Elisabeth Boxhammer aus Bad Aibling
„Man braucht oft keine Worte“: Klinik-Seelsorgerin über besondere Momente in der Sterbebegleitung
An Allerheiligen gedenken die christlichen Kirchen in besonderer Weise der Verstorbenen. Elisabeth Boxhammer (53) ist Klinikseelsorgerin im Krankenhaus Bad Aibling, ihre Tochter Lisa (28) arbeitet als Pastoralreferentin in den Pfarrverbänden Miesbach und Hausham/Agatharied. In zwei Folgen berichten wir darüber, wie der Tod nicht nur das Berufsleben der beiden Frauen prägt.
Bad Aibling - „Thematische Funktionsstelle Krankenpastoral im Sozialraum 235.“ Was wie trockenes Amtsdeutsch klingt, beschreibt einen Beruf, bei dem nicht einwandfrei formulierte Schriftstücke gefragt sind, sondern vor allem ein fester Glaube, Mitmenschlichkeit und Empathie. Neben ihrer Tätigkeit in der Romed-Klinik ist Boxhammer auch außerhalb der Krankenhausmauern für Menschen in den Pfarrverbänden Heufeld-Weihenlinden, Bruckmühl, Feldkirchen-Höhenrain-Laus und Tuntenhausen-Schönau da, wenn Sterbende oder deren Angehörige ihren Beistand wünschen. Die Begleitung der Angehörigen gehe gelegentlich auch über den Todesfall hinaus, so Boxhammer.
Einmal in der Woche Gespräch mit Palliativ-Team
Wenn zu ihrem Berufsalltag beispielsweise auch das Feiern von Gottesdiensten in der Krankenhauskapelle oder die Mitarbeiterseelsorge gehören, so wird er doch vielfach vom Tod geprägt. Seit 1. Januar dieses Jahres übt Boxhammer diese Tätigkeit aus und spricht einmal in der Woche mit dem Palliativteam des Hauses. Mit Ärzten, Pflegern, Physio- sowie Klang- und Kunsttherapeuten berät sie dann darüber, wie Menschen ermöglicht werden kann, die letzten Tage oder Wochen ihres irdischen Daseins möglichst schmerz- und angstfrei zu erleben. Zwei sogenannte Brückenzimmer hält das Krankenhaus für Patienten bereit, für die der Tod bereits spürbar nah ist.
Boxhammer nennt die Begegnung mit Sterbenden „Situationen, die sie aushalten können muss“. Es komme in erster Linie darauf an, zunächst einmal da zu sein und mitzufühlen. „Da braucht man oft gar keine Worte. Es ist sicher nicht so, dass wir gleich ein Glaubensgespräch führen wollen“, berichtet sie aus ihrer Praxis. Unterschiede bei der Betreuung gibt es nicht. Die Seelsorgerin betrachtet ausschließlich den jeweiligen Menschen und stellt ihn in den Mittelpunkt ihres Wirkens. „Ich bin für alle da, auch für Leute, die aus der Kirche ausgetreten sind“, so Boxhammer.
Manchmal sei die Begleitung der Angehörigen sogar wichtiger als die Fürsorge für den Sterbenden, weiß die Gemeindereferentin aus ihrer Erfahrung. Die Angehörigen befänden sich in einer „Grenzsituation“, in der ihnen ihre Hilfe Halt geben könne. „Es ist wichtig, dass sie diese Stabilität auch wahrnehmen“, sagt sie
Da ist oft eine Beziehung entstanden, die mit dem Tod nicht endet
Ein besonderes Gefühl sei, wenn sie einen Menschen, den sie im Sterbeprozess begleitet habe, auch beerdigen könne und bei Bedarf die Nachsorge für die Angehörigen übernehmen dürfe. „Da ist oft eine Beziehung entstanden, die mit dem Tod nicht endet“, weiß die 53-Jährige.
In den Gesprächen an den Betten der Todgeweihten erlebt die Klinikseelsorgerin nicht selten eine große Offenheit. Menschen sprechen plötzlich auch über die Schattenseiten ihres Lebens, bringen ihre Angst vor Schmerzen zum Ausdruck und lassen sie erahnen, wie sehr sie „ungelöste Dinge auf dieser Welt“ belasten. Die Klinikseelsorgerin kann den Patienten die Sorgen nicht abnehmen, aber sie will und kann sich in ihre Situation hineinversetzen, Trost spenden, Zuversicht wecken und manchmal noch kurz vor dem Lebensende Freude bereiten, die Sterbenden sogar ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
30 Jahre keinen Kontakt mehr mit dem Sohn
Sie führt das Beispiel eines Mannes an, dessen Sterbeprozess sich lange hinzog. 30 Jahre hatte er keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn. Als er dies Boxhammer offenbarte und sie sich mit Einverständnis des Patienten erfolgreich um eine Begegnung zwischen Vater und Sohn am Sterbebett bemühte, schien sich ein Knoten zu lösen. Ein Lächeln im Gesicht des Vaters war Ausdruck tiefer Dankbarkeit für dieses Wiedersehen. Wenige Tage später schlief der Mann friedlich ein.
Solche Erlebnisse sind für die Seelsorgerin besondere Momente, die ihr der Beruf beschert. „Auch in der Sterbebegleitung darf Platz für Fröhlichkeit sein“, sagt sie. Ihre Leistung, um solche Glücksmomente herbeizuführen, will sie nicht überbewerten. „Ich bin nur Gottes Werkzeug. Er hilft mir“, so Boxhammer. Um diese Hilfe bittet sie immer wieder in einem stillen Gebet, zu dem sie sich beispielsweise für ein paar Minuten in die Krankenhauskapelle zurückzieht.
Rufbereitschaft rund um die Uhr
Das gibt ihr Kraft, Menschen auch dann helfen zu können, wenn die Last auf deren Seele besonders groß scheint. Beispielsweise bei jener 41-jährigen Krebspatientin, die sie schon länger betreute. Weil sich der Gesundheitszustand der Frau rapide verschlechtert hatte, wusste Boxhammer, es ist ein Abschied für immer, als sie ihr wegen einer Fortbildung ein letztes Mal die Hand reichte und sie ihren Kolleginnen und Kollegen anvertraute. Alleine sterben muss niemand in den Kliniken in der Stadt und im Landkreis Rosenheim. Das Seelsorge-Team gewährleistet rund um die Uhr eine Rufbereitschaft für alle Notfälle .
„Habe ich in meinem Leben Spuren hinterlassen?“ Eine Frage, die die 41-Jährige quälte und die sie unvermittelt stellte, ehe die Seelsorgerin das Zimmer verließ. „Bei mir haben Sie auf jeden Fall welche hinterlassen“, antwortete Boxhammer ihr angesichts der Offenheit der Frau, mit der sie über ihr Leben sprach. Ein Satz, der der Patientin sichtbar gut tat.
Manchmal sind es auch nur kleine praktische Hilfeleistungen, die Menschen ihr Leid erleichtern. Boxhammer denkt da an eine Begegnung während ihres Praktikums im Klinikum Großhadern zurück. Sie saß am Bett einer schwerkranken Ausländerin, mit der wegen Sprachschwierigkeiten keine Kommunikation möglich war.
Aus diesen Augen hat mich Gott angeschaut
Als die Patientin auf die auf ihrem Nachttisch stehende Wasserflasche deutete und sie ihr einen Schluck zu trinken gab, da erfüllte ein Leuchten die Augen der Frau. Das hat Boxhammer bis heute nicht vergessen. „Aus diesen Augen hat mich Gott angeschaut“, ist die 53-Jährige zutiefst überzeugt. „Das war Gottesbegegnung auf Erden.“
Der Weg von der Tätigkeit als PTA in die Seelsorge
Der Weg in die Klinikseelsorge war für Elisabeth Boxhammer nicht vorgezeichnet, wenngleich sie sich schon in jungen Jahren in verschiedenen Funktionen ehrenamtlich in der Kirche engagiert hat. Nach Schule und Ausbildung arbeitete sie zunächst rund dreieinhalb Jahre als Pharmazeutisch technische Assistentin (PTA) bei der Firma Salus in Bruckmühl. Auch nach der Geburt ihrer Tochter im Jahr 1994 engagierte sie sich weiter im pfarrlichen Leben.
Boxhammer spricht von einem „Reifeprozess“, in dessen Verlauf sie erkannte, dass ihr die Mitarbeit in der Kirche mehr Freude bereitet als ihr Beruf. 2013 begann sie dann mit einer zweijährigen Ausbildung zur geistlichen Begleitung in der Sankt-Michael-Schule in Matrei in Tirol. Ihr schloss sich ein Studium der Theologie an der „Akademie Domschule Würzburg“ an, das sie 2018 erfolgreich abschloss.
Beginnend mit dem letzten Jahr ihres Studiums, folgten zwei Jahre Assistenzzeit in der Stadtkirche Bad Aibling sowie weitere zwei Jahre in den Pfarrverbänden Heufeld/Weihenlinden und Bruckmühl. Mit Abschluss der zweiten Dienstprüfung wurde Boxhammer als Gemeindereferentin ausgesandt und wird seit Beginn dieses Jahres vom Ordinariat in der Klinikseelsorge eingsetzt.
„Wenn ich nicht an das ewige Leben glauben würde, könnte ich meine Arbeit nicht machen“, gesteht die Gemeindereferentin. Jeder Mensch komme bei Gott zur Vollendung. „Gott wartet auf uns. Wir sind von ihm gekommen, und wir gehen zu ihm zurück“, steht für sie außer Zweifel.
Seit sie in der Klinikseelsorge arbeitet, ist das Thema Tod auch in der Familie präsenter. „Früher war er da, jetzt reden wir über ihn“, erläutert Boxhammer. Die Zerbrechlichkeit des Lebens sei der gesamten Familie bewusster geworden. „Die Zeit, in der uns Freude geschenkt wird, erleben wir intensiver“, ergänzt die Bad Aiblingerin in ihrer Reflexion.
Gegenpol erforderlich
Die Gemeindereferentin spricht von einem „Gegenpol, den sie braucht“. Abschalten in der freien Natur bei Bergwanderungen oder Radltouren gehört mit zu den Lieblingsbeschäftigungen von ihr und ihrem Mann.
Freude bereiten Elisabeth Boxhammer immer wieder auch Gespräche mit ihrer Tochter Lisa (28), die ebenfalls im kirchlichen Dienst tätig ist. Sie fungiert seit August 2022 als Pastoralreferentin in den Pfarrverbänden Miesbach und Hausham/Agatharied und hat in dieser Zeit bereits rund 50 Menschen auf ihrem letzten Erdenweg begleitet. Wie sie als junger Mensch mit dem Tod umgeht und ob die Tätigkeit der Mutter ihre Berufsentscheidung beeinflusst hat, erzählt Lisa Boxhammer in der zweiten Folge.