Vier Millionen Euro für neue Kita
Trotz der Preisexplosion am Bau: Das Paradies für „Wollmäuse“ im Spinnereipark gibt‘s zum Festpreis
Im Kolbermoorer Spinnereipark wird eine neue Kindertagesstätte gebaut. Trotz der Kostenexplosion am Bau bekommt sie die Stadt zu dem Preis, der vor Jahren vereinbart wurde: vier Millionen Euro. Und auch an Personal wird es der neuen Einrichtung nicht fehlen.
Kolbermoor – In einem Jahr können die „Wollmäuse“ dorthin umziehen, wo sie eigentlich hingehören: in die Spinnerei oder besser gesagt in den Spinnereipark. Am Donnerstag, 27. April, machte sich Bürgermeister Peter Kloo ein Bild vom Baufortschritt an der Conradtystraße 4. Das Gebäude ist ein Gemeinschaftsprojekt der Werndl&Partner GmbH und der Quest Baukultur GmbH. Geschäftsführer Max von Bredow und Projektleiterin Sophie Pfaffinger luden zum „Baustellenrapport“ ein.
Lichtdurchflutete Räume in der Natur
Die „Wollmäuse“ dürfen sich auf ein tolles neues Reich freuen, denn das gesamte Erdgeschoss gehört allein ihnen. Jeder Raum ist von Licht durchflutet. Direkt davor beginnt die grüne Oase mit Filzenbach, Brücken, Weiher, Spielplatz, Spinnereiwald und freiem Blick in die Berge. Ein paar Schritte weiter können sie aus sicherer Entfernung sogar „Bob, den Baumeister“ bei der Arbeit am Conradtygelände beobachten. Im Moment hat der allerdings noch mit dem Innenausbau ihrer neuen Kita alle Hände voll zu tun. Der Estrich ist schon getrocknet. Überall stapelt sich jetzt das Baumaterial. Doch allmählich nehmen die Ideen der Architekten Gestalt an.
Aus „Drachenbuckel“ wird eine Bühne
Ein Beispiel dafür ist die Einfahrt in die Tiefgarage. Die zeichnet sich im Kindergarten – also eine Etage darüber – wie ein Drachenbuckel ab. Doch wenn alles fertig ist, wird sie zu einem Spielparadies und ab und an auch zur großen Bühne für kleine Musikanten.
74 Kinder werden im Juli 2024 in die neue Kita einziehen, in der zwei Krippengruppen mit jeweils zwölf und zwei Kindergartengruppen mit jeweils 25 Plätzen entstehen. Und auch wenn sich die neue Kita mitten im Spinnereipark-Quartier befindet: „Sie ist für alle Kolbermoorer Kinder gedacht“, betont der Bürgermeister.
Preis in städtebaulichem Vertrag verankert
Die Stadt hatte im Rahmen eines städtebaulichen Vertrages mit dem Bauträger vereinbart, die Kita für einen Festpreis von vier Millionen Euro zu erwerben. War der Preis damals marktgerecht, wäre sie heute – nach der Preisexplosion im Bau- und Energiesektor – um etwa 20 Prozent teurer. Glück für die Stadt. Pech für den Bauträger? „Nein, denn die Alte Spinnerei ist ein Gesamtwerk und unsere Partnerschaft mit der Stadt ist außergewöhnlich, immer ein faires Geben und Nehmen“, betont Max von Bredow.
Zudem, so ergänzt der Bürgermeister, werde mit der Kindereinrichtung auch die erforderliche Infrastruktur für das neue Quartier am Spinnereipark geschaffen. Und das nicht nur flächensparend, sondern auch nachhaltig: „Das Gebäude ist eine Holz-Hybrid-Konstruktion“, erklärt von Bredow. Tiefgarage und tragende Bauteile sind aus Beton, die Außenfassade aus regional geschlagenem und verarbeitetem Holz.
21 Wohnungen für alle Generationen
Über der Kita entstehen auf vier Etagen 21 Wohnungen. „Da wir Anfang 2022 mit dem Bau begonnen haben, liegen wir noch bei einem Quadratmeterpreis von 7.600 Euro“, informiert Projektleiterin Sophie Pfaffinger. Inzwischen sind die Preise weiter bergauf geklettert: „Wer heute mit dem Bau beginnt, muss 8.000 Euro pro Quadratmeter veranschlagen. Im Historischen Neubau der Alten Spinnerei haben wir vor zwölf Jahren noch für 3.000 Euro pro Quadratmeter gebaut“, umreißt von Bredow die Entwicklung der Baukosten, die vor allem von steigenden Energie- und Materialkosten befeuert wird.
Nach dem Schock steigt Nachfrage wieder
Seit dem Krieg in der Ukraine hat die Preisspirale ein neue Dimension erreicht. Energiekrise, Inflation und Zinsniveau führten auch in der Immobilienbranche zu großer Unsicherheit. „Seit einem Monat spüren wir, dass die Menschen wieder zuversichtlicher sind, möglicherweise weil wir den Winter ohne Blackout überstanden haben“, sagt Projektleiterin Pfaffinger. „Der Bedarf an Wohnraum ist groß. Seit März steigt auch die Nachfrage wieder.“
An der Conradtystraße 4 entstehen 21 Apartments mit Größen von 45 bis 170 Quadratmetern. „Unser Quartier ist ein Spiegel der Gesellschaft“, betont von Bredow. „Hier leben Menschen von der Geburt bis ins hohe Alter. Singles, Paare und Familien mit Kindern.“ Sie genießen die kurzen Wege zu Einkaufsmöglichkeiten und Ärzten in der Alten Spinnerei. „Alle Generationen sollen sich hier wohlfühlen“, beschreibt von Bredow das Credo von Projektentwicklern und Architekten. Deshalb sind Kita und Wohnen zwar nebeneinander und doch auch voneinander abgekoppelt. Nicht nur durch separate Eingänge.
Infinity-Grün schirmt möglichen Lärm ab
Die Terrassen der Wohnungen im ersten Geschoss – also direkt über der Kita – befinden sich auf einem Biodiversitätsdach. So wird aus der Bepflanzung von Terrasse und Spinnereipark „Infinity-Grün“. Im Gebäude geht es mit dem Lift hinauf in die oberen Etagen, alternativ zu Fuß auch über geräumige Treppenhäuser. Was anmutet wie verschenkter Platz, ist bewusst großzügig gestaltet: „Die Menschen sollen sich nicht nur in ihren Wohnungen, sondern auch im Haus und der Umgebung wohlfühlen“, betont von Bredow, denn: „Gemeinschaft entsteht durch Kommunikation. Um zu ratschen, muss man verweilen. Und das will man nur in einer schönen Umgebung.“
Tag der offenen Tür am 6. Mai, ab 12 Uhr
Am Donnerstag haben sich die Türen des Mehrgenerationshauses an der Conradtystraße 4 für Bürgermeister Peter Kloo geöffnet. Am Samstag, 6. Mai, findet von 12 bis 16 Uhr für alle Interessenten ein Tag der offenen Tür statt. Dazu sind nicht nur potenzielle Eltern und Mieter eingeladen, sondern auch künftige Erzieherinnen. Denn, so ist Bürgermeister Peter Kloo überzeugt: „Ein schönes Arbeitsumfeld ist auch ein Argument, wenn es darum geht, für unsere Kindereinrichtungen neue Fachkräfte zu gewinnen.“
93 Kolbermoorer Kinder haben einen Rechtsanspruch, aber keinen Betreuungsplatz
74 neue Kita-Plätze kommen ab 2024 am Spinnereipark hinzu, weil sie nach der Bedarfsplanung der Stadt dringend gebraucht werden. Momentan allerdings ist das Problem ein ganz anderes. Die Stadt hat genügend Plätze. Doch 93 bleiben frei, weil die Fachkräfte fehlen. „Die Informationen von den Trägern ändern sich täglich und mit ihnen die Zahlen der verfügbaren Plätze“, informierte Elisabeth Kalenberg, Geschäftsleiterin der Stadtverwaltung, auf der jüngsten Stadtratssitzung. Am 26. April, 19 Uhr, waren sie noch ernüchternder als Anfang der Woche.
In der Kinderkrippe ist noch „Spielraum“
Die Stadt Kolbermoor musste nicht 60, sondern 105 Familien eine Absage für das neue Betreuungsjahr ab September schicken. 16 Absagen für den Hort, 77 für den Kindergarten, zwölf für die Kindergrippe. Wobei in der Krippe noch „Spielraum“ ist, mehr Kinder einen Platz bekommen könnten, wenn die Familien nicht auf eine Wunscheinrichtung bestehen würden. Bleiben trotzdem 93 Kinder, deren Rechtsanspruch auf Betreuung nicht erfüllt werden kann. Dabei sind ausreichend Plätze vorhanden, zumindest nach der Betriebserlaubnis der Kolbermoorer Einrichtungen: insgesamt 915 Plätze, davon 170 in Kinderkrippen, 700 in Kindergärten und 45 im Hort. Das Problem sind die fehlenden Fachkräfte.
„Wird eine krank, fliegt uns alles um die Ohren“
„Die Träger melden uns täglich den aktuellen Stand“, erklärt Karin Wallisch, in der Stadtverwaltung für Kindertagesstätten zuständig. Dazu gehören auch (wenige) positive Nachrichten: Denn vielleicht gelingt es den Trägern der Einrichtungen ja bis September doch noch, Personal zu finden und einzustellen. „Dann könnten wir einigen unversorgten Kindern möglicherweise doch noch einen Platz anbieten“, hofft Wallisch. Doch genauso muss auch mit dem gegenteiligen Szenario gerechnet werden, denn: „Wenn weitere Fachkräfte kurzfristig ausfallen, fliegt uns das ganze System um die Ohren“, macht Elisabeth Kalenberg klar.
„Schwelbrand wurde ignoriert“
Die Stadt hat darauf keinen Einfluss. Sie hat vorgesorgt, Geburten in einer Bedarfsplanug prognostiziert und entsprechende Kindereinrichtungen neu gebaut. Ausreichend Plätze sind da. Jetzt aber bleiben viele frei und Familien unversorgt, weil kein Personal da ist. „Es war seit Jahren ein Schwelbrand, der ignoriert wurde. Jetzt ist es ein riesiges offenes Feuer“, machte Bürgermeister Peter Kloo (SPD) darauf aufmerksam, dass Bundes- und Landesregierungen diese Situation seit Jahren nicht ernst genommen haben und sehendes Auges in die Katastrophe geschlittert sind.
„Politik hat Disaster verursacht und muss dringend Lösungen suchen“
„Das ist ein Desaster, verursacht durch fehlgeleitete Politik und fehlende Wertschätzung für den Beruf“, machte Dagmar Levin-Feltz (SPD) ihrem Unmut Luft. Sie forderte, dass der Bund reagieren und dringend nach Lösungen suchen müsse, denn er habe nach dem Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab dem ersten Lebensjahr inzwischen auch einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung gesetzlich verankert, der ab 2026 in Kraft trete und das Probleme potenzieren werde.
Zugleich machte sie darauf aufmerksam, dass es nicht einmal Wirkung zeige, wenn die Eltern ihren Rechtsanspruch einklagen: „Die Plätze sind da. Eine Klage generiert kein zusätzliches Personal.“ Zwar könne man eine Entschädigung erstreiten, erklärte Bernhard Bystron (Grüne), der selbst von einer Absage betroffen ist. „Doch die zahlt am Ende auch wieder der Bürger selbst“, betonte Bürgermeister Kloo, denn: „Die Entschädigung müsste der Landkreis als Träger der örtlichen Jugendhilfe tragen. Wir zahlen aus den Steuern unserer Bürger und Unternehmen die Kreisumlage, die den Kreishaushalt speist.“
Vergabe nach sozialen Gesichtspunkten
Leonhard Sedlbauer (CSU) fragte nach, wer über die Verteilung der „besetzbaren“ Kita-Plätze entscheide. „Die Träger der Einrichtungen“, informierte der Bürgermeister: „Nach sozialen Gesichtspunkten, auf Grundlage ihres Betreuungskonzeptes, der gewünschten Betreuungszeiten und der Betriebsvereinbarung.“
Andrea Rosner (Grüne) forderte eine Bildungsoffensive des Freistaates. Sie kennt den Fachkräftemangel aus dem Klinikalltag und hatte keinen ermunternden Vergleich: „Es wird 15 Jahre dauern, ehe wir die Versäumnisse in der Ausbildung aufholen.“


