Verena Grillhösl verabschiedet sich mit einem Appell
Scheidende Leiterin des Gymnasiums Wasserburg: „Wir sollten die KI nicht verteufeln“
„Zeiten-Wende“ am Gymnasium Wasserburg: Schulleiterin Verena Grillhösl geht in den Ruhestand. Zum Abschied ein Gespräch mit ihr über das Ende der „Kreide-Zeit“, den Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) und das Unterrichtsziel „Lebensfreude“.
Wasserburg – Auf ihrem Schreibtisch türmen sich die Unterlagen, vor der Tür wartet schon wieder der nächste Gesprächspartner. Verena Grillhösl hat in ihrem letzten Monat als Leiterin des Luitpold-Gymnasiums Wasserburg (LGW) noch immer viel zu tun. Doch sie wirkt entspannt, führt begeistert über den neu gestalteten Pausenhof, zeigt auf die vielen derzeit bunt blühenden Stauden und Blumen, während die vorbei eilenden Schülerinnen und Schüler sie freundlich grüßen. Grillhösl ist mit sich im Reinen. „Es war eine schöne Zeit, dass der Abschied naht, ist mir derzeit noch gar nicht so richtig bewusst“, sagt sie. Kein Wunder, der letzte Abiturjahrgang ist zwar verabschiedet, doch derzeit ist noch viel los am Gymnasium: Notenvergabe, Klassenkonferenzen, Zeugniserstellung. Vor dem letzten richtigen Schultag will sie von ihren Schülerinnen und Schülern Abschied nehmen – so wie sie hier 2019 gestartet ist: „Ich gehe von Klasse zu Klasse“, berichtet sie und verrät: „Und ich habe für jeden ein kleines Geschenk dabei.“
Botschaft: „Geht mit einem Lächeln durch das Leben“
Grillhösl möchte den Kindern und Jugendlichen außerdem gerne eine Botschaft mitgeben: „Bitte geht mit einem Lächeln durch das Leben.“ Sie findet, dass die junge Generation, die sich zum Teil ja auch als „letzte Generation“ sieht und sich sehr sorgt um die Zukunft, Probleme wie den Klimawandel lösungsorientiert wahrnehmen sollte. „Ich bin gegen Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung, denn die passt nicht in die Zeit. Ich wünsche mir aber eine gesunde Portion Grund-Optimismus bei der Suche nach realistischen Lösungswegen“, sagt sie.
Lebensfreude strahlt auch sie aus. Basis ihres eigenen Optimismus ist ihr Glaube, sagt die Lehrerin für katholische Religion und Latein. Freude hat ihr im letzten Jahr als Leiterin des Wasserburger Gymnasiums die Tatsache bereitet, dass sie noch einmal Zwölftklässler in Latein zum Abitur führen konnte. „Noch einmal mit den Schülern Cicero lesen: Das war wunderbar“, berichtet sie strahlend. Was sie ebenfalls freut: Mit ihrem Ruhestand endet auch die „Kreidezeit“ am Gymnasium: Die Schule mottet die alten Tafeln ein und stellt um auf große Medien-Displays: Bildschirme mit Whiteboards.
„Digitale Medien als unterstützende Elemente“
„Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein“, findet Grillhösl trotzdem. Die digitalen Medien seien unterstützende Elemente, würden helfen, mehr Raum und Zeit für das Unterrichten zu schaffen. Sie als Instrument einzusetzen, um bei der Vermittlung von Inhalten voranzukommen und die Motivation zu steigern, sei sinnvoll. Das Medienkonzept des LGW sehe jedoch auch noch vor, dass in den Jahrgangsstufen fünf bis acht analog Hefte geführt würden, „denn Kinder müssen das richtige Schreiben auf jeden Fall erlernen“. Ab der neunten Klasse können die Lehrer am Gymnasium Wasserburg Jugendlichen genehmigen, ein iPad zu benutzen, ab der zehnten ist dies allen erlaubt, ab der elfte Jahrgangsstufe gibt es zur Recherche auch den internen Wlan-Zugang, erklärt Grillhösl.
Dass Projektarbeiten und Referate auch mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) geschrieben werden, sieht sie nicht als problematisch an. „Die Schüler nutzen die KI, das ist einfach die Realität. Das tue ja sogar ich als Lehrerin manchmal. Wir dürfen nicht den Fehler machen, die KI zu verteufeln“, appelliert sie. Auch ChatGPT und Co. seien als Instrumente zu verstehen, die bei der Recherche helfen und auf diese Weise wertvolle Zeit sparen könnten. „Die Schülerinnen und Schüler müssen den Inhalt trotzdem verstehen lernen. Sie müssen in der Lage sein, ihre Texte zu erklären und die Inhalte zu überprüfen.“ Quellen kontrollieren, kritisch hinterfragen, analysieren, begreifen: Das sei nach wie vor notwendig, auch, trotz und wegen des KI-Einsatzes.
Wandel als Herausforderung
Es wird also alles nicht so heiß gegessen wie gekocht, könnte man meinen. Grillhösl hat in ihrer langen Schulzeit den Wandel stets als Herausforderung gesehen, dem sie mit pragmatischem Realismus begegnet ist. Das gelte auch für die zum neuen Schuljahr eingeführte Verfassungsviertelstunde, Pflichtprogramm des Freistaates. In den Lehrplänen sei die Demokratie-Erziehung in vielen Fächern wie Geschichte, Sozialkunde, Religion und Ethik bereits verankert. „Sogar wenn ich den Cicero lese, mache ich politische Bildung“, nennt sie ein Beispiel aus ihrem Lieblingsfach Latein. In Wasserburg sei am Gymnasium außerdem eine eigene Schulverfassung verankert, es gebe Verfassungstage und Ausflüge zur Verfassungsausstellung auf Herrenchiemsee. Jetzt gebe es noch die Verpflichtung, in allen Fächern in den Jahrgangsstufen sechs, acht und elf pro Woche 15 Minuten Verfassungskunde einzubauen. „Ja, das ist grundsätzlich sinnvoll. Wir können nicht häufig genug vermitteln, dass wir aufeinander zu achten haben, miteinander reden, einander mit Achtung begegnen und niemanden ausgrenzen sollten“, findet sie. „Meine Sorge ist nur, dass die wichtige Wertevermittlung zu einer aufgesetzten Pflicht-Aktion wird“, warnt sie. Was Grillhösl freut: Extremistische Positionen kommen nach ihren Angaben an der Schule so gut wie nie vor. Auch die Juniorwahl zur EU-Wahl habe dies bestätigt.
Fehlentwicklungen wie Ausgrenzungen von Mitschülern über Chatgruppen in den sozialen Medien „gibt es jedoch auch bei uns gelegentlich“, räumt Grillhösl ein. „Wir reagieren darauf: etwa über Klasseninterventionen“, unterstützt von der Schulpsychologin und einer Sozialpädagogin. Entgleisungen bei Abifeiern wie jüngst am Gymnasium Dorfen hat das LGW nach ihren Erfahrungen noch nicht erlebt. Der Abistreich sei in Wasserburg auch heuer „sehr schön“ verlaufen, sagt sie, die Abifeier ebenso: humorvoll und wertschätzend zugleich. Das Niveau der Abizeitungen lasse jedoch seit einigen Jahren nach, bedauert Grillhösl.
Schwerste Zeit war die Pandemie
Doch sie wurde in den fünf Jahren ihrer Leitungsfunktion immer wieder sehr positiv überrascht von den Gymnasiasten: erst jüngst wieder, als ein Schüler bei einem Wettbewerbssieg mit einem professionellen Beitrag die deutsch-französische Freundschaft würdigte. Oder wenn die Tutoren sich liebevoll um die Fünftklässler kümmern.
Auch die Pandemie hat das LGW gut überstanden, berichtet Grillhösl: ohne Schulschließungen außerhalb der angeordneten Lockdowns, „mit so viel Vor-Ort-Unterricht wie möglich“. Größte Herausforderung: Homeschooling, anfangs noch ohne Glasfaserkabel, was bei der Einführung von Microsoft-Teams zu Diskussionen über den Datenschutz führte, Wechselunterricht, Testungen, die Kommunikation nur per Videokonferenzen und Mails, 2020 eine Abifeier ohne Eltern. Es war Grillhösls schwerste Zeit als Schulleiterin: Sie war nur ein halbes Jahr im Amt, da war die Pandemie schon da. „Alles, was Schule bereichert, brach weg. Wochenlang habe ich meine Kollegen nicht persönlich gesehen“, sagt sie seufzend. Doch eins hat die Krise auch gebracht, findet sie trotz allem: „Die Digitalisierung ist vorangekommen.“ Auch deshalb startet ihre Nachfolgerin Tanja Oberhofer dank der Umsetzung des Digitalpakts jetzt in die „Nach-Kreidezeit“ am Gymnasium Wasserburg. .