Wichtig für Orthopädie-Patienten
Spektakulärer Coup: Warum der „Müller-Wohlfahrt von Wasserburg“ jetzt in Pfaffing praktiziert
Des einen Freud, des anderen Leid: Wasserburg verliert einen der bekanntesten Orthopäden im nördlichen Landkreis, Pfaffing bekommt ihn. Warum der Nachbargemeinde dieser Coup gelungen ist.
Pfaffing/Wasserburg – Teamarzt der höher-klassig spielenden Wasserburger Fußballer und Basketballerinnen, Notarzt der Bergwacht, konsiliarisch tätig für das kbo-Inn-Salzach-Klinikum: Dr. Jörg Schüler wird auch als der „Müller-Wohlfahrt“ von Wasserburg bezeichnet, in Anlehnung an den bekannten Arzt des FC Bayern. Doch vor genau einem Jahr drohte seiner Praxis die „Obdachlosigkeit“ und den Menschen im nördlichen Landkreis eine Versorgungslücke: Denn mit dem Einzug der Romed-Klinik in den gemeinsamen Neubau mit dem kbo-Inn-Salzach-Klinikum ging der vorher genutzte Gebäudekomplex an der Dr.-Martin-Geiger-Straße vom Romed-Verbund an den Landkreis Rosenheim zurück. Und der vermietete das Ex-Krankenhaus und auch das Nebengebäude, in dem Schülers Praxis beheimatet war, an die Regierung von Oberbayern. Die frühere Klinik wurde in eine Flüchtlingsunterkunft umgewandelt. Auch die Praxisräume von Schüler sollten geräumt werden.
Ein Hickhack mit Landkreis und Regierung von Oberbayern begann, Schüler gelang es mehrfach, einen Aufschub für den Auszug zu bekommen, denn die Suche nach Ersatzräumlichkeiten gestaltete sich sehr schwierig. Mal waren sie nicht groß genug, mal gab es statische Probleme, weil auch Großgeräte wie der Röntgen-Apparat einziehen müssen, mal stimmten die Konditionen nicht. Der Wegzug aus dem nördlichen Landkreis drohte.
Pfaffing legte sich „kräftig ins Zeug“
Doch so weit kam es nicht. Die Gemeinde Pfaffing wurde auf den verzweifelten Facharzt aufmerksam. Und legte sich nach dessen Angaben „kräftig ins Zeug“. Nach 30 erfolglos angeschauten Objekten kam nach Angaben von Schüler endlich das entscheidende Angebot: ein Haus an der Hauptstraße 7 in Pfaffing. Das Erdgeschoss mit seinen 250 Quadratmetern Nutzfläche ist seit eineinhalb Jahren in Besitz der Kommune. Vorher war hier ein Edeka-, dann ein Schlecker-Markt, zuletzt ein Aquaristik-Geschäft. Als dieses schloss, entschied sich die Gemeinde, diesen Teil der Immobilie im Herzen des Dorfes zu erwerben – in der Hoffnung, einen interessanten Mieter zu finden, so Bürgermeister Josef Niedermeier.
„Joint Invest“ nennt der Rathauschef, der vorher in der freien Wirtschaft in führenden Positionen tätig war, diesen Kauf. Ein Ausdruck aus der Business-Sprache, der für eine Unternehmung steht, die Partner gemeinsam anpacken, und der typisch für Niedermeier ist. Er betont stets, eine Kommune müsse wie ein Unternehmen geführt werden. Und strategisch denken sowie handeln: sich also auch die Sahneschnittchen unter den Immobilien in einer Gemeinde sichern, um das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen.
Niedermeier hatte nach eigenen Angaben von Anfang an im Kopf, an einen Interessenten zu vermieten, der eine Praxis eröffnen könnte. Er kommt aus der Software-Branche, war verantwortlich für medizinische IT-Entwicklungen. Im Bereich Gesundheitsversorgung hat Pfaffing in seinen Augen „Nachholbedarf“. Es gibt zwar mit Dr. Michael Hartmann einen Hausarzt im Dorf, auch eine Apotheke, mehr jedoch nicht. Grundsätzlich gilt die Region jedoch kassenärztlich als überversorgt.
„Wir wollen Sie!“
Die Gemeinde lud Schüler ins Rathaus und unterbreitete dem Orthopäden ein Angebot. „Man hat mir signalisiert: Wir wollen Sie, was können wir tun?“, sagt Schüler nach wie vor verwundert. Denn bei der Suche nach einem neuen Standort war er sich nach eigenen Angaben oft eher als Bittsteller vorgekommen. Anders in Pfaffing: „Da war sofort Zug dahinter“, erinnert sich der Orthopäde. Neun Monate nach dem ersten Gespräch konnte er am 2. April seine neue Praxis eröffnen. Der Vermieter, die Gemeinde, baute die Räumlichkeiten, eine Halle, in eine Praxis mit mehreren Räumen um, sanierte die Decke, ließ neue Fenster in die Fassade schneiden, übernahm die Ausrüstung mit Energie- und Klimatechnik, und Bodenverlegung sowie die Schaffung von Parkplätzen, berichten er und Niedermeier. Schüler investierte zusätzlich nach eigenen Angaben einen niedrigen sechsstelligen Betrag in Zusatzeinrichtungen.
Der Bürgermeister nennt den Einzug eine „win-win-win-Situation“ – ein Hattrick also: Die Kommune tue etwas für das Gemeinwohl. Der Niedergelassene habe einen Standort mit Zukunft, die Bürger einen für viele Einheimische sogar fußläufig erreichbaren Facharzt, der auch das Umland betreue. Pfaffing werde weiter belebt, ist Niedermeier überzeugt.
Risiko- und Kooperationsbereitschaft
Wasserburg hat jedoch die begehrte Kassenzulassung verloren. Niedermeier verhehlt jedoch nicht, dass der Weg des Immobilienkaufs steinig war. Das Objekt an der Hauptstraße stand einige Zeit leer. „Es gab skeptische Fragen zwischenzeitlich“, bekennt er. Der Bürgermeister spricht von der Notwendigkeit zu einer „gewissen Risikobereitschaft“, gepaart mit vorausschauendem Denken, die er und der Gemeinderat mitbringen mussten. Außerdem sei die Kooperationsbereitschaft wichtig.
Schüler sagt: „Allen Beteiligten hatten Lust auf dieses Projekt.“ Die Umsetzung sei deshalb geprägt gewesen von einer hohen Agilität. Die Gemeinde sei täglich auf der Baustelle präsent gewesen, immer ansprechbar, die Zusammenarbeit zwischen Schüler-Architekt und Bauleiter der Kommune habe sehr gut funktioniert. Nur drei Werktage musste der Arzt schließen, um den Einzug zu stemmen, berichtet er. Dass er so lange noch im ehemaligen Krankenhaus in Wasserburg weiter praktizieren konnte, hat Schüler nach eigenen Angaben ebenfalls Niedermeier zu verdanken. Dieser habe beim Landrat einen weiteren Aufschub des Auszugs erreicht. „Pfaffing habe ich es zu verdanken, dass ich mit meinem Team nicht auf der Straße stand.“
„Ein großer Glücksgriff für Pfaffing“
Niedermeier betont jedoch, nicht nur „der Business-Case“ habe die Kommune überzeugt. „Dr. Schüler ist für Pfaffing ein großer Glücksgriff, ein Segen für die medizinische Versorgung im Dorf.“ Der Orthopäde hat nach eigenen Angaben 1.000 Patientenkontakte im Monat. Die Praxis sei bereits für sechs Wochen ausgebucht, „wir laufen über“, sagt er. Die Stamm-Patienten kämen auch von weiter her – bis aus Ebersberg, Dorfen, Grafing, aus dem gesamten Altlandkreis Wasserburg.

