Katharina Schulze im Interview mit Redaktion Wasserburg
Grüne Fraktionschefin: „Lösung zum Wolf finden wir nicht mit Schaum vor dem Mund“
Vom Wolf bis zum Solarpark Perfall, von Cannabis bis zur Kita-Krise: Im Interview mit dem OVB hat Katharina Schulze, Fraktionschefin der Grünen im Landtag, jetzt zu Themen Stellung genommen, die das Wasserburger Land bewegen.
Wasserburg/München – Wolf und Bär sind die Aufregerthema im Alpenvorland. Warum die grüne Fraktionschefin im Landtag, Katharina Schulze, die Sorgen der Tierhalter versteht, jedoch beim Solarpark Perfall, der derzeit im Wasserburger Land für Schlagzeilen sorgt, Kritik nicht gelten lassen will. Das sagt sie im Interview mit dem OVB außerdem zur Cannabis-Legalisierung und zur Kita-Krise.
Wolf und Bär treiben sich in der Region herum . Viele fordern den Abschuss. Wie stehen Sie dazu?
Katharina Schulze: Als allererstes ist es mir wichtig zu sagen, dass der Menschenschutz bei uns die oberste Priorität hat. Wenn Bär oder Wolf Menschen gefährlich werden, dann müssen sie natürlich entnommen werden. Da gibt es ja schon klare Regeln im Bundesnaturschutzgesetz. Für den Bär gilt außerdem, dass wir eigentlich gar keinen Platz für ihn haben, weil wir in Bayern viel zu zersiedelt leben. Bären brauchen riesige Reviere. Alle Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass sich bei uns deshalb keine Bären ansiedeln werden.
Vor allem Almbauern fordern eine einfache Entnahme des Wolfs. Können Sie das verstehen?
Schulze: Die Sorgen der Almbäuerinnen und -bauern kann ich sehr gut nachvollziehen. Das sind ja ihre Schafe, an denen sie nicht nur emotional hängen, sondern die ihre Lebensgrundlage sind. Sie machen tolle Arbeit für die Artenvielfalt und den Tourismus. Zuallererst brauchen wir volle finanzielle Unterstützung beim Herdenschutz und zwar bayernweit, nicht nur auf wenigen Flächen. Wir müssen gute Lösungen finden. Die finden wir aber nicht mit Schaum vor dem Mund. Also das, was Markus Söder und die CSU machen: Das Ganze hochzuschaukeln und probieren, daraus politisch Kapital zu schlagen, wird diesem Thema nicht gerecht. Denn die Almbäuerinnen und -bauern brauchen Unterstützung von der Staatsregierung und da reichen halt nicht nur warme Worte oder neue Verordnungen, die dann vor dem Gericht nicht halten. Seit 17 Jahren haben wir Wölfe in Bayern und seitdem hat die CSU-Staatsregierung es nicht geschafft, Lösungen für die Almwirtschaft zu finden. Das ist ihr Versagen. Wir brauchen ein regionales Bestandsmanagement. Wir müssen wissen, wie groß die Population ist. Dann können wir den Wolf schützen, wo es möglich ist und den Bestand kontrollieren, wo es nötig ist. Da gehört dann die Entnahme dazu.
Das heißt, trotz Tierschutz sind Sie für einen Abschuss?
Schulze: Ja, natürlich. Die Entnahme unter bestimmten Voraussetzungen war schon immer die Position der Grünen.
Eines ihrer großen Themen ist die Familienpolitik. Was die Familien im Moment umtreibt, ist der Fachkräftemangel in vielen Kindergärten. Im Wasserburger Umland häufen sich deshalb die Berichte von Eltern, die keine Kindergartenplatz finden. Wie wollen Sie das Problem angehen?
Schulze: Wir haben einen Bildungsnotstand. Das beginnt bei der Kita und zieht sich bis in die Schule, wo ebenfalls Personal fehlt. Tatsache ist: Die Familien leiden darunter, vor allem die Kinder und Frauen, die dann daheim bleiben, wenn es keinen Kita-Platz oder Nachmittagsbetreuung gibt. Und auch die Menschen, die in den sozialen Berufen arbeiten – vor allem Frauen – leiden darunter, weil der Arbeitsdruck immer größer wird. Wenn Frauen ihre Kompetenz nicht ausleben können, weil sie keinen Betreuungsplatz für ihr Kind haben, schwächt das unsere Wirtschaft und die Innovationsfähigkeit in unserem Land. Eine Studie zeigt, dass, wenn alle Frauen in unserem Land so viel arbeiten könnten, wie sie wollten, hätten wir 840.000 Fachkräfte mehr. Trotzdem ist Markus Söder dieses Thema nicht wichtig. Es steht bisher einfach nicht bei ihm auf der Agenda. Deswegen ist der erste Punkt: Das Thema muss zur Chef- oder Chefinnensache gemacht werden. Politisch muss das Thema Bildungsnotstand als Top-Priorität gesehen werden, damit die Maßnahmen auch ergriffen werden, die man machen muss.
Und was sind das konkret für Maßnahmen?
Schulze: Es gibt nicht den einen Schnips und alles wird gut. Wir müssen vielmehr verschiedene Maßnahmen ergreifen: Zum einen die Arbeitsbedingungen in den sozialen Berufen verbessern. Viele Fachkräfte haben den Beruf einmal voller Leidenschaft begonnen und hören dann auf, weil sie ihn nicht mehr schaffen. Das Burnout-Risiko ist sehr, sehr hoch. Das heißt, wir müssen für Entlastung sorgen. Wo können wir die pädagogischen Fachkräfte entlasten? Warum wird nicht eine Hauswirtschaftskraft für das Mittagessen eingestellt? So können die Erzieherinnen und Erzieher wieder das machen, warum sie diesen Beruf gewählt haben: Nämlich mit den Kindern zu arbeiten. Zum anderen braucht es eine bessere Bezahlung, ab dem ersten Tag der Ausbildung mit einem ordentlichen Gehalt. Es kann nicht sein, dass manche die Ausbildung im ersten Jahr noch für umsonst um beginnen. Auch müssen wir den Quereinstieg erleichtern und ausländische Qualifikationen schneller anerkennen sowie die Zahl der Ausbildungsplätze erhöhen. An diesen Maßnahmen sieht man schon: Wenn wir das nach der nächsten Landtagswahl nicht anpacken, dann verlieren wir wieder fünf Jahre.
Kommen wir zum Thema Klimaschutz: Die Grünen fordern seit Jahren mehr regenerative Energien. In Perfall bei Eiselfing soll ein Solarpark entstehen. Doch die Bürger wehren sich vehement. Viele sind der Meinung, dass hier wertvolle Ackerfläche verloren geht. Wie wollen Sie den Spagat zwischen Energiewende und Naturschutz beziehungsweise Flächenversiegelung schaffen?
Schulze: Ich muss sagen, das Projekt in Perfall hat mich sehr überzeugt. Bei meinem Besuch habe ich Menschen getroffen, die einen Plan haben, wie man Klimaschutz und Naturschutz vereint. Der Bauer, auf dessen Ackerfläche der Solarpark entstehen soll, hat schon einen Ausgleich dafür an anderer Stelle. Es ist nicht so, dass hier etwas verloren geht, sondern er legt seinen Ackerstatus auf eine andere Fläche. Unter der Solaranlage entsteht dann eine Grünlandfläche.
Es gibt aber auch das Argument, dass dieses Grünland aufgrund der Solaranlage nicht dieselbe Qualität wie eine unbebaute Fläche hat.
Schulze: Das Argument teile ich nicht. In Perfall ist geplant, dass Schafe dann darunter weiden können. Kleintiere können sich ansiedeln. Es sollen Blühflächen entstehen. Tatsache ist: Wenn wir es nicht schaffen, die Klimakrise einzudämmen, sprich weniger CO² zu verbrennen, dann sind irgendwann auch die Ackerfläche, der Naturschutz, hopps. Ich möchte, dass die Bäuerinnen und Bauern hier in Bayern mit dem guten bayerischen Boden Lebensmittel produzieren können, dafür müssen wir die Klimakrise in den Griff bekommen. Deswegen ist der Schritt weg von den fossilen Energieträgern, von Kohle, Öl und Gas entscheidend. Und dafür müssen wir eben die erneuerbaren Energien ausbauen. Das bedeutet Solaranlagen auf alle Dächer – der Freistaat soll mit bei seinen eigenen Flächen mit gutem Beispiel vorangehen. Das bedeutet zwei Prozent Fläche für die Windkraft und ja, das bedeutet auch mehr Solarparks dort, wo es Sinn macht. In Perfall können rund 500 Haushalte mit regenerativen Energien versorgt werden. Das kann auch günstigeren Strom für die Anwohner und Anwohnerinnen bedeuten. Eine Win-Win-Situation also. Ich würde mich deshalb freuen, wenn dieser Solarpark ans Netz geht.
Auch der Brenner-Nordzulauf erhitzt die Gemüter. Das Ziel: Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen, um die Natur zu schützen. Die Bahn möchte dazu eine neue Trasse schaffen, für viele ein zu großer Einschnitt in die Natur. Befürworter und Gegner argumentieren mit dem Naturschutz. Wie lässt sich dieses Paradoxon lösen?
Schulze: Eigentlich ist dies dasselbe Problem wie beim Solarpark in Perfall: Ohne Klimaschutz ist der Naturschutz hinfällig. Wenn wir es nicht schaffen, klimaneutral zu werden, dann gibt es in der Zukunft nicht mehr viel zu behüten. Das bedeutet, dass wir in allen Bereichen klimaneutral werden müssen. Bei Energie bedeutet das: weg von Kohle, Öl und Gas. Beim Verkehr ist klar: Auf die Schiene – Güterverkehr und Personenverkehr. Das ist klimaneutraler, als mit dem Lkw durch die Gegend zu düsen. Ich kann verstehen, dass es ein emotionales Thema ist. Dass es mit Veränderungen zu tun hat. Wir Grüne stehen hinter diesem Projekt. Natürlich müssen die Natureingriffe so schonend wie möglich sein. Aber in der Abwägung würden wir sagen: Ja, das muss kommen und wenn wir die Berechnungen ernst nehmen, reichen auch nicht die Bestandschienen. Es braucht zwei weitere Gleise.
Letztes Thema: Cannabis. Die Bundesregierung will auch auf Forderung der Grünen die Droge legalisieren. Der Vorschlag ist umstritten, auch in der „Brokolli-Stadt“ Rosenheim. Wie stehen Sie persönlich zu diesem Thema?
Schulze: Erstmal vorweg: Ich selber trinke keinen Alkohol und habe noch nie gekifft. Trotzdem finde ich es gut, dass die Ampel beim Thema Cannabiskonsum für Erwachsene vorangeht. Die Idee, den Konsum ab 18 in den Social Clubs zu erlauben, halte ich für sinnvoll, weil hier nach dem Personalausweis gefragt wird. Der Dealer an der Ecke macht das nicht. Damit gibt es auch die Chance, den Schwarzmarkt etwas auszutrocknen, wo auch oft gestrecktes Zeug verkauft wird. Ich finde es deshalb gut, dass die Bundesregierung sich auf den Weg gemacht hat, das Thema Jugend- und Verbraucherschutz nach vorne zu stellen. Das ist das eine Argument. Das andere, was für mich gilt, hat was mit dem Menschenbild zu tun: Das Erwachsene Alkohol trinken, ist sozial akzeptiert, ein Joint nicht. Ich traue erwachsenen Menschen zu, dass sie, wenn sie über die Risiken von Drogenkonsum Bescheid wissen, selbstbestimmt entscheiden können. Fakt ist einfach: Die bisherige Dämonisierung und Repression von Cannabis haben die Probleme nicht in den Griff bekommen. Der neue Weg entkriminalisiert und sorgt für Gesundheitsschutz von Jugendlichen.
Aber wenn Sie sagen, erwachsene, aufgeklärte Menschen können ihre eigenen Entscheidungen treffen. Warum sollten wir dann bei der Legalisierung von Cannabis aufhören?
Schulze: Manch einer argumentiert ja so und sagt: Der Kampf gegen Drogen sei eh schon verloren und fordert eine Legalisierung von allem. Andere wollen alles so weiterlaufen lassen und die Augen vor den Herausforderungen verschließen. Ich möchte die Realitäten angehen. Keine Droge ist unschädlich und es gibt Abstufungen in Bezug auf Abhängigkeiten bei unterschiedlichen Drogen. Deswegen endet für mich der Weg nach Cannabis. Für uns Grüne ist außerdem klar, Legalisierung von Cannabis heißt nicht: Macht, was immer ihr wollt. Nein, neben der Entkriminalisierung müssen auch die Drogenprävention und die Aufklärung darüber ausgebaut werden - und natürlich braucht es auch mehr Therapieplätze für diejenigen, die Hilfe brauchen.
