Entscheidet Aussage den Prozess?
Paukenschlag im Mordfall Hanna aus Aschau: Ein neuer Zeuge könnte die Wende bringen
Wende im Mordprozess um Hanna aus Aschau? Der Staatsanwalt kündigt vor der 2. Jugendkammer des Landgerichts Traunstein einen neuen Zeugen an. Warum dessen Aussage den Indizienprozess entscheiden könnte. Und: Mit welcher Aussage sich der Angeklagte in der Zeugenvernehmung verraten hat.
- Staatsanwalt Wolfgang Fiedler kündigt einen neuen Zeugen an, dem der Angeklagte Sebastian T. seine Tat eingeräumt haben soll.
- Sebastian T.s Aussagen über Verletzungen am Kopf des Opfers könnten auf sein Täterwissen hindeuten.
- Beweisfotos zeigen den Angeklagten in Jogging-Outfit. Zeugen hatten ihn jedoch in kurzer Hose gesehen. Sollten Spuren verwischt werden?
Traunstein – Auf 28 Verhandlungstage war der Mordprozess gegen Sebastian T. angesetzt worden. Nach diesem Paukenschlag werden es womöglich erheblich weniger. Staatsanwalt Wolfgang Fiedler gab am Morgen des dritten Prozess-Tags (17. Oktober) am Landgericht Traunstein eine überraschende Erklärung ab: Es gebe einen Mithäftling, dem gegenüber Sebastian T. den Mord an Hanna eingeräumt habe.
Die Angaben, die der Mann in einer Vernehmung durch die Kripo gemacht habe, seien „werthaltig“, sagte Fiedler. Die Verteidiger von Sebastian T., Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank, beantragten daraufhin eine Unterbrechung der Verhandlung, auch um sich mit Staatsanwälten und Richterin zu besprechen. Für die Befragung des neuen Zeugen setzte die vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler anschließend einen Zusatztermin an: Dienstag, 24. Oktober.
Richterin redet dem Angeklagten ins Gewissen
Hanna W. war am frühen Morgen des 3. Oktober 2022 nach einer Party im Club „Eiskeller“ in Aschau auf dem Fußweg zu ihrem Elternhaus erschlagen worden. Am 18. November 2022 war der damals 20-jährige Sebastian T., ebenfalls aus Aschau, festgenommen worden. Er muss sich seit 12. Oktober 2023 vor der zweiten Jugendkammer des Landgerichts Traunstein verantworten. Der Vorwurf lautet auf Mord aus Heimtücke.
Zu Beginn des dritten Verhandlungstags redete die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler dem Angeklagten dringend ins Gewissen. Es sehe so aus, als sehe er den „Ernst der Lage“ nicht. Am Donnerstag (19. Oktober) seien wichtige Aussagen von zwei seiner Freundinnen zu erwarten, „Ihre besten Freundinnen in einem Bekanntenkreis, der nicht sehr groß war“.
Auf den beiden Frauen werde enormer Druck lasten, seitens des Gerichts, aber auch seitens der Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Sebastian T. solle ihnen die Aussage, wenn möglich, ersparen. „Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann sagen Sie es davor“, mahnte Aßbichler nochmals; „danach ist es nicht mehr großartig wertvoll.“
Sebastian T. gab Täterwissen preis
Aßbichler machte Sebastian T. auch darauf aufmerksam, dass er bereits bei seiner Vernehmung noch als Zeuge eine verräterische Aussage gemacht habe. Davon hatte eine Polizistin in ihrer Aussage vor Gericht berichtet, die Sebastian T. im Oktober vergangenen Jahres noch als Zeugen vernommen hatte. Der heute 21-Jährige hatte ihr eine Rekonstruktion der Tat geschildert, angeblich als Vorstellung in seiner Phantasie. Hanna sei halt vielleicht mit jemandem aneinandergeraten, und der habe ihr auf den „Kopf gehauen“.
Dieses Detail, die Verletzungen an Hannas Kopf, waren aber überhaupt erst mit der Vorlage der Anklageschrift Anfang Oktober an die Öffentlichkeit gelangt. Woher also wusste Sebastian T. davon? Sebastian T. habe bei seiner Aussage als Zeuge immer wieder glaubwürdige Erklärungen nachgeliefert, berichtete die Beamtin, die im Oktober 2022 diese und andere Aussagen des jungen Aschauers aufgenommen hatte. Er war von Zeugen in der Tatnacht beim Joggen beobachtet und von der Polizei zwei Wochen nach der Tat zunächst lediglich als Zeuge befragt worden.
Ein Detail im Mordprozess erhält nun Gewicht
Die Angaben des damals 20-Jährigen wurden bei den beiden Befragungen offenbar noch nicht zwingend als Täterwissen eingestuft. Im Zusammenspiel mit anderen Indizien erhält das Detail nun aber neues Gewicht. „Es ist ein kleines Mosaiksteinchen“, sagte die souveräne Vorsitzende Richterin. „Man muss sich aber schon fragen: Ist es Täterwissen, oder haben Sie hellseherische Fähigkeiten?“
Fotos vom Angeklagten als Jogger
Außerdem kamen am Dienstag (17. Oktober) Polizeibeamte zu Wort, die im Fall Hanna ermittelten. Ein Polizist präsentierte Fotografien, die während der Zeugenvernehmung von Sebastian T. gemacht worden waren. Sie zeigten einen drahtigen jungen Mann mit Bürstenhaarschnitt und ernstem Blick, wesentlich schlanker als in der Gegenwart. Die Polizei hatte die Zeugen gebeten, in der Kleidung zu erscheinen, die sie an jenem Abend getragen hatten. Fotos zeigen Sebastian T. daher auch in Jogging-Klamotten: Stirnlampe, schwarze Sportjacke, beige-gelbe Laufschuhe, lange dunkle Hose. Vor allem die Hose könnte noch eine Rolle spielen: Zeugen hatten ihn in kurzer Hose beschrieben. Wies sie so deutliche Spuren auf, dass sie Sebastian T. nicht zu seiner Zeugenaussage mitbringen wollte?
Als die Fotos gemacht wurden, hatte ihn die Polizei dennoch schon auf dem Schirm. Nachforschungen der Polizei im kleinen Bekanntenkreis ergaben dann noch stärkere Verdachtsmomente. Eine Freundin noch aus Schulzeiten T.s habe von Äußerungen des Angeklagten berichtet, die „kann nur ein Täter wissen oder ein Tatbeteiligter“, sagte der Polizeibeamte. So kam es schließlich zur Festnahme am 18. November und zur anschließenden Durchsuchung seines Zimmers im Elternhaus und seines Autos.
Ein auffälliger junger Mann
Weitere Polizeibeamte äußerten sich zu den Zeugenaussagen der jungen Frauen und deren Mutter. Demnach verhielt sich Sebastian T. im Herbst 2022 durchaus auffällig. Er habe an manchen Abenden viel getrunken, sei auch untypischerweise beim Rauchen gesehen worden, habe dunkle Andeutungen gemacht und einer der Schwestern „spaßeshalber“ mit einem Taschenmesser gedroht: „Ich bring‘ dich um.“ Und er habe am Abend vor der Festnahme gesagt: „Ja, ich war‘s, ich hab‘ sie umgebracht.“ Die Mutter bestätigte diese Aussage am Nachmittag vor dem Landgericht.
Die Schwester von Sebastian T.s Bekannter erinnerte sich am Dienstag (17. Oktober), dass sie, ihre Schwester und Sebastian T. am 3. Oktober 2022, dem Tag der deutschen Einheit, unterwegs gewesen seien. Und da habe Sebastian T. gefragt, ob sie auch gehört hätten, dass in Aschau „ein Mädchen“ umgebracht worden sei. Von einem Gewaltverbrechen unterrichtete die Polizei die Öffentlichkeit erst tags darauf, auch diese Frage wäre also Täterwissen – vorausgesetzt, die Erinnerung ans Datum stimme, wie Verteidiger Markus Frank betonte.
Die letzten Bilder von Hanna
Zu sehen waren dann auch noch Videosequenzen der Überwachungskameras des Clubs „Eiskeller“ in Aschau, die von der Polizei ausgewertet worden waren. Da war Hanna noch mal zu sehen: an der Garderobe des Clubs, in dem sie zuvor mit Freunden gefeiert hatte. Wie sie eine Freundin zum Abschied umarmt. Und dann, in Schwarzweißbildern, wie sie um kurz vor halb drei Uhr morgens den „Eiskeller“ verlässt, allein, zu Fuß. Man sieht, wie sie die Schloßbergstraße entlanggeht, dann in die Kampenwandstraße abbiegt. Nach wenigen Metern verschluckt sie die Dunkelheit.