihrer Zeit in Jerusalem gelernt?

Axel Töllner: Vor allem habe ich dort jüdisches Leben in seiner ganzen Vielfalt und Lebendigkeit kennengelernt. Stärker bewusst geworden ist mir, wie historisch belastet das christlich-jüdische Verhältnis ist. So habe ich angefangen, mich mit den Beziehungen zwischen Christen und Juden zu beschäftigen. Dabei habe ich gelernt, wie tief verwurzelt antijüdisches Denken in unserer christlich geprägten Kultur in Europa ist. Aber auch, wie christliche Polemik dazu beigetragen hat, antijüdische Bilder zu verschärfen. Trotzdem ist es auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass es zu allen Zeiten Menschen gegeben hat, die diese Aussagen hinterfragt haben.

Das macht Mut, oder?

Töllner: Ja. Es zeigt deutlich, dass man bestimmte Aussagen nicht alternativlos hinnehmen muss. Man konnte zu jeder Zeit anders denken, mit jüdischen Menschen befreundet sein oder mit ihnen zusammenleben. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Trotzdem gibt es Antisemitismus in allen Schichten. Hat sich diese Situation in den vergangenen Jahren verändert?

Töllner: Antisemitismus war nie weg. Es war lange Zeit kein Thema, über das öffentlich gesprochen wurde. Durch die sozialen Medien hat sich hier viel verändert. Antisemitismus ist sichtbarer geworden.

Inwiefern?

Töllner: Mittlerweile ist es möglich, Sachen zu vervielfachen, die früher „nur“ am Stammtisch oder zu Hause auf dem Sofa gesagt wurden. Jetzt kann man seine Aussagen in die Welt hinausposaunen. Das verändert das Klima. Dinge bleiben nicht mehr im privaten Bereich, sondern werden massenhaft geteilt. Das vergiftet das Zusammenleben und ermutigt andere Menschen dazu, sich ebenfalls antisemitisch zu äußern.

Mit Folgen?

Töllner: Natürlich. Wenn sie etwas immer und immer wieder lesen, gehen manche Menschen irgendwann davon aus, dass es wohl der Wahrheit entsprechen muss. Hinzu kommt, dass in einem solchen Klima die Gewaltbereitschaft und die Bereitschaft, jüdische Menschen öffentlich zu beschimpfen, steigt.

Eine erschreckende Entwicklung.

Töllner: Ja. Ein weiteres Problem ist: Die Erlebnisgeneration, die den Nationalsozialismus noch erlebt hat, stirbt aus. Die Stimmen, die behaupten, dass der Nationalsozialismus so schlimm nicht war und man diese Zeit hinter sich lassen muss, werden immer lauter. Und die Möglichkeiten, mit Menschen zu reden, die erzählen können, was ihnen in dieser Zeit angetan wurde und was sie durchgemacht haben, schwinden. Dadurch sinkt die Hemmschwelle, sich antisemitisch zu äußern, noch weiter.

Wie oft haben Sie mit Menschen zu tun, die Opfer von Antisemitismus geworden sind?

Töllner: Ich stehe im Austausch mit jüdischen Menschen, die entweder Anfeindungen erlebt haben oder versuchen, als Juden nicht öffentlich sichtbar zu sein. Das muss man sich mal vorstellen: Menschen setzen sich einer Gefahr aus, wenn sie einen Davidstern-Anhänger tragen oder eine Kippa. Das ist erschreckend. Und wahrscheinlich ist das vielen, die keinen oder wenig Kontakt mit jüdischen Menschen haben, gar nicht bewusst.

Können Sie Beispiele für Alltags-Antisemitismus nennen?

Töllner: In der letzten Zeit ist mir aufgefallen, dass in der Berichterstattung über den israelisch-palästinensischen Konflikt häufig die Metapher „Auge um Auge“ als Rache und Vergeltung gedeutet wird. Das ist ein klassisches anti-jüdisches Stereotyp. Weil man damit sagen will, dass die Juden rückständig, rachsüchtig und auf Vergeltung aus seien. Das ist ein totales Missverständnis.

Mehr Informationen zur Veranstaltung

Das Evang.-Luth. Dekanat Rosenheim lädt am Dienstag, 1. April, um 19 Uhr unter der Moderation von Dekanin Dagmar Häfner-Becker zu einem Gespräch über „Antisemitismus im Alltag“ ins Gemeindehaus der Erlöserkirche in Rosenheim (Königstraße 23) ein. Auf der Bühne sitzen Dr. Thomas Nowotny, von der Initiative „Erinnerungskultur – Stolpersteine für Rosenheim“, und Dr. Axel Töllner, vom „Institut für Christlich-Jüdische Studien und Beziehungen“.

Teilnehmende lernen, wie sie Antisemitismus aufdecken und sachlich über das Thema reden können oder wie sie andere auf antisemitische Tendenzen in ihren Äußerungen hinweisen. Auch eine kritische Selbstreflexion ist gefragt: Bediene ich mich selber gelegentlich antisemitischer Formulierungen? Wie würde ich reagieren, wenn mich andere darauf aufmerksam machen würden?

Aber kommt diese Metapher nicht auch im Alten Testament vor?

Töllner: Ja. Aber in der Bibel geht es um Schadensersatz. Angeredet sind nicht diejenigen, die einen Schaden erlitten haben, sondern diejenigen, die den Schaden verursacht haben. Wenn ich jemanden geschädigt habe – also beispielsweise sein Auge verletzt habe – dann soll ich eine Strafe dafür bezahlen und eine Ersatzleistung erbringen, die diesen Schaden, in irgendeiner Weise kompensieren soll. Es muss verhältnismäßig sein. Wenn ich jemandem einen Zahn ausschlage, darf ich ihn nicht gleich umbringen. Das ist der Hintergedanke dabei.

Klingt logisch.

Töllner: Das Problem ist, dass in der Bergpredigt die Perspektive umgedreht wird und es dann ums Vergelten geht. Es gibt Gründe dafür, warum der Text dort so verwendet wurde. Aber: Man muss eben genau hinschauen. Es handelt es sich dabei nicht um die Ursprungsaussage des Textes. Es geht um eine Auslegung, die mit dem Text selber nicht identisch ist.

Nicht jeder wird sich die Mühe machen, „genau hinzuschauen“.

Töllner: Der Kampf gegen den Antisemitismus hat dort seine Grenzen, wo sich jemand ideologisch eingemauert hat. Aber ich glaube, dass es viele Menschen gibt, bei denen man vorher ansetzen kann. Viele, die Dinge von sich geben, tun das nicht aus einer bösen Absicht heraus, sondern einfach, weil sie es nicht besser wissen. Was aber auch zur Wahrheit gehört: Das hilft jemanden, der durch die Worte verletzt wurde, natürlich nicht.

Braucht es mehr Mut, um gegen Antisemitismus vorzugehen?

Töllner: Zivilcourage ist natürlich immer super. Aber ich muss auch erst einmal verstehen, dass das Gesagte problematisch ist. Zudem will niemand damit konfrontiert werden, etwas Antisemitisches gesagt oder getan zu haben. Für die allermeisten Menschen ist das immer nur ein Hammer, gegen den sie sich auf jeden Fall verteidigen wollen. Und meistens ist es so, dass es die Leute nicht bewusst machen. Hier braucht es eine Sensibilisierung. Manche Sätze und Aussagen müssen nicht verwendet werden. Es gibt Alternativen. Die deutsche Sprache ist reich genug.

Sie sind am Dienstag, 1. April, gemeinsam mit Dr. Thomas Nowotny, im Gemeindehaus der Erlöserkirche, um über Antisemitismus zu sprechen. Für wen ist das Ganze interessant?

Töllner: Es ist eine Veranstaltung, die sicherlich für alle Leute interessant ist. Vor allem für diejenigen, die hören wollen, wie Antisemitismus im Alltag funktioniert und die sich nicht vorstellen können, dass auch sie selbst sich vielleicht schon einmal antisemitisch geäußert haben. Es ist für diejenigen, die ein Zeichen der Solidarität setzen und Argumente sammeln wollen, wenn antisemitische Äußerungen fallen.

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