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Kolbermoors Bürgermeister im OVB-Interview

„Regelungswut“ und „Bürokratie“-Frust: Welche Veränderungen Peter Kloo von der Politik fordert

Kolbermoors Bürgermeister Peter Kloo und Fotos von Projekten wie Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes, Anbau an die Musikschule, neues Parkhaus an der Haßlerstraße, sozialen Wohnungsbau an der Unteren Mangfallstraße und  Erschließung des Gebietes an der Schwaig.
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Kolbermoors Bürgermeister Peter Kloo blickt auf aktuelle Projekte wie die Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes, den Anbau an die Musikschule, ein Parkhaus an der Haßlerstraße, den sozialen Wohnungsbau an der Unteren Mangfallstraße und die Erschließung des Gebietes an der Schwaig. Im OVB-Interview erklärt er auch, wie die kommunale Selbstverwaltung immer stärker beschnitten wird.

Zebrastreifen, Verkehrsinseln, Tempo-30-Zonen oder Radwege. Die Kolbermoorer haben sich schon oft mehr Sicherheit auf ihren Straßen gewünscht. Und generell einfachere und nachvollziehbare Entscheidungen. Was sich dafür ändern muss, erklärt Bürgermeister Peter Kloo im OVB-Interview.

Mit der Reform des Straßenverkehrsgesetzes sollten Kommunen mehr Handlungsspielraum bei der kommunalen Verkehrsplanung erhalten. Wie steht es darum?

Peter Kloo: Die vom Bundestag beschlossenen Änderungen am Straßenverkehrsgesetz wurden vom Bundesrat gestoppt. Damit kommt es nun auch zu keiner Änderung der Straßenverkehrsordnung. Das bedeutet, dass dem Autoverkehr auch künftig Vorrang in den Städten eingeräumt wird. Und es bedeutet gleichzeitig, dass wir als Kommune auch in Zukunft nicht eigenständig darüber entscheiden dürfen, ob wir beispielsweise an Schulwegen Tempo 30 anordnen oder mit einem Zebrastreifen die Verkehrssicherheit erhöhen. Geplant war ursprünglich, dass die Verwaltungen vor Ort künftig Gesundheit, Sicherheit, Klimaschutz und städtebauliche Entwicklung höher gewichten können. Aber man traut uns offenbar nicht zu, dass wir die Verkehrsverhältnisse vor Ort im Interesse von mehr Lebensqualität selbst vernünftig lösen. So gilt also beispielsweise auch weiterhin, dass ein Zebrastreifen nur an Standorten errichtet werden darf, die von mindestens 200 bis 300 Fahrzeugen sowie 50 bis 100 Fußgängern pro Stunde passiert werden.

Den ruhenden und fließenden Verkehr darf die Kommune in ihrem Bereich doch aber auch überwachen.

Peter Kloo: Ja, aber zum Beispiel sind wir nicht zuständig, wenn eine rote Ampel überfahren wird oder im absoluten Überholverbot mit rasanten Manövern trotzdem überholt wird. Ich werde oft darauf angesprochen, warum wir beispielsweise am Bahnübergang an der Aiblinger Straße nicht regulierend eingreifen. Doch das dürfen wir nicht.

Für den Bürger ist seine Kommune der Staat, den er mit seinen Steuergeldern finanziert. Kann es ihm nicht egal sein, bei welcher Behörde welche Verantwortung liegt?

Peter Kloo: Für den Bürger ist die Kommune immer der erste Ansprechpartner für alle Lebenslagen. Er wird hier geboren, verbringt 80 Prozent seiner Lebenszeit hier und wird eines Tages vielleicht auch hier beerdigt. Deshalb ist es für ihn schwer nachvollziehbar, warum wir uns in unserer Gesellschaft immer höhere Standards auferlegen, dadurch bürokratische Vorgänge immer komplexer werden und mit einer wahren Regelungswut immer mehr Verantwortung vor Ort entzogen wird. Auf keiner Verwaltungsebene werden mehr schnelle Entscheidungen getroffen, weil das komplexe System aus Legislative, Exekutive und Judikative natürlich bei Fehlern auch einen Schuldigen sucht und eine entsprechende Ahndung vorsieht. Das hat sich inzwischen zu einem Problem von gesellschaftlicher Relevanz entwickelt und lähmt alle Prozesse.

Wo wünschten Sie sich konkret mehr Verantwortung für die Fachleute vor Ort?

Peter Kloo: Beispiel Fachkräftemangel: Wir klagen in allen Bereichen über fehlendes Personal. Über die Beschäftigung einer Erzieherin aus Afghanistan darf aber nicht die Leiterin der Kindertagesstätte vor Ort entscheiden. Darüber befindet die Zulassungsstelle für ausländische Fachkräfte im Pflegebereich in München, bei der sich aber unbearbeitete Fälle stapeln. Und dann wundern wir uns, wenn anerkannte Asylbewerber nicht schnell genug in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Oder: Der Kolbermoorer Stadtrat legt im Flächennutzungsplan fest, welche Gebiete Vorrangflächen für die Landwirtschaft sind. Mit der Energiewende und dem Interesse an Freiflächen für PV-Anlagen werden die Böden im Einzelfall von der uns übergeordneten Behörde als „nicht wertvoll“ und damit „nicht schützenswert“ eingestuft.

Oder schauen wir auf ein aktuelles Beispiel aus dem Baurecht im Außenbereich. Am Schlosspark in Pullach hat die Stadt Kolbermoor auf Grundlage des Baugesetzes eine Bebauung im Außenbereich abgelehnt. Wir wurden vom Kreisbauamt überstimmt, weil die Gesetzeslage dort anders ausgelegt wird. Das ist eine schleichende Beschneidung unserer kommunalen Selbstverwaltung. Und das kann man dem Bürger nicht mehr vermitteln. Die Kultur der Entscheidungen muss sich ändern.

Wie meinen Sie das?

Peter Kloo: Die Regelungswut muss aufhören. Bürokratie muss abgebaut, Verfahren müssen verschlankt und Entscheidungen beschleunigt werden. Damit könnte auch der Verwaltungsapparat auf Landes- oder Bundesebene verschlankt werden. Planungs- und Vergaberecht müssen vereinfacht werden. Was wäre denn so schlimm daran, wenn wir ein kommunales Bauprojekt wie den Sozialwohnungsbau an der Unteren Mangfallstraße nicht europaweit, sondern nur in der Region ausschreiben und damit letztlich an ein Unternehmen aus der Region vergeben? Auch hier muss wieder mehr Verantwortung nach unten abgegeben werden. Wir wissen doch am besten, wie wir unser Geld einsetzen. 24 Stadträte und die Rechnungsprüfung durch das Landratsamt sollten als Kontrollorgane doch genügen.

Zudem müssen wir unsere hohen Standards überprüfen, denn sie sind nicht mehr bezahlbar. Wir sollten beispielsweise darüber nachdenken, ob wir Milliarden in ein europäisches Projekt wie den Brenner-Nordzulauf stecken wollen, um höhere Reisegeschwindigkeiten zu erreichen. Wir müssen darüber nachdenken, ob wir Kolbermoor komplett aufgraben wollen, um ein Glasfasernetz zu verlegen oder ob uns eine Internetgeschwindigkeit von 50 MB reicht. Wir müssen uns fragen, was wir zum Klimaschutz beitragen können und uns gleichzeitig darüber bewusst sein, dass wir allein das Klima nicht retten können. Wir sollten besser abwägen, ob wir den Pfad der Wirtschaftlichkeit verlassen, um eine ökonomisch gut austarierte Energieversorgung auf Basis von Holz, Öl und Gas kurzfristig umzubauen und nun unsere bislang gut ausgebauten Elektronetze in Windeseile neu aufstellen müssen. Das kostet alles Geld und sorgt für eine enorme Kapitalverschiebung von unten nach oben.

Das sind aber doch Entscheidungen, die der Bürger nicht beeinflussen kann. Wo sehen Sie den Bürger in der Verantwortung?

Peter Kloo: Für den Klimaschutz kann er nicht nur aufs Silvesterfeuerwerk und damit eine enorme Feinstaubbelastung verzichten. Er kann auch aufs Fahrrad oder den ÖPNV umsteigen. Wenn Geh- oder Radwege gebaut, Straßen für eine Verkehrsinsel verbreitert oder Spielplätze gebaut werden sollen, wäre es gut, wenn er künftig für diese wichtigen Projekte auch einen Teil seiner Grundstücke zu einem fairen Preis abgeben würde. Das heißt: Der Bürger müsste stärker dabei mitwirken, Dinge auch vor seiner Haustür zu verändern.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert, dass der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ab dem Schuljahr 2026 zeitlich flexibler gestaltet werden sollte, weil die Kommunen nicht ausreichend finanzielle Mittel haben, um ihn umzusetzen. Gibt es inzwischen genaue Förderrichtlinien oder Raumprogramme?

Peter Kloo: Die waren mal angedacht, sind aber vom Tisch. Wir wissen inzwischen, dass keine Vorgaben gemacht werden sollen. Damit kann man natürlich das Konnexitätsprinzip „Wer anschafft, der bezahlt“ gut umgehen. Für uns heißt das im Klartext: Die Kosten bleiben bei den Kommunen. Wieder einmal hat der Bund also Leistungen beschlossen, die durch die Kommunen zu finanzieren sind, weil keine adäquate Gegenfinanzierung geplant ist.

Wieso sind die Kommunen im Bereich der Kinderbetreuung eigentlich in der Pflicht, wenn der Bund einen Rechtsanspruch formuliert?

Peter Kloo: Das Kultusministerium ist für Lehrplan und Lehrer zuständig, die Kommune als Träger der örtlichen Sozialhilfe für die Betreuung. Der Ganztag ist chronisch unterfinanziert. Gebundene Ganztagsangebote sind begrenzt. Zusätzliche Klassen dürfen nach Informationen des Regionalschulamtes nicht aufgemacht werden, weil dafür ja auch zusätzliche Lehrer gebraucht würden. Die offene Ganztagsbetreuung wiederum basiert auf Betreuungsangeboten durch Honorarkräfte und Vereine. Die Stadt Kolbermoor zahlt pro Ganztagsklasse schon jetzt 6400 Euro pro Jahr. Der Staat legt ein paar Euro drauf. Dafür ist die Betreuung aber nicht zu leisten. Also soll die Stadt einen Defizitausgleich leisten, denn die Eltern stehen im Rathaus vor der Tür und nicht im Sozialministerium.

Ähnlich sieht es in den Kindereinrichtungen aus. Der Freistaat zahlt einen pauschalen Personalkostenzuschuss pro Kind und Buchungszeit. Der Basissatz liegt bei etwa 1600 Euro pro Jahr. Tariflöhne und Betriebskosten haben sich in den vergangenen Jahren stark erhöht. Freie Träger können keine Eigenmittel aufbringen. Auf die Eltern wollen wir die steigenden Kosten nicht umlegen. Also muss die Stadt als Ausfallbürge die Defizite übernehmen. Das waren allein im Jahr 2022 etwa 1,2 Millionen Euro für unsere Kindertagesstätten und Schulen. Hinzu kamen weitere insgesamt fast zehn Millionen Euro Sachaufwand an den Schulen (3,7 Millionen Euro) und Kitas (sechs Millionen Euro).

Wie sieht es mit den Energiekosten für kommunale Gebäude aus?

Peter Kloo: Seit 2021 hat sich der sächliche Verwaltungs- und Betriebsaufwand der Stadt Kolbermoor von 3,4 Millionen auf 7,2 Millionen Euro im Jahr 2023 mehr als verdoppelt. Darin enthalten sind die Kosten für Energie und Kraftstoffe. Es sind allerdings auch neue Gebäude wie beispielsweise die Feuerwache in Pullach hinzugekommen. Kosten in diesem Bereich zu sparen, ist uns nicht möglich, denn so viel Beleuchtung kann man gar nicht ausschalten. Allein durch eine Verbrauchsmehrung in der EDV, die beispielsweise durch eine höhere Serverkapazität für die digitale Bauakte entstanden ist, verbrauchen wir jetzt pro Jahr etwa 8400 Kilowattstunden mehr Strom.

Die Stadt ist also auch in Zukunft auf Mehreinnahmen angewiesen. Woher sollen die kommen?

Peter Kloo: Entweder die Regelungswut hört endlich auf oder die Ausgaben steigen weiter. Die Stadt als kleinste Einheit des Staates kann sich ihre Einnahmen natürlich auch nur von den Bürgern holen. Der Stadtrat hat beschlossen, den Hebesatz für die Gewerbesteuerumlage anzuheben. Auf Privatunternehmer hat das keine Auswirkungen. GmbH und Aktiengesellschaften müssen ab einem Jahresgewinn von 45.000 Euro künftig etwa fünf Prozent mehr Steuern abführen. Die Stadt Kolbermoor erhofft sich so Mehreinnahmen von 750.000 Euro pro Jahr.

Wir denken zudem über eine Erhöhung der Grundsteuer ab 2025 nach. Momentan können wir aber noch gar nicht absehen, wie sich die Neuordnung der Steuermessbeträge im Rahmen der Grundsteuerreform überhaupt auswirken wird. Dank unserer Bürger und Unternehmen ist die Stadt Kolbermoor in einer guten finanziellen Lage. Trotzdem müssen wir anstehende Projekte wie den Anbau an die Musikschule, die Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes, das neue Parkhaus an der Haßlerstraße, den sozialen Wohnungsbau an der Unteren Mangfallstraße, das Wasserrückhaltekonzept für die Karolinenhöhe oder die Erschließung des Gebietes an der Schwaig in die laufenden Kosten so eintakten, dass wir unser Finanzkorsett nicht überdehnen.

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