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Patienten-Versorgung in Gefahr?

Nach Auszug von Romed: Warum einem Wasserburger Orthopäden die „Obdachlosigkeit“ droht

In Sorge: die medizinischen Fachangestellten der orthopädischen Facharztpraxis (von links) Katharina Fußstetter, Maria Stadler, Melanie Asböck, ihr Chef  Dr. Jörg Schüler, und Bettina Haumeier sowie Paula Pittroff.
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In Sorge: die medizinischen Fachangestellten der orthopädischen Facharztpraxis (von links) Katharina Fußstetter, Maria Stadler, Melanie Asböck, ihr Chef Dr. Jörg Schüler, und Bettina Haumeier sowie Paula Pittroff.

„Stehen wir am 1. April auf der Straße?“, fragt sich Dr. Jörg Schüler. Der Wasserburger Orthopäde muss die vom Landkreis angemieteten Räume der Ex-Romed-Klinik verlassen und sucht verzweifelt nach Ersatz. Warum das auch für die medizinische Versorgung eine schlechte Nachricht ist.

Wasserburg - Er hat etwa 1.000 Patientenkontakte im Monat, ist Mannschaftsarzt der höherklassig spielenden Fußballer und Basketballer in Wasserburg, also quasi der „Müller Wohlfahrt“ der Innstadt, außerdem Notarzt der Bergwacht, konsiliarisch tätig für das kbo-Inn-Salzach-Klinikum (ISK): Dr. Jörg Schüler gilt als einer der bekanntesten Orthopäden im nördlichen Landkreis Rosenheim. 2018 hat er seinen Kassenarztsitz von Bad Endorf nach Wasserburg verlegt, dort eine große Einzelarztpraxis mit 13 Mitarbeiterinnen - davon vier Auszubildende - aufgebaut.

Als er in das Nebengebäude der Romed-Klinik Wasserburg einzog, genannt „Klösterl“, weil hier früher Klosterschwestern tätig waren, wusste er bereits, dass es ein Aufenthalt auf Zeit wird. Denn schon damals stand fest, dass der Romed-Klinikverbund das Gelände verlassen wird. Schüler sollte mit umziehen in den gemeinsamen Neubau mit dem ISK, berichtet er. Doch daraus wurde nichts, weil die Romed-Klinik das Leistungsspektrum mit Gefäßchirurgie und Herzkatheterlabor erweitert hat und mehr Platz benötigt als geplant, so Schüler.

Als der Landkreis, der das Gelände vom Romed-Klinikverbund nach dem Auszug wieder übernahm, den Mietvertrag mit Schüler im Februar 2022 fristgerecht zu Ende des Jahres kündigte, war dies für den Niedergelassenen also keine Überraschung.

Schüler war überzeugt: „In einem Jahr schaffe ich es, Ersatz zu finden.“ Mitnichten, musste er aber feststellen. Etwa 15 Objekte hat Schüler bis dato angeschaut und auf Realisierungschancen hin überprüft, 300 bis 400 Gespräche geführt, die im PC protokolliert wurden. Seitenweise scrollt er runter, kaum ein Tag ohne Gespräche, Konferenzen, Verhandlungen. „Ich bin mittlerweile ein Immobilienexperte geworden, kenne in Wasserburg jeden freien Quadratmeter Gewerberaum“, berichtet er schmunzelnd, obwohl ihm eigentlich gar nicht zum Lachen zumute ist.

Die verlassene Ex-Romed-Klinik in Wasserburg: Übergangsweise wird sie Flüchtlingsunterkunft, auf Dauer abgerissen. Hier soll ein neues Wohngebiet entstehen.

Schüler hat auch seine vielen Kontakte genutzt, um voran zu kommen - etwa über das Ärztenetzwerk Rosenheim, in dem er Mitglied ist. Doch es war bisher nichts Geeignetes dabei. Mal waren die Räumlichkeiten zu klein, mal zu groß, mal Investitionen in Umbaumaßnahmen, die er selber nicht mehr unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten tragen kann. Auch eine Übergangslösung komme für ihn eigentlich nicht infrage, bedauert Schüler. Denn er hat medizinische Großgeräte wie die Röntgen-Apparatur, die mit umziehen müssen - für jedes benötigt er bei jedem Ortswechsel, auch wenn es nur um eine kurze Zeitspanne geht, extra eine Zulassung und Abnahme, sagt er.

Droht eine Versorgungslücke?

Dass er nicht zum Jahreswechsel auf der Straße stand mit seiner Praxis, hat Schüler nach eigenen Angaben auch dem Einsatz der Wasserburger Stadträtin Irene Langer zu verdanken. Sie habe durch ihre Intervention einen Aufschub erreicht - es gab einen Übergangsmietvertrag mit dem Landkreis bis zum 31. März. Dieser Termin rückt immer näher. Eine Lösung sei bis zum 1. April nicht zu realisieren. Schüler benötigt einen Aufschub.

Dabei gehe es nicht nur um ihn als Freiberufler, der das unternehmerische Risiko selbstverständlich tragen müsse, wie er betont, sondern darum, dass eine Versorgungslücke drohe. Denn es bestehe die Gefahr, dass bei einem Weggang seinerseits oder einer Umorientierung der Kassenarztsitz in Wasserburg verloren gehe. Mit Schüler stünden quasi auch seine Patienten auf der Straße und müssten sich eine Alternative suchen. Das sei ein Problem, denn der nördliche Landkreis sei ohnehin eher unterrepräsentiert gegenüber dem südlichen bei der medizinischen Versorgung, so der Orthopäde. „Ich habe einen Versorgungsauftrag, dem ich ab April nicht mehr nachkommen kann, wenn es keine Lösung gibt.“

Die Situation sei schon schwer genug. Patienten müssten aufgrund des Ärztemangels oft vier bis sechs Wochen auf einen Termin warten. Auch bei den niedergelassenen Orthopäden gebe es aufgrund der Altersstruktur ein großes Nachwuchsproblem. Ein Blick in die Statistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zeigt, dass in der Tat bereits 2021 über 40 Prozent aller niedergelassenen Orthopäden im Alter zwischen 50 und 59 waren.

Wunsch: ein weiterer kleiner zeitlicher Aufschub

Schüler möchte auch deshalb bleiben. Und hofft auf einen weiteren zeitlichen Puffer mit Verlängerung des Mietvertrags mit dem Landkreis um drei bis sechs Monate. Der Orthopäde und Unfallchirurg kann gut verstehen, dass der Landkreis die von Romed verlassenen Räumlichkeiten und das von der Praxis genutzte Nebengebäude dringend benötigt. In Zukunft ist auf dem Areal ein neues Wohngebiet geplant, die alte Klinik wird abgerissen. Übergangsweise sollen die Räume als Flüchtlingsunterkunft. dienen. Diese Nutzung gab es schon einmal für das „Klösterl“, in dem - noch - die orthopädische Praxis untergebracht ist. Der Niedergelassene weist jedoch darauf hin, dass es im leeren Ex-Klinikhaus ein früher dort untergebrachtes medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) gebe. „Nur zehn Meter entfernt von uns gibt es bereits geräumte, voll ausgestattete Räumlichkeiten, die meiner Ansicht nach sogar brandschutztechnisch von der alten Klinik getrennt sind. Wie kann es da sein, dass ausgerechnet wir jetzt auf den Tag genau ausziehen müssen?“, fragt er sich.

Sein Wunsch: ein runder Tisch aller Beteiligten. „Ich will nichts geschenkt haben. Ich ziehe aus und verstehe auch, dass es notwendig ist. Doch die medizinische Versorgung der Bevölkerung im nördlichen Landkreis kann doch nicht an ein paar Monaten scheitern. Stand jetzt stehen wir in fünf Wochen auf der Straße.“

Personal verunsichert

Die Situation verunsichere außerdem das Team, bedauert Schüler. Er habe versprochen, dass die Mitarbeiterinnen weder Kurzarbeit machen müssten noch entlassen würden. Nun hofft er darauf, dass das Personal ebenfalls durchhält. „Ich habe ein super eingearbeitetes, stabiles, tolles Team. Ich fange wieder bei null an, wenn Mitarbeiterinnen kündigen“, warnt er angesichts des akuten Fachkräftemangels auch im Bereich der medizinischen Fachangestellten (Arzthelferinnen).

Das sagt das Landratsamt

Das Landratsamt Rosenheim stellt auf Anfrage der Wasserburger Zeitung zum Fall fest, dass die Behörde zu privatrechtlichen Mietverträgen keine Auskunft geben könne. „Fakt ist, dass wir Herrn Dr. Schüler bisher immer und in jeglicher Form entgegengekommen sind. Wir werden die Bedürfnisse und Interessen von Dr. Schüler auch weiterhin nach Möglichkeit würdigen“, so Pressesprecherin Ina Krug. Es sei inzwischen allgemein bekannt, dass das gesamte Areal des ehemaligen Klinikstandortes in Wasserburg für die Unterbringung von geflüchteten Menschen genutzt werden solle. Aktuell befinde sich der Landkreis noch in Gesprächen mit der Regierung von Oberbayern, „sodass wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Angaben dazu machen können, ab wann und in welcher Form die Nachnutzung erfolgen kann“, so das Landratsamt weiter.

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