Der achte Tag im „Eiskeller-Mordprozess“
„Krieg‘ jetzt noch eine Gänsehaut“: Zeugen über Hannas Todesnacht und was danach geschah
Traunstein/Aschau i. Chiemgau – Im Prozess gegen Hannas mutmaßlichen Mörder sagen weitere Zeugen aus: Es werden Gäste aus dem Club „Eiskeller“ erwartet, die dort zur gleichen Zeit wie die Studentin feierten. Manche sollen sogar den gleichen Weg nach Hause genommen haben: Ob sie etwas beobachten konnten?
Das Wichtigste in Kürze:
Update, 15 Uhr – Wann erfuhr Aschau von Hannas Tod?
Nun sagt ein 19-jähriger Zeuge aus Aschau aus. Er soll am 3. Oktober 2022 beim Nachbarn des Angeklagten „vorgeglüht“ haben. Sebastian T. kennt er aber nicht besser, und kann so nichts Näheres über ihn sagen. Der Zeuge wird also hauptsächlich dazu befragt, wie und wann sich die Nachricht von Hannas Tod in Aschau verbreitete. Er selbst will am 4. Oktober gegen 0:00 Uhr über eine WhatsApp-Gruppe erfahren haben, dass Hanna W. tot in der Prien gefunden worden war. Auf diese Nachricht hin, habe er in einer weiteren Gruppe von Aschauern nachgefragt, ob diese Nachricht wahr sei.
Richterin Jacqueline Aßbichler stellt anhand eines Bildschirmfotos fest, dass der Zeuge diese Frage um 0.10 Uhr versandte. Eine Bekannte von Hanna hatte vorher berichtet, dass der Freundeskreis der Studentin noch bis etwa 23 Uhr auf einer WhatsApp-Gruppe rätselte, wo sie sein könnte. Eigentlich hatte Hanna vorgehabt, noch ein Fest zu besuchen, so die Zeugin. „Wir haben dann erst gegen 23:30 Uhr über Leute vom Eiskeller erfahren, dass Hanna tot aufgefunden wurde.“
Identifikation nur eineinhalb Stunden vorher
Nach Hannas Identifikation durch die Polizei um 22.08 Uhr dauerte es also nur etwa eineinhalb Stunden, bis sich die Nachricht über Hannas Tod in Aschau verbreitete. Dennoch wird durch die Zeugenaussagen klar, dass niemand vor 22 Uhr davon gewusst haben konnte, dass eine Aschauerin ums Leben gekommen – geschweige denn „umgebracht worden“ war. Weil Sebastian T. seiner besten Freundin aber bereits am Abend des 3. Oktober erzählt haben soll, dass „in Aschau ein Mädchen umgebracht wurde“, lenkt das den Verdacht in doppelter Hinsicht auf ihn:
Nicht einmal die Polizei wusste am Abend des 3. Oktobers, dass in Aschau ein Mädchen ums Leben gekommen war. Auch von „umgebracht“ war zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede. Erst durch eine Pressemitteilung der Polizei und die Zeugenvernehmungen ab dem 4. Oktober wurde der Öffentlichkeit bekannt, dass es sich wohl um ein Tötungsdelikt handelte.
Die Vorsitzende Richterin gibt dann bekannt, dass die Einvernahme von Zeugen für heute beendet ist. Am nächsten Verhandlungstag, dem 9. November, werden weitere Zeugen erwartet, die am 3. Oktober im Eiskeller waren.
+++ chiemgau24.de berichtet auch dann wieder live aus dem Gerichtssaal +++
Update, 13.15 Uhr – Ergreifende Worte von Hannas Freundin
Eine gute Freundin von Hanna sagt nun aus: Sie sagt, die Medizinstudentin sei „der liebenswürdigste, lustigste und unkomplizierteste Mensch gewesen“, den sie gekannt habe. Nicht nur der Zeugin kommen die Tränen. Eine emotionale Woge geht durch den Gerichtssaal. Die Vorsitzende Richterin macht eine respektvolle Pause und befragt die Zeugin dann weiter.
Hannas Freundin sei selbst nicht im Eiskeller gewesen, aber von „Stalking“ oder irgendeinem Ärger mit einem männlichen Verehrer habe Hannas Freundin nichts mitbekommen. Zur Frage, wie sich die 23-jährige Medizinstudentin verhalten habe, „wenn sie jemand genervt hat“, sagt die Zeugin: „Hanna war nie verletzend. Sie wäre einer solchen Situation aus dem Weg gegangen, hätte Hilfe geholt.“
Der übliche Heimweg, den Hanna vom Eiskeller nahm, führte entlang der beleuchteten Kampenwandstraße – nicht über den dunklen Kampenwand-Parkplatz. Dann sagt eine Zeugin aus, die zufällig eine Videoaufnahme auf ihrem Heimweg um 2:40 Uhr von der Schlossbergstraße über die Kampenwandstraße gemacht hat. Die Aufzeichnung zeigt wohl auch den Jogger mit Stirnlampe.
Update, 11.39 Uhr – Hanna lehnte mehrere Mitfahr-Angebote ab
Dann werden mehrere gute Bekannte von Hanna in den Zeugenstand gerufen, die auch in der fraglichen Nacht im Eiskeller waren. Man habe sich unterhalten, Hanna sei ein „ganz toller Mensch“ gewesen, und habe auch an diesem Abend sehr gute Laune gehabt. Man habe zusammen getrunken, getanzt und gefeiert. Eine junge Frau sagt, sie habe die Medizinstudentin gegen 2:15 Uhr am Ausgang des Clubs getroffen, und sich dort noch mit ihr unterhalten.
„Ich hab sie gefragt, ob wir sie mitnehmen sollen“, sagt die Zeugin. Hanna habe abgewunken und gesagt, sie komme schon heim. Die Zeugin sagt aus, dass Hanna mit ihrem Nachbarn heimgehen wollte. „Sie hatte das Handy in der Hand und ich dachte, dass sie mit jemandem wegen des Heimgehens schreibt.“ Eine weitere Bekannte sagt aus, dass sie Hanna an der Garderobe getroffen habe, wo ihr die an der Seite aufgerissene Lederhose aufgefallen sei. Man habe die Unterwäsche sehen können und Hanna habe versucht, die Hose festzuhalten, als sie nach der Garderobenmarke suchte.
Hanna habe etwas geschwankt und gelallt. Auch sie habe der Studentin angeboten, sie mitnehmen zu können. „Wo ich sie gefragt habe, wo das mit der Hose hergekommen ist, hat sie nicht geantwortet“, so die Zeugin. Hier fragen die Verteidiger genauer nach, die Zeugin ist aber der Meinung, dass Hanna nur so stark mit dem Festhalten der Hose und dem Suchen der Marke beschäftigt war, dass die Frage unterging. Beim Verlassen des Clubs habe die Zeugin einen jüngeren braunhaarigen Mann neben Hanna wahrgenommen, den diese wohl kannte.
Update, 10.45 Uhr – „Ich krieg jetzt noch eine Gänsehaut“
Nun wird eine Rentnerin in den Zeugenstand gerufen, die sich in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 2022 in Aschau in einer Ferienwohnung aufhielt. Weil sie zur Toilette musste, sei sie im Halbschlaf aufgestanden und habe auf der Hälfte des Weges einen „schrecklichen Schrei“ gehört. Es sei zwischen 2:20 und 2:35 Uhr gewesen. Die Zeugin sagt, sie habe weiterhin die Augen zugehalten, um schnell wieder weiterschlafen zu können.
Der Angeklagte folgt den Aussagen der Zeugin mit offenen Ohren. Aufmerksam verfolgt er jedes Wort, während Hannas Mutter sichtlich um Fassung kämpft, als die Vorsitzende Richterin die Zeugin näher zur Art des Schreis befragt. Erst in den folgenden Tagen habe die Frau realisiert, dass sie etwas Wichtiges gehört haben könnte. „Es war ein ganz schrecklicher Schrei. Ich kriege jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke.“
Laut der Zeugin, habe es sich angehört, als sei eine junge Frau unvermittelt von hinten angegriffen worden. „Es war so plötzlich und völlig unkontrolliert.“ Die Rentnerin sagt, vom Balkon ihrer Ferienwohnung schaue man Richtung Schloss Hohenaschau, und wenn jemand den Burgweg passiere, höre man jedes Wort der Unterhaltung. In der Nacht habe die Balkontür offen gestanden. Erstmals hat der blasse Angeklagte nun etwas Farbe im Gesicht.
Update, 10.07 Uhr – Angeklagter aus „schwierigen Familienverhältnissen“?
Der achte Prozesstag beginnt mit etwas Verspätung. Während im Gerichtssaal auf das Eintreten der Kammer gewartet wird, fokussieren sich die Blicke des Publikums auf den Angeklagten. Sebastian T. sitzt in seiner Winterjacke auf der Anklagebank – er wirkt angeschlagen, sein Blick bleibt stets vom Publikum und Hannas Eltern abgewandt. Beim Betreten der Kammer erheben sich die Anwesenden. Hannas Mutter greift nach der Hand ihres Ehemanns – die Vorsitzende Richterin setzt die Verhandlung fort.
Sie informiert die Anwesenden über den Inhalt eines Gesprächs mit der Verteidigung. Rechtsanwalt Harald Baumgärtl wolle die Widersprüche in den Aussagen der Schulfreundin seines Mandanten durch eine konfrontative Befragung der Zeugin aufklären. Weil der Angeklagte aus schwierigen Familienverhältnissen stamme, fragte der Verteidiger an, ob diese noch genauer untersucht werden sollen. Außerdem interessierte die Verteidigung das infrage kommende Strafmaß.
Dazu habe die Kammer aber keinerlei Angabe gemacht. Richterin Aßbichler hob hervor, dass sowohl eine Körperverletzung mit Todesfolge bis hin zum Mord infrage komme – sollte es überhaupt zu einer Verurteilung kommen. Die Richterin kündigte an, dass auch die Geodaten der Smartphones noch einmal angeschaut werden sollen und für die Vernehmung der besten Freundin und ihrer Schwester noch weitere Tage angesetzt werden müssten.
Kurze statt lange Jogginghose?
Dann wird die erste Zeugin in den Saal gerufen. Es handelt sich um eine 28-jährige Frau, die am 3. Oktober 2022 um 2:20 Uhr aus dem Eiskeller und zu ihrem Auto auf dem Eiskeller-Parkplatz ging. Dabei soll sie einen Jogger passiert haben. Wie genau der Läufer aussah und was er anhatte, kann die Frau heute nicht mehr sagen. Bei der polizeilichen Vernehmung hatte sie angegeben, dass er eine kurze Hose anhatte. Sie sagt, es habe in der besagten Nacht schon „geschüttet“. Beim Verlassen des Clubs habe es aber nur noch genieselt.
Ein weiterer Zeuge wird in den Saal gerufen. Der 31-Jährige wollte am 3. Oktober 2022 seine Freundin vom Club Eiskeller abholen und wartete am Eiskeller-Parkplatz auf sie. Nachdem er um 2:12 Uhr am Parkplatz angekommen war, fiel dem Zeugen ein Jogger auf. Es soll genieselt haben, der Läufer habe eine kurze Hose und einen Windbreaker getragen – aber keine Kopfbedeckung. Er beschrieb ihn als drahtigen Typen mit hellem Teint im Alter von 25 bis 30 Jahren.
Vorbericht
Der achte Verhandlungstag im Prozess gegen Sebastian T. beginnt, und weder die Gutachten der Rechtsmedizin noch DNA-Analysen konnten bisher handfeste Hinweise auf den vermeintlichen Mörder von Hanna liefern. Auch die Auswertung von Smartphone-Daten brachte wenig. Es bleiben wohl einzig und allein die Zeugenaussagen, die den 21-jährigen Aschauer mit dem gewaltsamen Tod der Medizinstudentin in Verbindung bringen.
Zuerst wurde der Angeklagte von der Polizei nur als Zeuge gesucht: Mit Stirnlampe, Windbreaker und kurzer Hose soll er in Hannas Todesnacht (3. Oktober 2022) zwischen 2 und 3 Uhr morgens von Zeugen im Bereich des Eiskellers und der Kampenwandstraße gesichtet worden sein. Seine Mutter war es, die ihn einen Tag nach dem Aufruf, am 20. Oktober um 6:52 Uhr bei der Polizei meldete: So konnte Sebastian T. am 21. Oktober vernommen werden. Der junge Mann mit sehr blassem Teint habe nervös gewirkt, sein Jogging-Outfit frisch gewaschen gerochen. Sachdienliche Hinweise konnte er jedoch keine liefern.
Verriet sich der Angeklagte selbst?
„Da wird ihr schon einer was draufgehauen haben“, soll der Azubi gegenüber den Soko-Beamten damals gesagt haben. Erst bei der Anklageverlesung wurde öffentlich, dass auf Hannas Kopf mindestens fünfmal mit einem Stein eingeschlagen worden war. Bewusstlos soll sie der mutmaßliche Mörder in den Bärbach gestoßen haben, in dem sie Minuten später ertrank. Etwa 12 Stunden, war ihr Leichnam dem wilden Hochwasser ausgesetzt – gefunden wurde er in der Prien. Dass es sich bei der jungen Frau um Hanna W. aus Aschau handelte, konnte erst um 22:08 Uhr festgestellt werden. 30 Minuten später erfuhr die Familie der Studentin von ihrem Tod.
Gab Sebastian T. Täterwissen preis?
An diesem Punkt kommt Sebastian T.s engste Freundin ins Spiel: Mit ihr soll er sich noch am gleichen Abend – also vor der Identifizierung der Leiche – am Eiskeller-Parkplatz zu einem Spaziergang getroffen haben. „Hast Du gewusst: letzte Nacht ist ein Mädchen in Aschau umgebracht worden?“ soll der Angeklagte die Zeugin gefragt haben, und „dann hat er ein Messer aus der Hosentasche genommen, es mir an den Hals gehalten und gesagt ‚Haha, jetzt bring‘ ich Dich um‘.“ Wenige Stunden vor seiner Festnahme am 18. November soll er ihr vor ihrer Mutter und Schwester gestanden haben: „Ja, dann war ich’s halt.“
„Er hatte sexuelles Interesse an ihr“
Auch ein Mitgefangener des Angeklagten sagte aus, dass Sebastian T. ihm die Tat gestanden habe: „Er hatte sexuelles Interesse an ihr und hat sie bewusstlos geschlagen, damit sie sich nicht wehren konnte“, so der Häftling. Die Inhalte und der „Wert“ der beiden Zeugenaussagen dürften von der Verteidigung stark bestritten werden. Es ist zu erwarten, dass die ehemalige Freundin des Angeklagten noch stark unter Beschuss gerät. Auch eine Vereidigung des Mitgefangenen könnte noch anstehen. Für den heutigen Prozesstag werden aber hauptsächlich Zeugen aus der Diskothek „Eiskeller“ erwartet: Manche sollen auf dem gleichen Weg wie Hanna nach Hause gegangen sein.

