Prozess um mutmaßlichen Mord an Hanna W. aus Aschau
Richterin gibt nicht auf: „Herr T., das ist der letzte Punkt, an dem Sie sich entscheiden können“
Sie ist eine der wichtigsten Zeuginnen im „Fall Hanna“ - denn der Angeklagte könnte ihr schon kurz nach der Tötung exklusives Täterwissen offenbart haben: Nachdem eine 21-jährige Schulfreundin von Sebastian T. beim letzten Mal komplett verunsichert war, muss sie heute erneut aussagen. Jedoch unter anderen Bedingungen.
Update, 15 Uhr – Sebastian T. lässt Gelegenheit verstreichen
Die gute Freundin des Angeklagten wird nochmal vor Gericht erscheinen müssen, um als Zeugin auszusagen. Ein Termin steht noch nicht fest. Doch sicher ist: dann wird sie sich bohrenden Nachfragen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung stellen müssen. Die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler versucht jetzt, das zum Anlass zu nehmen und spricht Sebastian T. direkt ins Gewissen.
„Herr T., das ist der letzte Punkt, an dem Sie sich entscheiden können, wie Sie weitermachen wollen. Soll Ihre Freundin nochmal durch diese Mühle gedreht werden oder wollen Sie eine Erklärung abgeben?“ Der Angeklagte zögert, sagt nichts. Seine Verteidiger Markus Frank und Harald Baumgärtl schütteln mit dem Kopf.
Aßbichler lässt nicht locker. Sie versucht dem Angeklagten klarzumachen: „Wir haben ja eine Bandbreite. Vom kaltblütigen Mord bis zur Verzweiflungstat. Denken Sie nochmal darüber nach. Denn Ihre Freundin wird durch die Mangel genommen werden durch die Verteidiger... Und wenn man was gemacht hat, muss man dazu stehen.“ Sebastian T. und seine Verteidiger werden auch diese Gelegenheit heute wieder verstreichen lassen.
Zeugin hatte ein „komisches Gefühl“
Zwei weitere Zeuginnen werden jetzt geladen. Eine 20-Jährige aus Baden-Württemberg. Anfang 2021 lernte sie den Angeklagten in einem Pfadfinderlager kennen. Obwohl die beiden im Anschluss nicht viel Kontakt hatten, besuchte er sie im Herbst 2022. Ans genaue Datum, ob es vor oder nach der Tat war, kann sie sich nicht mehr erinnern. Doch am zweiten Tag des Treffens bekam die 20-Jährige dann ein „komisches Gefühl“ beim Angeklagten. Sie brach den Kontakt komplett ab.
Warum dieses „komische Gefühl“? Hat Sebastian T. ihr etwas angetan oder sich seltsam verhalten? Begründen kann sie all das nicht. Auch nicht, warum sie Blickkontakt hinüber zur Anklagebank vermeidet. Ihre Mutter wird genauso befragt. Sie spricht von einem „netten Abend“, den man mit Sebastian T. zuerst hatte, doch am nächsten Tag hätte ihre Tochter keine Lust mehr auf ihn gehabt. Mit großen Fragezeichen über den Köpfen der Prozessbeteiligten werden die beiden wieder nach Hause geschickt, in die 500 Kilometer entfernte Heimat.
Der Prozess wird am kommenden Dienstag um 9 Uhr fortgesetzt. Dann werden Zeugen geladen, die wie Hanna W. vom 2. auf den 3. Oktober ebenfalls im „Eiskeller“ waren und teils auch den gleichen Weg wie sie gingen.
Update, 12.45 Uhr - „Was ich heute sage stimmt!“
Bildschirme werden im Sitzungssaal aufgebaut, die Technik wird geprüft: denn die Schulfreundin des Angeklagten, die als Zeugin aussagen wird, sitzt in einem Nebenzimmer des Gerichts. Per Video wird alles übertragen. Man will den Druck von ihr nehmen. Klappt es diesmal?
Man merkt der 21-Jährigen an: Sie weiß, es geht um viel. Um sehr viel. Doch heute spricht die junge Frau, die den Angeklagten als „guten Spezl“ bezeichnet, freier und flüssiger – auch wenn es mit der Technik im Sitzungssaal immer wieder hapert. Die Zeugin traf sich am 3. Oktober 2022 mit Sebastian T. Was ist an diesem Tagen passiert? Was hat er erzählt?
Hat Sebastian T. die Tat der Zeugin gestanden?
„Hast Du gewusst, letzte Nacht ist ein Mädchen in Aschau umgebracht worden“. So zitiert sie den Angeklagten. Gesagt haben soll er das am Abend des 3. Oktober, als man sich zum Spazierengehen am Eiskeller-Parkplatz traf. Auch wenn die Zeugin ihn dabei nicht ganz ernst nahm, Angst machte ihr es trotzdem. Und dem nicht genug: „Dann hat er ein Messer aus der Hosentasche genommen, es mir an den Hals gehalten und gesagt ‚Haha, jetzt bring‘ ich Dich um‘.“
Sollte das stimmen, hat sich Sebastian T. zu früh verraten und seiner Freundin Täterwissen offenbart. Denn am Abend des 3. Oktober stand der Tatort Aschau auch für die Polizei noch gar nicht fest. Aber kann man der jungen Frau glauben? Sie habe ihn „fett beschützt“ sagte sie in einer Sprachnachricht an eine Freundin, nachdem sie im November 2022 von der Polizei vernommen wurde. Und heute? „Damals bei der Polizei hab‘ ich untertrieben. Was ich heute sage, stimmt!“
„Das hat er mir einfach so gesagt“
Dann der 17. November, ein Tag vor der Festnahme des Angeklagten. Man saß bei der Angeklagten daheim zusammen, trank, quatschte. Dann war die getötete Hanna W. wieder Thema – und plötzlich platzte es aus dem Angeklagten heraus, wie seine Freundin erzählt: „Ja, dann war ich’s halt“, habe er gemeint. „Das hat er einfach so gesagt“, erinnert sich die Zeugin. Danach habe Sebastian T. Pfefferminzschnaps bis zum Erbrechen getrunken.
Überhaupt sei der Angeklagte in den gut sechs Wochen zwischen Tat und Festnahme „komisch“ geworden. Immer öfters habe er unangekündigt vorbeigeschaut, wollte bei der Familie der Zeugin übernachten – sogar vom „Verstecken“ spricht die junge Frau. „Das alles hat er sonst nie gemacht.“
Fest steht aber schon jetzt: die junge Frau wird noch einmal vernommen. Außer vom Gericht bekommt sie heute keine Fragen gestellt. Bis zur „Konfliktbefragung“, bei der unangenehme und bohrende Fragen von Verteidigung und Staatsanwaltschaft zu erwarten sind, will man ihr nochmal Zeit lassen. Zu wichtig sind ihre Aussagen – und zu unsicher wirkte sie bei ihren beiden Auftritten vor dem Traunsteiner Landgericht bisher.
Nun will die Richterin das Wort noch einmal an den Angeklagten persönlich richten – und drei weitere Zeuginnen aus dem Bekanntenkreis von Sebastian T. werden noch erwartet.
Vorbericht:
Traunstein/Aschau im Chiemgau - „Wir haben den Eindruck, Sie wollen den Angeklagten schützen“, fand Jacqueline Aßbichler, Vorsitzende Richterin im Mord-Prozess im „Fall Hanna“, deutliche Worte. Es ist gut zwei Wochen her, als eine gute Bekannte des Angeklagten schon einmal als Zeugin vor dem Traunsteiner Landgericht stand. Doch die 21-Jährige wirkte komplett verunsichert, brach in Tränen aus, widersprach sich. „Meine Hausaufgabe an Sie: Überlegen Sie sich, was damals wirklich war“, entließ sie die Richterin.
Verriet Sebastian T. Täterwissen an seine alte Schulfreundin?
Am heutigen Freitag ab 9 Uhr muss die junge Frau erneut aussagen - aber nicht mehr vor „versammelter Mannschaft“ im großen Gerichtssaal, sondern in einem Nebenraum. Die Vernehmung wird dann per Video ins Gericht übertragen. Im Prozess um die Tötung von Hanna W. spielt die 21-Jährige eine zentrale Rolle. Denn noch am Abend des 3. Oktober 2022 sei sie mit Sebastian T. spazieren gegangen - und er habe ihr erzählt, dass vorige Nacht eine junge Frau aus Aschau umgebracht worden sei. Zu dem Zeitpunkt war das aber in der Öffentlichkeit noch gar nicht bekannt. Der Angeklagte könnte also Täterwissen preisgegeben haben. Umso wichtiger für das Gericht, denn es gibt weder ein Geständnis, noch Zeugen der Tat.
Und nicht nur das: Auch über DNA-Spuren lässt sich die Tat nicht nachweisen, wie am Donnerstag (2. November) bekannt wurde. Eine Rechtsmedizinerin präsentierte dem Gericht das Ergebnis von 15 DNA-Gutachten - doch in keinem gab es Spuren bzw. Verbindungen zwischen dem Angeklagten und der getöteten Hanna W. Viele an Hannas Körper verloren sich wohl im reißenden Bach, in dem ihr Leichnam gefunden wurde. Und die Klamotten von Sebastian T. wurden erst dann sichergestellt, als sie längst gründlich gewaschen waren.
Der Angeklagte Sebastian T. ist 21 Jahre alt und stammt wie die Getötete aus Aschau im Chiemgau. Er machte eine Lehre zum Anlagenmechaniker und wird vom Typ her als eher ruhig und schüchtern beschrieben. Ein Mithäftling, der bereits vernommen wurde, meinte: Er hätte kein Sexualleben gehabt und von den Frauen öfter Körbe kassiert. Der Angeklagte hätte sich deshalb erniedrig und verletzt gefühlt. Laut Staatsanwaltschaft hätten ihn sexuelle Motive zur Tat getrieben.
Am 3. Oktober vorigen Jahres soll er Hanna W. auf ihrem Heimweg vom Club „Eiskeller“ bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen und sie dann in den Bärbach nahe der Kampenwandbahn geworfen haben. Dort ertrank die damals 23-Jährige. Sebastian T. war anfangs für die Polizei nur als wichtiger Zeuge interessant, da er zur Tatzeit als Jogger gesehen wurde. Am 17. November wurde er jedoch festgenommen, sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Die Anklage lautet auf Mord, mit einem Urteil wird vor Weihnachten gerechnet.
chiemgau24.de wird aktuell vom Prozess berichten.
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