Mord-Prozess gegen jungen Mann aus Aschau im Chiemgau
Wie kann das sein? 15 DNA-Gutachten im Fall Hanna - aber die Spuren geben nichts her
Traunstein/Aschau im Chiemgau - Sechster Verhandlungstag um die Tötung von Hanna W. aus Aschau im Chiemgau: Der Fund ihres Leichnams wird das Landgericht am heutigen Donnerstag beschäftigen - weitere Puzzle-Stücke, die das Gericht der Wahrheit einen Schritt näher bringen sollen.
Das Wichtigste in Kürze:
Update, 16.34 Uhr – „Keine Merkmale“ oder „Menge zu schlecht“
Bei jedem Gewaltverbrechen, das vor Gericht landet, ist eines von größter Bedeutung: das DNA-Gutachten. Immer wieder werden Täter so überführt. Eine Rechtsmedizinerin aus München tritt nun in den Zeugenstand. Im Fall Hanna waren es sogar 15 DNA-Gutachten, die erstellt wurden. Das ernüchternde Ergebnis: Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Angeklagte Sebastian T. Kontakt zu Hanna hatte.
„Keine Merkmale“, „Menge zu schlecht“, „keine verwertbaren Ergebnisse“, „keiner Person zuzuordnen“, heißt es von der Gutachterin immer wieder, wenn es um einzelne Spuren an Hannas Leichnam oder Hannas Kleidung geht. Dasselbe bei den Klamotten, die Sebastian T. in der Tatnacht beim Joggen trug. „Als wir die Jacke bekamen, roch sie frisch gewaschen. Manche Flecken deuteten auf Blut hin, nachweisen konnten wir aber nichts“, so eine andere Zeugin von der Spurensicherung.
Die Sachverständige klärt auf: 30 Grad Wassertemperatur bei der Wäsche können DNA-Spuren noch kaum etwas anhaben, „aber bei 95 Grad wird’s schon schwieriger“. Auch Bestandteile des Waschmittels oder eine geringe Lademenge in der Maschine können Spuren verwischen, so die DNA-Gutachterin. Andere DNA-Spuren auf Hannas Körper könnten durch den Fluss unkenntlich gemacht worden sein, in dem der Leichnam knapp 14 Stunden lang trieb bzw. festhing.
Sogar das Bett des Bärbachs in Aschau, an dem die Tat passierte, wurde von der Spurensicherung genau unter die Lupe genommen. „Alle Steine, die rötliche oder bräunliche Spuren hatten, und auf Blut hingedeutet haben, wurden von uns untersucht. Aber ohne Ergebnis.“ Laut einem Zeugen, der mit Sebastian T. im Gefängnis saß, habe der Angeklagte ihm gegenüber sogar damit geprahlt, dass es keine DNA-Spuren gäbe.
Der Prozess wird für heute unterbrochen und am morgigen Freitag fortgesetzt. Dann wird erneut eine gute Freundin des Angeklagten als Zeugin geladen. Bei ihrer ersten Aussage wirkte die 21-Jährige verunsichert und widersprach sich. Ihr soll Sebastian T. kurz nach dem Vorfall Täterwissen offenbart haben.
Update, 14.20 Uhr – Stempelabdruck an Unterarm führt in Eiskeller
Die große Frage für all die Einsatzkräfte und Polizisten am Nachmittag und Abend des 3. Oktober 2022 war: Um wen handelt es sich bei der gefundenen Leiche? Die ersten drei Verdachtsmomente, die man abklopfte, gingen ins Leere bzw. bestätigten sich nicht, wie eine Kriminalpolizistin jetzt als Zeugin vor Gericht aussagt. Doch bei der Leichenbeschau fielen Reste eines Stempelabdrucks an Hannas Unterarm auf.
„Könnte das ein Eiskeller-Stempel sein?“, fragte man sich bei der Kripo – und so wurde der Fokus auf Aschau gerichtet. Fotos vom Party-Abend zuvor wurden gescannt. Der Schmuck, der am Leichnam gefunden wurde, passte zu einer fotografierten, jungen Frau. Und: die Betreiber des Eiskellers kannten sie beim Namen: Hanna W. Um 22.08 Uhr des 3. Oktober stand für die Ermittler die Identität dann praktisch fest. Die Vermisstenanzeige von Hannas Vater sollte da erst eine halbe Stunde später bei der Polizei eingehen.
Dementsprechend schnell konnte bzw. musste die Polizei an Hannas Eltern dann die Todesnachricht überbringen. Die Todesursache stand da aber noch nicht fest. Ein weiterer Polizist der Inspektion Prien, der ebenfalls als Zeuge aussagt, war am Vormittag des 3. Oktober noch zufällig zu Besuch bei Hannas Familie. Auch er kannte die junge Frau persönlich. Seine Aufgabe im weiteren Verlauf des Tages war es dann, einen Leichensack an den Fundort zu bringen und dort die Taucher der Wasserwacht mit Seilen abzusichern.
Update, 12.58 Uhr - Fotos der toten Hanna „schwierig anzusehen“
Sie war als erste Polizistin am Fundort und hatte die undankbare Aufgabe, alles mit der Kamera festzuhalten: eine junge Polizistin der Polizeiinspektion Prien. Als Zeugin beschreibt sie jetzt, wie Feuerwehr und Wasserwacht den Leichnam Hannas aufwändig aus der reißenden Prien bargen. Am Nachmittag des 3. Oktober 2022 war das. Seile wurden an Hannas Füßen befestigt, so hob man ihre Leiche in ein kleines Boot und von dort dann an Land. Um die 60 Einsatzkräfte seien vor Ort gewesen.
„Keine Fotos machen!“, richtet sich Richterin Aßbichler jetzt noch einmal an die Zuschauer im Sitzungssaal. Vier Justiz- und Polizeibeamte postieren sich, um ein Auge auf dem Zuschauerbereich zu haben. Auf die Leinwand werden jetzt jene Fotos geworfen, die eigentlich niemand sehen will – aber für die Prozessbeteiligten und die Wahrheitsfindung ist es unumgänglich. Man sieht die tote Hanna W. auf einer grauen Liege, bekleidet nur in ihren weißen Turnschuhen, Unterwäsche, Schmuck und einem schwarzen Oberteil. Der Oberkörper ist von roten Schürfwunden gezeichnet.
Auch Nahaufnahmen von Hannas Gesicht bleiben niemanden erspart. Kaum erträglich, der ein oder andere in den Zuschauerreihen wendet sich ab. Hannas Augen sind geschlossen, weitere Details sollen hier nicht genannt werden. Als das Gericht nochmal Partyfotos aus dem „Eiskeller“ zum Vergleich an die Wand wirft, meint die Polizistin: „Ich hätte sie da nicht wiedererkannt.“ Wegen genau dieser Bilder haben es Hannas Eltern heute vorgezogen, nicht zum Prozess zu kommen. „Schwierig anzuschauen“, meint auch die Richterin.
Noch an Ort und Stelle rätselten die Einsatzkräfte: Wer könnte das sein? Denn am Leichnam fand man weder Geldbeutel noch Handy. Hannas Eltern gaben die Vermisstenanzeige erst später auf. Ein Feuerwehrler habe zuerst gedacht, es sei eine Bekannte von ihm: „Er war sichtlich betroffen und unter Schock“, beschreibt es die Zeugin. Bald darauf konnte er sie aber telefonisch erreichen. Abgesehen von den vielen Einsatzkräften war niemand am Fundort. „Zehn bis 15 Schaulustige waren da, aber die wurden konsequent auf Abstand gehalten, in 100 bis 200 Metern Entfernung.“
Nun werden weitere Zeugen von Spurensicherung und Kriminalpolizei erwartet.
Update, 11.12 Uhr - Priener (43) entdeckte die Leiche
Der erste Zeuge des heutigen Tages: der Mann, der Hannas Leichnam in der Prien bei Kaltenbach entdeckte. Ein 43-jähriger Lehrer. Er war an diesem Nachmittag des 3. Oktober 2022 spazieren - „das ist praktisch bei mir vor der Haustür“. Doch dann habe er im Bach etwas entdeckt, „was da nicht hingehört“, wie der Zeuge es ausdrückt: Weiße Turnschuhe waren es, die er zuerst erkannte. Als er sich näherte, erkannte er auch noch ein Gesäß, das über der Wasseroberfläche zu sehen war.
„Ich hatte gehofft, dass es vielleicht eine Gummipuppe von einem Junggesellenabschied ist...“, gibt er an. Doch dann wurde auch ihm klar: es könnte eine Leiche sein. Der 43-Jährige rief die Polizei, habe an Ort und Stelle nichts berührt und nichts verändert. „Als die Polizei da war, bin ich gegangen. Es wird ja wohl kein schöner Anblick gewesen sein.“ Noch Stunden später sei ihm das riesige Polizeiaufgebot an der Prien aufgefallen. Spätestens da wurde dem Mann das Ausmaß seines Fundes klar.
Erste Fotos vom Fundort werden vor Gericht gezeigt. Nur bei genauem Hinsehen sind Hannas weiße Sneaker im Gestrüpp zu erkennen. Es werden nicht die letzten Fotos gewesen sein, die heute an die Leinwand geworfen werden. Denn die nächste Zeugin wird eine Polizistin der Polizeiinspektion Prien sein. Sie war als erste am Fundort, dokumentierte die Bergungsaktion und musste den Leichnam fotografieren.
Update, 9.50 Uhr - Fotos der Leiche sollen gezeigt werden
Schon vor Beginn der Sitzung wird klar, dass es heute ein besonders unangenehmer Tag am Landgericht werden dürfte: Die Eltern von Hanna W., die sonst an jedem Prozesstag in Traunstein waren, sind ferngeblieben. Denn heute wird es um den Fund ihrer getöteten Tochter am 3. Oktober 2022 gehen. Die Zuschauerreihen im größten Verhandlungssaal sind dagegen auch heute wieder dicht geschlossen.
„Heute besprechen wir die Bergung“, so die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler, gleich nachdem sie den Raum betritt. Und sie macht allen klar: „Nach langer Überlegung“ habe man sich dazu entschieden, die Fotos der toten Hanna W. auf einer Leinwand im Gericht zu zeigen. So, wie der Leichnam in der Prien gefunden wurde. Wer hat bei diesen Worten kein mulmiges Gefühl im Bauch?
Aber es geht um mehr. Aßbichler spricht eine klare Warnung an die Zuhörer aus: „Fotografieren ist verboten!“ Wenn die Bilder gezeigt werden, habe sie einen Blick auf die Zuschauerreihen. Auch zusätzliche Justizbeamte werden dann in den Sitzungssaal geholt, um zu kontrollieren. „Falls jemand fotografiert, werden wir das Handy abnehmen und zur Untersuchung für mehrere Wochen einbehalten. Ein Strafverfahren winkt dann auch.“
„Auch wer solche Aufnahmen grundsätzlich nicht sehen kann, soll den Sitzungssaal verlassen“, rät die Richterin. Es ist eine absolute Seltenheit, dass vor Gericht solch furchtbare Fotos öffentlich und für alle sichtbar gezeigt werden. Gewöhnlicherweise versammeln sich die Gerichtsbeteiligten dann am Pult des Gerichts und schauen sich die Bilder in einem Aktenordner an. Dass das Traunsteiner Landgericht hier heute anders handelt, verdeutlicht einmal mehr die Bedeutung dieses Prozesses.
Zuerst wird der Zeuge erwartet, der den Leichnam von Hanna W. in der Prien fand.
Vorbericht:
Als am Nachmittag des 3. Oktober gegen 14.30 Uhr ein Leichnam in der Prien gefunden wurde, ahnte noch niemand die Dimension dahinter. Die Identität ließ sich zuerst nicht klären, auch eine passende Vermisstenanzeige lag nicht vor. Um den Fund der getöteten Hanna W. wird es am Donnerstag (2. November) vor dem Landgericht Traunstein gehen, wenn der Prozess gegen Sebastian T. aus Aschau im Chiemgau fortgesetzt wird. Die Verhandlung beginnt um 9 Uhr. Die Anklage lautet auf Mord.
Mord an Hanna? Sebastian T. hat sein Schweigen noch immer nicht gebrochen
Nach wie vor hat sich der 21-jährige Angeklagte nicht vor Gericht geäußert. Auch den Ermittlern der Kripo verschloss er sich seit seiner Festnahme am 17. November vorigen Jahres. Weil sich auch keine Tatzeugen gemeldet hatten, spricht man von einem reinen Indizienprozess. Am jüngsten Prozesstag, vorige Woche, sagte jedoch ein Mitgefangener von Sebastian T. aus. Beim Kartenspielen in einer Zelle des Traunsteiner Gefängnisses habe der Angeklagte mit ihm über die Tat gesprochen: „Er sagte, dass er an der Dame sexuelles Interesse hatte und er sie bewusstlos geschlagen hat, damit sie sich nicht wehren konnte.“
Der Angeklagte Sebastian T. ist 21 Jahre alt und stammt wie die Getötete aus Aschau im Chiemgau. Er machte eine Lehre zum Anlagenmechaniker und wird vom Typ her als eher ruhig und schüchtern beschrieben. Auch sein Mithäftling beschrieb ihn dahingehend: Er hätte kein Sexualleben gehabt und von den Frauen öfter Körbe kassiert. Der Angeklagte hätte sich deshalb erniedrigt und verletzt gefühlt.
Urteil soll noch vor Weihnachten fallen
Am 3. Oktober vorigen Jahres soll er Hanna W. auf ihrem Heimweg vom Club „Eiskeller“ bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen und sie dann in den Bärbach nahe der Kampenwandbahn geworfen haben. Dort ertrank die damals 23-Jährige. Sebastian T. war anfangs für die Polizei nur als wichtiger Zeuge interessant, da er zur Tatzeit als Jogger gesehen wurde. Am 17. November wurde er jedoch festgenommen, sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Die Anklage lautet auf Mord, mit einem Urteil wird vor Weihnachten gerechnet.
chiemgau24.de berichtet aktuell aus dem Gerichtssaal.
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